Kapitel 4

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Erst als sie im Zug waren und jeder auf seinen Platz saß, begriff Jungkook, dass sie alle in nächster Zeit miteinander auskommen mussten. Namjoon und Jimin saßen—wer hätte es auch anders erwartet—nebeneinander, ihre mit Ringen bestückten Hände liebevoll ineinander verschlungen und Jimins Kopf auf Namjoons Schulter. Neben ihnen waren Taehyung und Yoongi, dahinter Hoseok, Jungkook und Jin.

Jungkooks Angst war groß gewesen, als er gesehen hatte, dass Yoongi nicht neben ihm saß, sondern Hoseok und Jin. Sein Worst-Case-Szenario wurde wahr und die Stille war so erdrückend, dass er am liebsten aus seiner Haut fahren wollte.

Die erste Stunde der Fahrt verging, doch keiner sagte ein Wort.

Jungkook war angespannt—sogar mehr als das. Er hatte das Gefühl, über heiße Kohlen zu laufen, wobei er aber keinen Laut von sich geben durfte, auch wenn er Schmerzen hatte.

Er konnte im Augenwinkel sehen, wie Taehyung in seinem Notizbuch zeichnete und die Augenbrauen konzentriert zusammenzog. Das machte er immer, wenn ihn etwas störte—wenn er unzufrieden war. Der Anblick warf ihn kurzzeitig so aus der Bahn, dass er den Kopf mit einem Ruck zur Seite schleuderte und komische Blicke von den anderen erntete.

Weil keiner mit ihm sprach und er die ganze Fahrt über nicht Löcher in die Luft starren wollte, holte er seinen Laptop raus und öffnete sein Manuskript. Er brauchte ein paar Minuten, um sich zu sammeln, bevor er die Worte auf seinem Bildschirm endlich sehen konnte und Kim Taehyung aus seinem Gedächtnis verschwand.

Er versuchte zu arbeiten. Er wusste, er musste jede freie Zeit nutzen, um bei seinem Manuskript voranzukommen. Der Abgabetermin war in vier Wochen und wenn er bis dorthin nicht fertig wurde und seine Arbeit einreichte, würde er gegen seinen Vertrag verstoßen und sein Verlag könnte ihn theoretisch fallen lassen, ohne rechtliche Konsequenzen. Würden sie nicht tun, er war gut. Sehr gut sogar. Sein letztes Buch hatte so viele Auflagen wie noch nie gehabt und er prahlte nicht gerne, aber er war so, so stolz auf sich gewesen, dass er drei Tage durchgeweint hatte. Ihm fehlten zehntausend Wörter von der Rohfassung. Es klang nicht nach viel. Aber wenn er überlegte, dass er seit zwei Wochen an dem verdammten Schluss schrieb, aber nichts passte, war es doch viel. Nichts war richtig. Nichts war gut. Aber er konnte einfach nicht die Kraft und die Motivation aufbringen, seinen Charakteren das zu geben, was sie verdient hätten.

Als Jungkook zu tippen begann, gab es nur ihn und seinen Laptop. Nur ihn und sein Buch. Der Rest der Welt verschwand und alles, was er sah, waren Worte auf weißem Papier. Er tippte vielleicht fünfhundert Wörter, bis seine Finger nachgaben und er stoppte. Er löschte die letzten zweihundert Worte und begann von neu. Dann löschte er sie wieder. Er schrieb einen neuen Anfang. Dann löschte er es wieder. Und wieder. Und wieder. Er begann komplett von neu, er rollte das Kapitel von vorne auf und dann—

Er seufzte und löschte es.

Das war so schlecht, dass er wirklich daran zweifelte, je wieder ein Buch veröffentlichen zu können.

"Was schreibst du?", fragte jemand leise neben ihm.

Jungkook war so vertieft in seinen Gedanken gewesen, dass er unabsichtlich einen verwirrten und gleichzeitig erschrockenen Laut von sich gab, der klang, wie eine Ziege kurz vorm Sterben.

Er hörte, wie jemand von der vorderen Reihe kicherte—Namjoon.

"Was?", piepste er. Er hatte das Bedürfnis seinen Laptop zuzuklatschen. Es war nur eine Rohfassung. Er wollte nicht wissen, was sein Gehirn an Plot gezaubert hatte, wenn es an die Überarbeitung ging.

"Was schreibst du?", fragte Hoseok nochmal, sein Mund angespannt, als hätte er die Frage bereits bereut.

"Oh." Jungkook räusperte sich. Er senkte die Stimme. "Nur ein neues Buch. Es... es ist noch nicht fertig."

The Light We Lost [VKOOK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt