19. beide Sichten

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Aerons Sicht:

Als ich aufwachte lag ich auf Erics Bett und er schnarchte neben mir. Ich tastete nach meinem Handy und stand ächzend auf, als ich es nicht fand.

Da.

Auf dem Fußboden lag es und ich hob es hoch. Lotte hatte mir unzählige Male geschrieben.

Ich übernachte jetzt bei Val, war ihre letzte Nachricht und da fiel mir ein, dass ich sie ja hatte abholen wollen.

Scheiße. Ich war egoistisch. Das war ich immer schon gewesen. Aber bei manchen Menschen tat es mir wirklich leid.

Also rieb ich mir müde über die Stirn, warf noch einen Blick auf Eric und verließ dann sein Haus.

--

Lotte war wie erwartet sauer. Nachdem sie mich eine halbe Stunde blöd angemacht hatte, war sie aus meinem Zimmer verschwunden. Als ich kurz darauf an ihrer Tür klopfte, lag sie auf dem Bett und sah auf. Ihr Blick fiel zunächst auf mich, dann auf die Tasse in meiner Hand.

>> Heiße Orange? <<, fragte sie hoffnungsvoll. >> Mit einem Spritzer Zitronensaft? <<, fuhr sie fort, als ich nickte. Dann grinste sie und deutete neben sich. >> Ich bin dir nicht mehr böse. Du kannst die Tasse auf den Nachttisch stellen. <<

Dann rückte sie rüber und ich rutschte neben sie. >> Wie wars denn gestern? <<, fragte ich versöhnlich nach.

Sie erzählte mir davon, dass Nathalie und Bel gar nicht gesungen hatten, aber sie und Val dafür umso mehr. Und dass eine fremde Person beim Singen plötzlich von der Bühne gekotzt hatte.

Während ich sie dabei beobachtete, wie sie prustend und glücklich vom Vortag erzählte, kam ich nicht umhin, sie zu beneiden.

Lotte lebte.

Sie unternahm Dinge, sie traf Menschen, sie sammelte Erfahrungen.

Ich überlebte.

Ich stand auf und versuchte den Tag zu überstehen.

Manchmal sah ich Eric oder normalerweise Emilia. Dann ging ich schlafen, glücklich einen weiteren Tag hinter mich gebracht zu haben. Ich würde nicht sagen, dass ich depressiv war.

Das war ich schon lange nicht mehr. Aber wenn ich aufwachte, dann gab es einfach nichts, auf dass ich mich freute.

Himmel, es war so ein großer Unterschied zu leben oder zu überleben.

>> Ophelia hat sich letzte Nacht übrigens noch gemeldet. <<

Als sie das rothaarige Mädchen erwähnte, wurde mir ein wenig wärmer im Bauch und mein Blick zuckte zu meiner Schwester. >> Sie hatte eine Art allergische Reaktion sagt sie. Deshalb konnte sie nicht gut atmen. <<

Eine allergische Reaktion also. Ich war mir sicher, dass das eine Lüge war. Als ich nichts sagte, griff Lotte nach der Tasse auf ihrem Nachtschrank und nahm einen großen Schluck.

>> Aber jetzt geht es ihr wieder gut und sie wollte heute Abend vorbeikommen. Wir wollten einen Film schauen. <<

Ich zog die Nase hoch und schaute möglichst uninteressiert auf meine Hände runter. >> Nur ihr zwei? <<

>> So ist das nicht <<, kam es sofort von ihr und fragend zog ich eine Augenbraue nach oben. Doch dann machte es klick. Lotte dachte, dass ich eine Anspielung auf SIE gemacht hatte.

Gut. Gut, gut, gut. Sollte sie das denken.

Ich wusste selbst nicht, wieso ich mich gefragt hatte, ob nur sie kam. Vielleicht, weil ich dann eher kurz mit ihr sprechen konnte und fragen, wie es ihr ging. >> Ist es nicht? <<, fragte ich, als ich merkte, dass ich ihr noch nicht geantwortet hatte.

AERON - Vom Tod geküsstWhere stories live. Discover now