Kapitel 75: Kai

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Schweigend liefen Lloyd und ich nebeneinander her.

Es war dieses unangenehme Schweigen, das sich wie eine schwere Decke um dich legte und zu ersticken drohte. Du willst es unterbrechen, hast aber Angst, dass sich diese Decke zuschnürt, sobald du den Mund aufmachst.

Wir stiegen tiefer in den Wald hinein. Die Bäume wurden höher und dichter und die Sonne kam nur noch schwer durch das Dach aus Blättern hindurch. Wir stolperten über Wurzeln, kletterten über Baumstämme und kämpften uns einen Weg durch das Dickicht.

Als wir an einem kleinen See ankamen, hielten wir an und erfrischten uns. Nachdem Lloyd seine Flasche mit neuem Wasser aufgefüllt hatte, tauchte ich meine Hand hinein und schrubbte das Blut von ihr ab.

Mit einem Seufzen sah ich zu ihm. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen. Aber heraus kam kein einziger Ton. Diese Stille zerrte an mir wie eine Meute wildgewordener Hunde. Nicht mehr lange und sie wird mich beißen.

Wir liefen weiter.

Die Stunden vergingen und die Sonne wanderte nach Westen. Die Dämmerung brach über uns herein. Wir hatten Hunger und waren müde. Aber die Suche nach Cole trieb uns an. Dabei wussten wir nicht einmal, ob wir auf dem richtigen Weg waren.

Lloyd brach das Schweigen als Erster. „Du weißt es schon länger, oder?"

„Ja", murmelte ich.

„Du kannst dich an alles wieder erinnern, habe ich recht?"

„Ja." Die Wahrheit weiter zu verschweigen brachte ja doch nichts. Die Decke über uns blieb weiterhin auf Spannung, aber ich hatte das Gefühl, dass sie sich ein wenig gelockert hatte und mir wieder Raum zum Atmen gab.

„Und wie geht es dir damit?"

„Ich weiß nicht, seltsam, irgendwie", gestand ich. „Aber letztendlich bleibt mir ohnehin nichts anderes übrig als zu akzeptieren, was nicht zu ändern ist."

Er nickte. Ich hatte Angst vor seiner nächsten Frage. Wird er mich auf den Kuss ansprechen? Doch diese Frage kam nicht.

„Denkst du, wir sind auf dem richtigen Weg? Der Wald ist groß. Cole könnte überall sein."

„Welche Alternative haben wir denn? Unsere Handys haben hier keinen Empfang und selbst wenn sie es hätten, er würde nicht rangehen. Und den Postweg können wir hier total vergessen." Dann fiel mir etwas ein. „Nein, warte, es gibt noch eine dritte Möglichkeit." Abrupt blieb ich stehen und erinnerte mich zurück an Sensei Irukas Worte.

Lloyd musterte mich argwöhnisch. „Ja, welche denn?"

„Die Chakra-Kugel."

„Die was?"

Aber ich war bereits von meiner Idee überzeugt und schloss die Augen. Schnell hatte ich mich in die entsprechende Position begeben und spürte meine Lebensenergie durch meinen Körper fließen. Soweit so gut. Ich formte meine Hände zu einer Kugel, was mir beim Visualisieren enorm weiterhalf, wie ich die letzten Tage festgestellt hatte. Dann begann ich damit sie zu manifestieren.

„Was genau machst du da denn jetzt?", fragte er.

„Das ist eine Chakra-Kugel", erklärte ich. „Du kannst sie für alles programmieren, zum Beispiel, um Nachrichten zu überliefern. Also warum nicht auch, um jemanden zu suchen?"

„Wo hast du das gelernt?"

Es war mir verboten, darüber zu sprechen, das wusste ich. Aber jetzt hatte ich damit angefangen, also hatte er auch ein Recht darauf den Rest zu erfahren. Vor allem, nachdem ich ihm die ganze Zeit über verschwiegen hatte, mich wieder erinnern zu können.

„Von den Shenzhen."

„Den Shenzhen?"

