2. Kapitel: Das Ginger Dove Diner

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Februar 2130
Young New York City, Queens
Wynona's Wohnung

Seraphim saß allein auf der Couch, die er mittlerweile gut kannte. Er hatte letzte Nacht viel geschlafen;
Das verriet ihm ein Blick auf die Uhr, die nur ein ungewöhnlicher Bildschirm war.
Logan wurde von Wynona zur Schule gefahren und Seraphim hatte es wohl verschlafen. Womöglich hatte Wynona ihn aber absichtlich nicht geweckt. Am Vorabend war sie ihm sehr mütterlich gewesen. Sie hatte ihm geholfen, sich die Couch einzurichten, ihm ein Sandwich gemacht, welches er nicht fertig essen konnte, ihm das Bad gezeigt und ihm eine Zahnbürste hingelegt. Die Wohnung war für 2 Personen gerade mal so groß genug, dass man keine Platzangst entwickeln konnte. Sie war aber warm und von den Nachbarn hörte man nichts.

Er beschloss, sich endlich von der Couch wegzubewegen und sich die Bilder an der teilweise heruntergekommen Tapete anzusehen, die seine Neugier seit einer Stunde weckten. Seine Finger fuhr er über die Bilderrahmen, die keinen Staub aufwiesen. Jemand kümmerte sich wohl gut um die Bilder.
Das Bild war ein einfaches Familienfoto. Logan grinste mit seiner breiten Zahnlücke, während Wynona ihm an beiden Ohren zog. Neben ihnen stand ein junger Mann, mit denselben runden, dunklen Augen und der gebräunten Haut wie Logan, und lag seinen Arm über Wynonas Schulter. Vielleicht Wynonas Ehemann. Vielleicht war er gestern Nacht noch auf der Arbeit. Seraphim wollte ihn gerne kennenlernen.

Dieses alberne Szenario ließ Seraphim sich beschwingt fühlen;
Bis er sich dran erinnerte, dass ihm genau das fehlte. Er erinnerte sich an niemanden, weder Familie noch Freunde. Ob ihn wohl jemand zuhause erwartete? Suchten vielleicht bereits Menschen nach ihm? Würden sie Vermisstenplakate an den Straßen hängen und seinen Namen rufen? Wobei Letzteres zu nichts führen würde, schließlich hatte er sogar seinen Namen vergessen.

Er schaute wieder zu Wynonas Bild, auf dem sie aus vollem Halse lachte. Er wollte schon nach ihrem Gesicht tasten, bis hinter ihm plötzlich die Haustür aufgeschlossen wurde. Wynona selbst platzte he
rein, mit weniger fettigen Haaren als gestern, und schneebedeckten Schuhen. "Heute schneit es richtig heftig, dabei war vorgestern noch Hitze. Sonst war es richtig feucht und kalt, aber ohne Schnee. Ich such' dir ein Sweatshirt raus, mit deinem T-Shirt frierst du dir draußen alles ab. Eins von mir sollte dir passen, bist ja nicht grad' der Breiteste.", platzte sie rein. Sie schwankte ihren Blick zwischen Seraphim und dem Familienfoto und schenkte ihm ein Lächeln. "Hast du dir schon die Zähne geputzt? Oder dich gewaschen? Ich bring dir das Shirt ins Bad, wenn du's noch nicht getan hast."

Seraphim hauchte in seine Handfläche rein, aber roch nichts. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Wynona ein wenig irritiert das Gesicht verzog. Er entschied sich, ein Bad zu nehmen;
Schließlich konnte er nicht wissen, wie lange er auf dem Schrottplatz lag. "Ja, gerne. Ich nehme dann einfach ein Handtuch von drinnen, ist das in Ordnung?"
Wynona nickte nur. "Sei nur in höchstens einer Stunde fertig!", rief sie ihm hinterher.

Zwischen seinen langen, weißen Fingern zwirbelte er seine langen, weißen Haare. Als er sich vor dem Badezimmerspiegel um seine eigene Achse drehte und die Art und Weise betrachtete, wie sein Haar durch die Luft flog, war er faszinierter als er sein sollte. Er zog an der Haut unter seinen grauen Augen, fuhr sein schmales Kinn und seine leicht gekrümmte Nase nach und zog an seinen Mundwinkel. Seine Zähne waren perfekt und seine Lippen wie künstlich gerötet. Er zählte die kleinen Schönheitsflecken an seinem Gesicht und seinem Hals, bis Wynona erneut reinplatzte und ihm zusammengefaltete Kleidung hinlag. Irgendwie fühlte sich Seraphim ertappt, als Wynona ihn belächelte und wieder rausging. "Hätte nicht gedacht, dass du eitel bist. Wär' ich an deiner Stelle aber auch."

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Mit nassen Haaren in der kühlen Luft herumzutrotten war nicht seine klügste Entscheidung. Seine Hände versuchte er warm zu hauchen, doch das Atmen fiel ihm so schwer. Die Luft war feucht und schwer, doch der Schnee schien nicht schmelzen zu wollen.

Identity: Lost PurposeWhere stories live. Discover now