Kapitel 11

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Vincent

Seit einer halben Stunde stehe ich in meinem Ankleidezimmer und räume meine Klamotten endlich in den Schrank. Zwei Tage lang hatte ich trainiert und überlegt, wie ich mich angemessen bei Liv entschuldigen könnte. Doch endlich bekomme ich eine Chance, mich zu erklären und ihr zu zeigen, dass ich immer noch der Mann bin, den sie in der Bar kennengelernt hat. Ich wünsche mir ihr Vertrauen und noch mehr wünsche ich mir, ihr Lächeln zu sehen.
Später am Tag ziehe ich mir eine Sporthose und ein lockeres Shirt über und mache mich auf den Weg zu Liv. Leise klopfe ich und zum Glück öffnet sie zeitnah die Tür. Als sie durch den Türspalt schlüpft, drückt sie sich an mir vorbei, vermeidet den Blickkontakt und läuft vor. „Also, wohin?" Ihre Stimme ist kühl und distanziert. Ich kann den inneren Konflikt beinahe raushören, was mir etwas Hoffnung schenkt. Ich gehe vor und rufe den Aufzug. "Ins Fitnessstudio..",sagte ich und lasse ihr den Vortritt in die enge Kabine. Sie wendet mir direkt den Rücken zu und im Stahl der Tür kann ich ihren abschätzenden Blick sehen. Sie wirkt angespannt und ich weiß um meine Schuld daran. Durch das Training erhoffe ich mir die Chance auf ein klärendes Gespräch.
Doch als wir das geräumige Fitnessstudio betrete, hoffe ich, dass wir nur trainieren. Einige Jungs scheinen heute sehr erpicht auf ihr Training zu sein, weshalb das Studio gut besucht ist. "Am besten gehst du dich erstmal aufwärmen und danach können wir an die Geräte." "Ist gut.",kommt es mürrisch von ihr und ich spüre die Blicke der anderen auf mir. Meinem tödlichen Blick weichen sie aus und trainieren daraufhin weiter. Mir hätte klar sein sollen, dass die unterkühlte Stimmung zwischen mir und unserem neuesten Rudelmitglied die Runde machen würde. Chris konnte wohl wirklich nicht seine Klappe halten. Ich streiche mir die Haare zurück und folge ihr auf das Laufband. Ihr Blick ist stur auf die Skyline vor ihr gerichtet und sie würdigt mich keines Blicks. Immer noch sind leichte Spuren an ihrem Hals zu erkennen, die meine Schuldgefühle nur wieder wachsen lassen.
"Du trainierst sie und wenn sie stark genug ist und sich etwas eingelebt hat, wird sie Aufträge ausführen und an meiner Seite stehen. Bis dahin ist mir so ziemlich egal, was du mit ihr machst, damit sie bleibt. Aber in spätestens zwei Monaten wird sie an meiner Seite sein."

Tylers endgültige Ansage schwirrt mir immer noch im Kopf umher und zum ersten Mal will ich mich seines Befehls verweigern. Der Druck des verräterischen Gedanken liegt schwer auf meiner Brust und ich komme schnell ins Schwitzen. Jetzt wechselt ihr Blick doch kurz von der Aussicht auf Veritas zu mir. Jedoch nur über die Spiegelung der Scheibe. "Das sollte reichen.",sage ich und stoppe das Laufband. Sie stoppt ebenfalls und trinkt einen Schluck. "Was jetzt?" Ich wische mir mit dem Handtuch über das Gesicht und versuche das Gefühl zu unterdrücken was aufkommt, wenn ich sie ansehe. Sie wird nie ein Teil von mir werden...Wären wir uns nur niemals in der Bar begegnet... Das zucken meines Kopfes deutet auf die Geräte, die in einem Kreis angeordnet sind. Mir fällt auf wie die Blicke der Männer Livs Körper folgen und ein Knurren entkommt mir. Direkt richten sie ihre Augen wieder nach vorn und ich erkläre ihr das erste Gerät. "Das ist nicht mein erstes Mal in einem Fitnessstudio, weißt du.",erwidert sie schnippisch und ich atme tief durch. "Ich will aber, dass du es vernünftig machst." "Und ich will nicht hier sein.",erwidert sie gereizt, was mir einen Stich verpasst. Also ist sie immer noch wütend. Wer kann es ihr verdenken. "Bist du jetzt aber, also los." Ich versuche meine Fassade aufrecht zu halten. Es ist eh besser, wenn wir uns nicht mehr näher kommen und sie sich ihrer neuen Rolle im Rudel fügt. Ihr Blick erdolcht mich fast, aber sie kommt meiner Aufforderung nach und beginnt mit dem Training.

Eine Stunde lang läuft es gleich ab: Ich sage, was sie tun soll und sie macht es, schweigend. Nur ihre dunkelblauen Augen spiegeln ihren wachsenden Hass gegen mich wider.
Als wir fertig sind, deute ich auf den Ring. "Jetzt will ich sehen, was du wirklich drauf hast.",sage ich und reiche ihr Bandagen. "Liebend gern.",lächelt sie dunkel und ich habe das ungute Gefühl, dass sie mir jetzt offenbaren wird, wie ich wirklich bei ihr stehe.