„Eine alte Sekte, die die Eigenschaften der Ninja und der Sōhei in sich vereinten. Sie agierten im Verborgenen und gaben ihr Wissen nur an von ihnen auserwählten weiter. Sie haben die Kontrolle über ihr Chakra perfektioniert und waren somit ein gefährlicher und berüchtigter Gegner."

„Ich verstehe nicht ganz. Du sprichst von ihnen in der Vergangenheit. Gibt es die etwa noch? Ich habe nie zuvor von ihnen gehört."

„Ein paar wenige. Sie waren nicht sehr bekannt. Und ihr Wissen ist über die Jahre in Vergessenheit geraten."

„Und woher weißt du darüber?"

„Ich bin einigen von ihnen begegnet."

Ich legte meine letzte Konzentration auf alles, was mich an Cole erinnerte. Sein Geruch, eine Mischung aus Mandeln und Erde. Sein Gesicht, die schwarzen Haare, die walnussbraunen Augen. Seine Aura, die er ausstrahlte, ruhig und beständig. Ich übergab diese Informationen der Chakra-Kugel, umhüllte sie mit weiteren Schichten und ließ sie frei. Dann öffnete ich die Augen.
Lloyd starrte mich an, als hätte etwas Fremdartiges ihn in seinen Bann gezogen. Er blinzelte einige Male kräftig. „Das war unglaublich. Ich habe sie zwischen deinen Händen gesehen und auf einmal flog sie weg."

„Sie flog wirklich weg?", fragte ich und hegte die Hoffnung, dass es tatsächlich klappen könnte.
Er nickte. „Ja. Wie ein Ball, aber irgendwie krasser. Es ist schwer zu beschreiben."

„In welche Richtung ist sie geflogen?"

Lloyd zeigt in die besagte Richtung. Es war Norden. So wie der alte Gastwirt gesagt hatte.

„Dann gehen wir unseren Weg weiter", beschloss ich und setzte mich wieder in Bewegung. Lloyd folgte mir.

Während wir liefen, verabschiedete sich die Sonne endgültig und wir tasteten uns im Dunkeln vorwärts. Der Wald war belebt. Tiere raschelten im Dickicht. Irgendwo rief ein Waldkauz. Und aus weiter Ferne hörte man das Plätschern eines kleinen Baches.

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie und wo du ihnen begegnet bist."

„Du meinst die Shenzhen?", fragte ich.

Er nickte.

Ich beschloss, die ganze Wahrheit zu erzählen. „Morro und Skylor haben mich hingeführt."

„Du machst gemeinsame Sachen mit ausgerechnet den beiden!?" Das Entsetzen stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

„Was nicht bedeutet, dass ich auch nur im Geringsten gutheiße, was die beiden getan haben."

„Warum?", fragte er. „Warum lässt du dich auf die beiden ein?"

„Um stärker zu werden."

„Dein Ziel ist es nach wie vor die Dämonen zu vernichten, oder?"

„Ich dachte, das ist unser aller Ziel. Das ist doch der einzige Sinn und Zweck, dem diese Akademie dient."

Er sah mich eine Weile an, ehe er seine nächste Frage formulierte. „Ja, das Ziel der Akademie. Aber was ist dein Ziel? Wirst du diese Dämonen wirklich vernichten können, wo du doch selbst einer bist?"

Kaum eine andere Frage hatte ich mir in letzter Zeit so oft gestellt wie diese. Und bisher hatte ich keine Antwort auf sie gefunden.

Plötzlich vernahm ich Stimmen aus meinem Kopf.


„Unser nächstes Ziel ist die Stadt Bernello."

„Was? Die Stadt der Reichen und Schönen?"

„Was sollen wir dort?"

„Na, was schon. Wir werden mit ihnen auf dem roten Teppich posieren und im nobelsten Restaurant der gesamten Stadt speisen!"


„Die Stadt Bernello", murmelte ich und hielt mir den Kopf.

Lloyd sah mich fragend an.

„Da werden wir Cole finden."

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now