Kapitel 64 - Rilsa

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Rilsa spürte Atimis starke Arme um ihren Körper und es war ein wunderbares Gefühl. Er hielt sie fest, küsste ihre Wange und schmiegte sich an sie. 

„Dir ist klar, dass wir ausgepeitscht werden, wenn wir erwischt werden?", fragte sie, musste aber grinsen. Atimis lachte leise. 

„Dir ist klar, dass mir das egal ist?", fragte er frech, küsste sie noch einmal auf die Wange und löste sich von ihr. Er trat an das Hologramm und betrachtete sie Landkarte. 

„Wir kommen wirklich schnell voran", sagte er und deutete auf den kleinen roten Punkt, der ihren Standort kennzeichnete. Rilsa trat näher an ihn heran und studierte das Hologramm. Tatsächlich waren sie schon einige Kilometer weit gekommen. 

„Es liegt aber noch jede Menge Arbeit vor uns. Vom Regierungsgebäude bis zum Meer sind es knapp 20 Kilometer und genauso breit ist ungefähr das bevölkerte Gebiet", setzte sie an und rechnete. 

„Wenn wir ein Gittermuster graben und pro Kilometer zehn Tunnel graben, brauchen wir dafür schon etwas mehr als 21 Tage. Vorausgesetzt, wir graben rund um die Uhr", überlegte sie und spürte auf einmal so etwas wie Ernüchterung in sich aufkeimen. 

„Aber du vergisst, dass sich die Regierungsgebäude auf eine viel kleinere Fläche zentrieren. Darauf sollten wir uns konzentrieren, sodass die Slums der Niederen Lebewesen verschont bleiben", sagte Atimis und Rilsa musste zugeben, dass er recht hatte. 

„Stimmt. Untergraben wir zunächst die Region der Regierung. Die Elstern in den Slums werden wohl oder übel anders beseitigen müssen", sagte sie, doch Atimis lachte wieder. 

„Glaubst du wirklich, sie werden sich nicht ergeben? Sie sind ziemlich feige", bemerkte er abfällig, doch Rilsa war sich da nicht so sicher. 

„Ja, und sie sind hinterhältig. Wir sollten ihr keine Gnade zuteil werden lassen, hinterher holen sie zu einem Gegenangriff aus", erwiderte sie. Atimis schien darüber nachzudenken, bis er leise brummte. 

„Man müsste sie sicher irgendwo einsperren, wenn sie sich ergeben", murmelte er und auch wenn diese Vorstellung alles andere als vereinbar mit ihrer Idee des Friedens war, musste sie zugeben, dass er recht hatte. Aber darüber würden sie sich später noch Gedanken machen können. Erst einmal mussten sie graben und das auch noch für eine ganze Weile. 

„Rilsa, darf ich dich noch etwas fragen?", riss Atimis sie plötzlich aus ihren Gedanken und eilig wandte sie sich ihm zu. 

„Wie alt bist du? Du sagtest, dass du bereits mehrere Jahre in den Tunneln lebst", wollte er wissen und auch wenn seine Frage durchaus direkt war, wollte sie sie ihm beantworten. Bei der Erinnerung, wie lange sie nun schon als Aussätzige lebte, wurde ihr übel. 

„Ich war ungefähr in deinem Alter, als ich von den Androiden verstoßen wurde. Das war war neun Jahren. Heute bin ich 33", sagte sie und kam sich merkwürdig vor, ihr Leben in Jahren zu messen. Viel sinnvoller wäre es doch, das Leben in Taten zu messen. Wie oft jemand etwas Gutes getan hatte. 

„Du siehst sehr viel jünger aus", bemerkte Atimis, was sie grinsen ließ. Er war wirklich zu charmant. Einen Moment lang herrschte ein angenehmes Schweigen, bis Atimis wieder den Arm um sie legte. 

„Stellst du dir auch manchmal vor, wie es in der neuen Welt sein könnte, wenn unser Plan wirklich funktioniert?", fragte er weiter, allerdings erkannte sie in seiner Stimme den Hauch von Wehmut, als hätte er ein negatives Bild vor sich. 

