Kapitel 44 - Atimis

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Atimis hatte den Blick auf den Boden gerichtet und versuchte krampfhaft, nicht an Laskina zu denken. Es gelang ihm nicht, immer wieder wanderten seine Gedanken zu ihr und unweigerlich zu Ethonis, den sie ihm vorgezogen hatte. 

Sie marschierten schon nun eine ganze Weile, geschützt im hohen Gras. Rilsas und seine eigenen Schritte waren deutlich zu hören, während die beiden Schlangen beinahe lautlos durch das Gras glitten. 

„An was denkst du?", riss ihn auf einmal Rilsas Stimme aus seinen Gedanken und erschrocken wandte er den Kopf zu ihr herum. Sie lief näher neben ihm, als er es erwartet hatte und er fragte sich, ob sie schon die ganze Zeit so nah bei ihm gewesen war. Missmutig zwang er sich zu einem Lächeln, doch es musste eher wie eine Fratze aussehen. Rilsas Blick hingegen war freundlich und aufmerksam, so als würde sie wirklich interessieren, wie es ihm ging. 

„Ich habe Angst, sie wieder zu sehen", sagte er wahrheitsgemäß und sah, wie Rilsa nickte. 

„Das verstehe ich gut, aber... was wäre das Schlimmste, das passieren könnte?", fragte sie weiter, was Atimis stocken ließ. Er konnte diese Frage gar nicht so ohne Weiteres beantworten, denn allein die Situation, dass sie voneinander getrennt waren, erschien ihm schon schlimm genug. 

Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, damit er den Anschluss an die anderen nicht verlor, doch nach und nach bildete sich eine klare Szene vor ihm, die sein Herz schwer werden ließ. 

„Dass sie unglücklich ist und ihre Entscheidung bereut, sie aber nicht mehr rückgängig machen kann. Wenn ihr Leben nun noch schlimmer ist, als es zuvor war. Das wäre das Schlimmste, das passieren könnte", sagte er und spürte, wie sein Herz sich unangenehm zusammenzog. Rilsa setzte zu einer Erwiderung an, doch bevor sie etwas sagen konnte, wurden sie von einem gequälten Stöhnen unterbrochen. 

Verwirrt sahen sie zu Tessina, von der das Geräusch gekommen war. 

„Denk doch einmal nur an dich, Junge! Ist sie diesen Kummer wirklich wert? Sie hat den einfachen Weg gewählt und sich einen Hohen Menschen gesucht, anstatt zu kämpfen. Anstatt die Situation für alle zu verbessern, hat sie den einfachen, egoistischen Weg gewählt", sagte Tessina mit beinahe genervter Stimme, doch er erkannte auch so etwas wie Wehmut darin. Atimis wusste nicht, was er dazu sagen sollte, denn im Prinzip hatte Tessina recht. 

„Taktvoll wie immer", kommentierte Rilsa, lachte aber leise. Machten sie sich etwa über ihn lustig? Atimis schnaubte, beschleunigte seine Schritte und ging an den beiden Schlangen vorbei. Wütend schob er die Hände in die Taschen und marschierten eilig weiter. 

„Atimis! Es war nicht böse gemeint", rief Tessina ihm nach und wie von allein verlangsamte er seine Schritte wieder. Es wäre alles andere als klug, nun eingeschnappt allein durch die Gegend zu wandern. Er atmete tief durch, ließ die Schultern hängen und sah zu der Schlange herunter. Sie erwiderte den Blick und für eine Sekunde erkannte in ihrem Blick Verständnis.

 „Ich will nur sagen, dass du dich nicht von ihr klein kriegen lassen solltest. Sie hat sich gegen dich entschieden, gegen uns, anstatt mit uns zu kämpfen. Es war allein ihre Entscheidung und nun muss sie damit leben. Mach dich nicht verrückt vor Sorge um sie. Wir sind alle bei dir und helfen dir. Du musst nicht allein dadurch", sagte Tessina und klang auf einmal ganz und gar nicht mehr spöttisch oder hämisch, sondern einfühlsam. Atimis nickte, dennoch war ihm klar, dass er derjenige sein würde, der mit Laskina sprechen musste. 

Er richtete den Blick wieder nach vorn und erblickte Kosiris, der schon den ganzen Weg über schweigsam gewesen war. Er war einige Schritte von ihnen entfernt und ließ den Blick ständig umherwandern, auf der Suche nach Gefahren. 

Atimis hörte, wie Rilsas Schritte wieder näher kamen und keine Sekunde später spürte er ihre Hand auf seiner Schulter. 

„Was Tessina eigentlich sagen wollte: Kopf hoch", raunte sie ihm zu und auch wenn er wusste, dass Tessina ihn nicht verärgern wollte, taten diese Worte gut. 

Der Biss der SchlangeWhere stories live. Discover now