Liv
Ich reiße mich die ganze Zeit zusammen so gut ich kann, doch jeder Befehl von ihm fühlt sich kalt und falsch an. Er hat mich hintergangen und im Stich gelassen, so wie alle anderen auch. Und jetzt steht er hier, erteilt mir Befehle, als wäre ich sein Besitz. Nein, ich bin nicht sein Besitz, sondern Tylers. In mir brodelt es und als er auf den Ring deutete, freue ich mich etwas, weil ich endlich all diese angestaute Wut rauslassen kann. Die Blicke der anderen Männer sind mir nicht entgangen, jedoch herzlich egal, außer dass sie ihn zu stören scheinen. Und das soll mir nur recht sein. Ich nehme ihm die Bandagen ab und wickle sie um meine Hände. Im Ring ziehe ich meine Schuhe aus, da ich so ein besseres Gefühl habe.
Im Ring stehen wir uns gegenüber und er trägt die Handpratzen.
Kaum hatte er sich hingestellt, lege ich auch schon los, noch bevor er mir wieder diese gleichgültigen Worte entgegenbringen kann. Er reagiert sofort und fängt meinen ersten Schlag ab. Als mein Fuß auf eine Pratze trifft, knallt es durch die Wucht meines Tritts. "Du bewegst dich zu unkontrolliert. Fokussiere dich und lass dich nicht von deiner Wut leiten." Meine Augen glühen beinahe und ich schlage erneut zu. "Ich lasse mich nur von meiner Wut leiten!",fauche ich und täusche rechts an, ehe ich ihm meine Faust in die linke Seite ramme. Er keucht kurz auf und ich sehe in seinem Blick Schmerz, aber ich glaube nicht, dass dieser von meinem Treffer ausgeht. Doch ich lasse mich nicht ablenken und mache weiter. "Ich habe es schon mehrmals gesagt, ich konnte nichts tun!" "Du hast es versprochen! Du hast mich von Anfang an nur benutzt, um mich zu ihm zu bringen!" Meine Worte treffen ihn anscheinend härter als meine Treffer, die ich nur selten lande. "Ich wollte dich nicht benutzen und ich wusste davon nichts. Ich wusste nichts von Tylers Motiv und ich wollte sicher nicht, dass du verletzt wirst. Ich schwöre es dir! Bitte glaub mir!" "Ich glaube dir nichts mehr. Das ich wirklich auf so ein Arschloch reingefallen bin. Ich dachte wirklich du meinst das alles ernst. Ich war so dämlich!",brülle ich mittlerweile und treffe mit einem gezielten Tritt beinahe seinen Kiefer. Nur noch in letzter Sekunde kann er ihn blocken und packt mein Bein. "Ich meinte es mehr als Ernst. Ich wollte dir helfen und will es immer noch!",brüllt er zurück und ich blicke ihm giftig entgegen.
Seine bernsteinfarbenen Augen schimmern leicht, als ich kurz hineinsehen kann. Sie sind dunkler als üblich und sein ganzer Körper ist angespannt. Als er mein Bein packt, spüre ich die Kraft, die in ihm steckt. "Lass mich los!" Ich ertrage seine Berührung nicht und will mich befreien. Also verpasse ich ihm einen kleinen Stromschlag, den ihn aufknurren lässt, als mein Bein wieder frei wird. "Du.." "Nehm deine dreckigen Hände von mir.",erwidere ich schwer atmend und mir stehen Tränen in den Augen. Ich hätte nie gedacht, dass mich nochmal jemand so in Sicherheit schwelgen lässt, dass ich so verletzt werden kann. Er hält sich die Hand und sein Blick wirkt schmerzhaft überrascht. "Liv...ich werde dir nicht wehtun...Niemals.." Ich löse die Bandagen und werfe sie ihm vor die Füße. "Nein, du nicht. Aber du wirst auch nichts dagegen unternehmen, wenn Tyler es tut..",erwidere ich, nehme mein Handtuch und lasse ihn alleine im Ring stehen. Er scheint mir nicht zu folgen, als ich mich schnellstens zu meiner Wohnung begebe und die Tür zuknalle. "Ich hasse ihn!!",brülle ich und werfe das Handtuch gegen die Wand. Warum passiert das alles mir? Ich will doch nur endlich einen Funken Glück...

Vincent
Das Training hat sich leider in einen Kampf gewandelt und schnell wirft sie mir alles an den Kopf, was ich mir selbst seit Tagen nicht verzeihen kann. Und sie kennt keine Gnade. Als sie mir die Bandagen vor die Füße wirft, sehe ich die Endgültigkeit ihrer Worte in ihren Augen. Ich habe es verkackt. Und zwar so richtig. Ihre Worte schmerzen und ich muss mich zusammennehmen, ihr nicht zu folgen. Die Tür des Fitnessstudios knallt zu und ich werfe vor Frust die Pratzen in Richtung Alec, der sich schützend hinter einer Säule in Sicherheit bringt. "Fuck!",entkommt es mir dabei und ich kneife mir in den Nasenrücken. "Soll ich mal mit ihr reden?",fragt der weißhaarige, immer gut gelaunte Chris besorgt. "Nein, ich mach das schon.",fahre ich ihn an und springe aus dem Ring. Sein Blick folgt mir kurz, ehe er sich abwendet und weitertrainiert. Es passt mir nicht, dass er Liv so viel näher sein kann als ich. Um meinen Frust irgendwie in den Griff zu bekommen, entscheide ich mich dazu, diesen am Boxsack auszulassen.

Behind the Shadows - Wer bist du wirklich?Where stories live. Discover now