„Meinst du vor oder nach dem Wiederaufbau?", fragte sie, denn durch die Flutwelle würde zweifelsfrei alles zerstört sein. 

„Danach. Vielleicht... vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, nicht genau hier in diesem Gebiet wieder zu siedeln. Es wird von der Welle so unterspült sein, dass der Boden einsacken wird", sagte er und Rilsa musste zugeben, dass sie daran noch gar nicht gedacht hatte. 

Einen Moment lang überlegte sie, wo ein geeignetes Siedlungsgebiet sein konnte. Jedoch wurde ihr in diesem Moment bewusst, dass sie noch nie außerhalb des heutigen Siedlungsgebietes gewesen war. Vielleicht gab es nirgendwo anders fruchtbares Land. 

„Gibt es dann in der Nähe Land, das dem unseren gleicht?", fragte sie, woraufhin Atimis die Schultern zuckte. 

„Das werden wir herausfinden müssen", erwiderte er und wieder einmal war sie von seinem Optimismus beeindruckt. 

„Aber mal angenommen, es gäbe es. Wie stellst du dir das Leben dann vor?", bohrte er weiter und sofort erschien ein sehr klares Bild vor ihrem inneren Auge. 

„Es gibt keine Slums mehr. Alle Lebewesen wohnen gemeinsam im gleichen Gebiet. Es wird keine Prunkanwesen wie das von Ethonis oder anderen Hohen Menschen mehr geben, sondern alle sind gleichberechtigt und haben zu Beginn ein solides Haus. Das wäre schon einmal ein guter Anfang", sagte sie und sah, wie Atimis zustimmend nickte. 

„Und wie stellst du dir die Landschaft vor?", fragte er weiter und Rilsa überlegte. 

„Ich fände ein Haus am Wasser wunderschön. Ich könnte jeden Tag schwimmen gehen und die frische Luft einatmen", schwärmte sie. 

„Das fehlt dir am meisten, habe ich recht? Die frische Luft, nicht mehr unter der Erde leben zu müssen", hörte sie ihn sagen und ohne darüber nachzudenken nickte sie. 

„Ja, allerdings. Allein, sich nicht mehr verstecken zu müssen würde mein Leben schon so viel besser machen", sagte sie und verlor sich einen Moment lang in der Erinnerung, wie ihr Leben vor ihrem Dasein als Aussätzige gewesen war. Eigentlich war es kein schlechtes Leben gewesen, auch wenn die Androiden so gut wie keinen Kontakt zu der Außenwelt hatten. 

„Das ist doch ein Ziel, das wir uns vor Augen halten können. Wir beide, zusammen in unserem kleinen Haus am Wasser", sagte er leise an ihrem Ohr und zog sie enger an sich. Rilsa kicherte, denn so gefühlsduselig und träumerisch kannte sie Atimis gar nicht. Aber diese Seite von ihm gefiel ihr. 

„Wir sollten uns nicht zu sehr in Tagträumereien verlieren. Es liegt noch viel Arbeit vor uns und womöglich wird es zu einem Kampf kommen zwischen uns und den überlebenden Hohen Menschen", sagte sie und zerstörte damit zwar die träumerische Stimmung, holte sie beide aber gleichzeitig zurück auf den Boden der Tatsachen. Atimis seufzte. 

„Du hast recht", sagte er nur, löste sich von ihr und setzte sich wieder auf den Boden. Rilsa tat es ihm gleich, griff aber nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. 

„Meinst du, Tessina und Kosiris stehen auch irgendwann zu ihren eindeutigen Gefühlen füreinander?", fragte Atimis auf einmal und Rilsa gluckste. Anscheinend war es nicht nur ihr aufgefallen. 

„Oh, Tessina ist in der Hinsicht etwas schwierig, aber vielleicht geben wir ihr einen Stups in die richtige Richtung", gab sie zurück und hörte Atimis leises Lachen. 

Der Biss der SchlangeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt