Kapitel 4: Du hast eine Freundin!

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Ich kann es nicht erklären. Nicht erklären, wieso mein Herz sich plötzlich so warm anfühlt. Das Gefühl von Erfolg macht sich in meiner Brust breit und das habe ich Roxas zu verdanken. Ich lächle den Lederjungen an. Ich glaube, ich mag ihn doch. Er ist der erste, der sich so um mich kümmert, obwohl er mich nicht kennt. Wer weiß, vielleicht tut er es auch aus Eigeninteresse und nicht wegen der Schülerhilfe? Ach, Reza! Du interpretierst da schon wieder viel zu viel rein. Jemand, der dir die Tür aufhält, tut das noch lange nicht nur für dich allein. Aber das trübt meine Laune nicht! Vielleicht kann er mir mit Extremsituationen, und das ist Eis bestellen für mich, wirklich helfen. Zumindest fühle ich mich wirklich wie neu geboren! "Der Deal ist ..."
Jetzt mach es doch nicht so spannend! Sonst zahle ich dir das noch irgendwann heim, hehe. "... Wenn du es schaffst mir dich mit Name, Alter und Hobbies vorzustellen, ohne dabei auch nur ein einziges mal zu stottern, dann..."
Ja? Dann? Los, Roxas! Mein ungeduldiges Herz wartet schon ...
"...darfst du mich Roxy nennen...!"

Roxas grinst schelmisch und leckt weiter über seine Eiskugel. Der Lederjunge überschlägt die Beine und lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Irgendwie cool ...
Vielleicht ist ein süßer Spitzname genau das richtige für ihn! Obwohl ich allgemein damit nichts anfangen kann, freue ich mich über den Deal ihn Roxy nennen zu dürfen, welchen ich sofort mit Händeschütteln vereinbare.
"Gut, Deal!"
Denn das bedeutet, dass wir uns nicht das letzte mal unterhalten werden.
Vielleicht werden wir doch wirklich noch Freunde!

"Kommst du morgen dann in der Pause wieder zur Schülerhilfe?"
Nicken.
"Wie heißt das?" Roxas grinst mich an. Oho, er ist böse, hehe ... "J-j..ja.."
Ich bin in seiner Gegenwart noch immer ein wenig nervös, doch so langsam verfliegt das ganze. Trotzdem ist es mir wichtig, was er von mir denkt. Vielleicht denkt er ja doch, dass ich dumm bin ...
Wenn man doch nur die Gedanken der Menschen wie ein Buch lesen könnte ...
"Dann seh ich dich morgen!"

Ungewöhnlich gut gelaunt kehre ich nach Hause zurück und werfe die Tasche in eine Ecke. Seit Jahren schmeiße ich sie dorthin und seit Jahren packt meine Mutter sie auf einen Stuhl, mit der Aussage: "Werf sie doch nicht immer hin!" Tja, bin eben ein braves Kind.
Ich reiße meine Zimmertür auf und wen sehe ich da auf meinem Bett?
Bruderalarm.

Ich habe ein recht schlichtes Zimmer. Ein Bett, einen Fernseher mit Konsole, einen Schreibtisch mit Lap Top und einen mit meiner DVD- und Mangasammlung. Meine große Leidenschaft - meine Babys. Mein Bruder hält Videospiele von mir in den Händen und sortiert sie gerade aus. "Raus", sage ich sofort zu dem 12-jährigen. Ich hasse es, wenn er in meiner Privatsphäre herumschnüffelt. "Kann ich mir ein paar Spiele ausleihen?"
"Mach doch. Raus."
Solange er nicht kaputt macht, kann er sie alle nehmen. Ich spiele sowieso nicht so oft mit denen, schaue lieber Animes.
"Kannst du mir bei den Hausaufgaben helfen?"
"Frag Mama. Raus."

Oft verlaufen unsere Gespräche auf diese Art und Weise. Geschwisterliebe auf höchsten Niveau.

"Okay, okay!" Der Kleine verlässt mein Zimmer und ich beobachte ihn aufmerksam dabei. Wenigstens macht er nach seinen täglichen Belästigungen meistens die Tür zu. Ich lege mich gerade auf den Rücken und strecke mich ausgiebig. Ob ich endlich neue Freunde gefunden habe? Aber ich will nicht zu leichtsinnig sein, deswegen freue ich mich mal icht zu sehr - dennoch. Roxas hinterlässt einen tollen Eindruck bei mir und ich sehe schon vor dem geistigen Auge, wie ich ihn Roxy nenne. Mein Kopf macht bereits Veränderungspläne. Jede Pause bei der Schülerhilfe? Endlich jemanden, der mich leiden kann? Und vielleicht finde ich durch Roxas Hilfe sogar eine Freundin!
Eigentlich will ich keine Beziehung, aber zu wissen, dass jemand mit mir gehen würde, würde mein Selbstwertgefühl unheimlich stärken.

