𝚆𝚘𝚞𝚗𝚍𝚜 & 𝚂𝚌𝚊𝚛𝚜 𝚙𝚝. 3 - 𝒴ℴℴ𝓃𝒦ℴℴ𝓀

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TW: Selfharm und eating disorder

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Mit brennenden Lungen rannte der Rothaarige an dem spärlich belichteten Ufer des Han-Rivers entlang. All die Menschen, die am Heilig Abend noch wegen ihrer Hunde draußen waren und Gassi gingen, sahen dem durchaus gutaussehendem jungen Mann neugierig hinterher.

Doch das interessierte den 27-Jährigen reichlich wenig. Seine Gedanken waren einzig und allein bei dem Schwarzhaarigen und dass dieser hoffentlich noch leben würde, wenn er bei ihm ankommen würde.

„D-du musst nicht r-rennen." – leise hicksend ertönte die Stimme des Älteren in dem Ohr des Größeren, der noch während des Anrufs mit Kopfhörern losgerannt war. – „Ich bi-in nicht wi-icht-tig."

„Sag so was nicht." – krampfhaft versuchte Jungkook eine gefasste Stimme und ruhigen Atem vorzuweisen. Er durfte auf keinen Fall hektisch wirken, ansonsten würde sich der Mann womöglich irgendwo runterstürzen und er war sich ziemlich sicher, dass man nicht ewig in dem schwarzen, eiskalten Wasser des Flusses überleben konnte. – „Jeder ist wichtig. Und du ganz besonders."

Er konnte nicht sagen, woran es gelegen hatte, doch hatte der Rothaarige bei jeder einzelnen Bestellung, die er nach ihrem Zusammentreffen ausgeliefert hatte, gehofft, den Älteren durch einen Zufall wiederzusehen. Bei jeder Adresse, die in demselben Wohnkomplex wie die von Yoongi war, musste er sich zurückhalten, nicht bei dem Kleineren zu klingeln.

Er hatte Tag und Nacht auf diesen Anruf gewartet.

Jungkook wollte wissen, wie es dem Mann ging. Er wollte seine Geschichte hören. Der Kleinere sollte in seinen Armen seine Lasten wegweinen können und ihm all seine Ängste anvertrauen.

Der Schwarzhaarige sollte sich bei ihm sicher fühlen, denn offensichtlich fühlte er sich nicht wohl in dem Körper, den er hatte. Der Jüngere wollte für den damals noch Unbekannten der Grund sein, dass er sich fürs Leben entschied.

Anfangs hatte er es auf seinen Beruf und die Abschlussarbeit geschoben, die er nun abgegeben und erfolgreich verteidigt hatte, warum er so besessen von dem blassen Mann mit den Narben war. Doch nun war er sich fast schon sicher, dass das nur eine Entschuldigung für sich selbst war.

Jungkook wollte nicht wahrhaben, wie interessant er diesen Mann in den ersten 3 Minuten schon gefunden hatte und das nicht in der Rolle eines Psychiaters.

Streng genommen hatte der Rothaarige zum ersten Mal Interesse an einem Menschen, der nicht von selbst zu ihm kam. All seine Freunde kamen damals immer zu ihm. Er selbst hatte noch nie Bekannte gemacht und auch in seinem Beruf, den er in wenigen Monaten tagtäglich ausüben würde, kamen die Menschen zu ihm, um Hilfe zu bekommen.

Doch wollte er nicht, dass Yoongi als Patient bei ihm sitzen würde. Das würde nämlich bedeuten, dass er sich an Verhaltensregeln halten müsste. Sie wären Patient und Arzt und genau das wollte er bei dem Schwarzhaarigen nicht.

Er wollte den Mann richtig kennenlernen. Er wollte jeden Gedanken hinter den Narben wissen und sie mit schönen ersetzten.

Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er unbedingt Kontakt zu einem menschlichen Wesen.

„D-das war eine dumme Idee... Geh einf-fach wieder und tu so, als wenn du mich nicht kennst... so wie es je-eder macht.."

Das leise Schluchzen, was er nun doppelt hörte, zerriss dem Jüngeren fast das Herz und ließ ihn dazu veranlassen, langsamer zu laufen.

Was hatte die Gesellschaft dem kleinen Kind, das in dem Mann lebte, nur angetan?

Wie konnte man einen Menschen so brechen?

O͚N͚E͚S͚H͚O͚T͚S͚ /ᵇᵗˢ/Where stories live. Discover now