Kapitel 11

31 4 1
                                    

Die Klinge verfehlte Ellens Kopf nur um Zentimeter. Zu spät stellte sie fest, dass ihr Ausweichmanöver zwar die richtigen Schritte beinhaltet hatte, allerdings in die falsche Richtung gegangen war. Erst im letzten Moment konnte sie den darauffolgenden Schlag gegen ihre Seite abwehren, wobei sie im Stillen ihrem Vater für die wenigen Übungsstunden dankte, von denen anscheinend wenigstens etwas hängengeblieben war. Es fühlte sich wesentlich uneleganter an, als es aussah, als sie zwei Schritte zur Seite machte und mit ihrer eigenen Waffe nach Búrtaks Knöchel schlug.

„Stopp!"
Sofort ließen beide ihre Waffe sinken. Die zornig blitzenden Augen richteten sich auf Ellens Stiefel. Ohne hinzusehen breitete sich ein schuldbewusster Ausdruck auf ihrem Gesicht aus.
„Ich bin wieder aus dem Kreis getreten?"
Búrtak antwortete mit einem unwilligen Brummen: „Du musst lernen, deine Umgebung im Auge zu behalten. Wenn da eine Klippe gewesen wäre, oder ein Angreifer, dann wärst du jetzt tot!"
„Aber, wenn ich mich nicht auf dich konzentriere bin ich auch-"
„Schwachsinn! Ich hab' Generationen von Kindern so unterrichtet. Noch mal!"
Wieder stürzten sie sich aufeinander. Die Schwerter klirrten aneinander. Ellens Atem ging keuchend, während ihre Muskeln vehement gegen jede Bewegung protestierten.

Nachdem sie zuvor einige Zeit frustriert in ihrem Gemach auf und ab gelaufen war, hatte sie sich in Ermangelung echter Alternativen in ihr Bett gelegt und versucht zu schlafen. Nicht, dass das von besonderem Erfolg gekrönt gewesen war. Sie fühlte sich wie eine Fremde in diesem Zimmer. Wie ein Hirsch, der plötzlich in einem Wohnzimmer steht. Keines der Kleider im Schrank gehörte ihr, die Luft, die durch das offene Fenster herein drang war erfüllt von fremden Gerüchen und Geräuschen, die sie noch nie zuvor gehört hatte. Selbst das Bett fühlte sich an, wie eine Requisite in einem Schauspiel. Nichts hiervon war echt.
Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, als Búrtak an ihre Tür klopfte – in der Tat, sie klopfte. Als sei dieser Raum Ellens privater Rückzugsort – um sie aus diesem surrealen Zustand zu erlösen. Sie hatte sie in die unteren Ebenen geschleift, ihr ein Schwert in die Hand gedrückt und seitdem nicht mehr aufgehört, Hiebe auf Ellen niederprasseln zu lassen.

In den Augen der Elbe verlief das Training gut - immerhin besaß sie noch alle ihre Körperteile – doch sie hatte den leisen Verdacht, dass sie sich eher ungeschickt anstellte. Eine Vermutung, die bestätigt wurde, als das Schwert der Ork über ihren Oberarm rutschte und einen sauberen Schnitt hinterließ, der Ellens Ärmel langsam rot färbte.
Sprachlos starrte sie ihre Ausbilderin an.
„Deine Haltung ist eine Katastrophe," stellte diese fest, „deine Beinarbeit unzureichend und von der Deckung will ich gar nicht erst anfangen."
„Du... du hast mich verletzt," brachte Ellen endlich heraus, eher ungläubig als verärgert, „machst du das mit den Kindern, die du ausbildest auch? Ihr nehmt wohl überhaupt keine Rücksicht."
Die Orkfrau schnaubte abfällig.
„Nehmen unsere Feinde Rücksicht? Ich sorge dafür, dass unsere Krieger überleben," sie zuckte mit den Schultern, „aber wenn du das bisschen Blut nicht verträgst, geh meinetwegen zum Heiler."
Damit wandte sie sich ab, scheinbar auf der Suche nach ihrer Schwertscheide.

Ellens Schultern bebten, was hauptsächlich der Anstrengung geschuldet war. Ihr gesunder Sachverstand sagte ihr, dass sich einen Heiler zu suchen die bessere Alternative war. Andererseits: der Schnitt war nicht tief, er tat nicht einmal besonders weh. Es würde reichen, ihn mit einem Stoffstreifen zu verbinden. Und hatte sie dieses Leben nicht gewählt? Die Anstrengung war ein gerechter Preis für die selbstsüchtige Entscheidung, die sie getroffen hatte, als sie den Jungen geschlagen hatten. Und wenn sie schon hier lebte, dann sollte sie sich auch anpassen und lernen, wie man überlebte.

Ihre Sturheit überwog schließlich. Entschlossen riss sie einen Stoffstreifen aus ihrem Ärmel, um die Wunde damit abzuschnüren. Dann hob sie das Schwert auf, dass sie fallen gelassen hatte und trat in den mit Kreide auf den Boden gemalten Kreis.
„Nochmal," verlangte sie, während sie ihre Waffe hob.

Lenda i MorielenweWhere stories live. Discover now