"Wie war heute die Schule?", fragt meine Mutter beim Mittagessen. Heute gibt es Hähnchen mit Reis! Noms noms.
Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: "Ganz normal."
Was soll ich schon dazu sagen? Es interessiert sie doch sowieso nicht.
Es ist nicht so, dass meine Mum mich nicht liebt oder so etwas ähnliches, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre Fragen ernst meint. Die Zeit, in der ich weinend nach Hause gekommen bin, weil die anderen mich wieder aufgezogen haben, ist schon länger vorbei. Nie hat sie mir wirklich helfen können und nach der Therapie hat sie es ganz aufgegeben. Ob Roxas mich wohl auch aufgeben wird?
Ich grinse vor mich hin und lege glücklich und sorgfältig die Haut des Hähnchens beiseite, um sie als Extra zu verzehren. Das ist immer das beste daran. Ich frage mich, was Roxas gerne isst? Vielleicht mag er ja auch Mangas?

"Was grinst du so dämlich?" Mein kleiner Bruder schießt mir Teile von seinem Reis herüber, während seine Gabel als Katapult dient.
"Ich grinse doch gar nicht", entgegne ich in dem Tonfall, in welchen man einfach mit den kleinen Geschwistern spricht. "Doch, hast du. Woran denkst du?", hakt auch meine Mutter nach.
Ich kann mein Grinsen nicht mehr unterdrücken und lasse es einfach frei heraus. "An gar nichts", gebe ich mit einen zufriedenen Seufzer von mir.
Meine Familie beäugt sich, als ob sie ein Geheimnis gelüftet hätten.
"Du hast eine Freundin!", bricht es förmlich aus meiner Mum heraus.
Was? Nein! "Nee!"
"Reza ist verliebt! Reza ist verliebt!"
"Nein!", lache ich zurück, stehe auf und komme um den Tisch, um meinen Bruder in die Mangel zu nehmen und ihm eine gemeine Kopfnuss zu verpassen.
Das hat er eben davon!

Zufrieden rolle ich mich im Bett zusammen und ziehe die Decke über den Kopf. Ich muss heute einen geistigen Tagebucheintrag schreiben ... Natürlich über Roxas, aber auch über Jay.
Ehrlich gesagt habe ich ein bisschen Angst davor, den Grünkopf morgen zu treffen, aber mir wird wohl kaum eine andere Wahl bleiben.

"Komm rein!", empfängt mich der Kettenjunge, nachdem ich ganz aufgeregt geklopft habe und ich bin voller Vorfreude auf Roxas! Ich presse mich an Jay vorbei und scanne die Umgebung ab. Roxas ist nicht hier? Aber er hat doch gesagt, ich würde ihn hier antreffen...
Im selben Moment höre ich Jays Stimme leise hinter mir. "Hast du mit ihm geredet?"
"Ja", flüstert eine alt bekannte Stimme zurück und der Kummer, der schon an mein Herz angeklopft hat, spaziert einfach weiter und lässt mich in Ruhe. Am liebsten würde ich Roxas umarmen, aber ich würde mich sowieso nicht trauen. Mit Freude in der Seele drehe ich mich um, doch Roxas endlos trauriger Blick versetzt mich kurz in einen Gefrierzustand. Was ist los mit ihm? Alles okay?
Doch als er mich sieht, lächelt er sofort wieder und kommt auf mich zu. Ich habe doch genau gesehen, dass ihm gar nicht lächeln zumute ist ...
Roxas öffnet vor mir seine Arme und umschließt mich wie einen alten Freund, den er unendlich vermisst hätte.
"Und wie gehts dir heute, Kleiner?"
Ich glaube, ich kann jetzt behaupten zu wissen, wie sich ein Herzstillstand anfühlt. Den eigenen, rythmischen Schlag höre ich in meinen Ohren und meine Brust fühlt sich an, als ob sie Beben würde. Mich hat noch nie jemand wirklich umarmt. Roxas gibt mir wirklich dad Gefühl dazu zu gehören. Trotzdem ... irgendetwas hat er doch, oder?

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