- Epilog -

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Es ist kurz vor Mitternacht, als der rote Schlitten mit den weißen Sternen vor einem riesigen Haus zum Stehen kommt.

„Wow!", staunen die Rentiere im Einklang. „Hier wohnt er?"

Shaileen nickt. Da der Schwindel und die Übelkeit derzeit um die Oberhand kämpfen, bleibt sie noch ein paar Minuten sitzen, ehe sie auf wackeligen Beinen aus dem Schlitten klettert.

„Bist du dir sicher, dass du das allein schaffst?", erkundigt sich Sam bei ihr. Obwohl ein aufmunterndes Lächeln auf seinen Lippen liegt, kann Shaileen die Besorgnis in seinen Augen sehen und die Skepsis in seiner Stimme hören.

„Nein", antwortet sie schmunzelnd, um ihn zu beruhigen, „schaffen und müssen sind zwei Paar verschiedene Schuhe." Kaum sind ihre Worte von der Dunkelheit der Nacht verschluckt, strafft sie ihre Schultern, reckt ihr Kinn in die Höhe und nähert sich mit selbstbewussten Schritten der Haustür.

Kurz zögert sie, doch nachdem sie ihre aufkeimende Angst heruntergeschluckt hat, betätigt sie den goldenen Klingelknopf.

Mehrere Sekunden verstreichen und verwandeln sich in Minuten. Ungeduldig hüpft Shaileen von ihrem rechten Fuß auf den linken. Gerade als sie sich zum Gehen abwenden möchte, wird die Tür doch noch geöffnet und ein junger Mann mit verschlafenen blauen Augen und verwuschelten Haaren kommt zum Vorschein.

„Oliver", murmelt Shaileen leise seinen Namen.

Ihr Herz schlägt schneller und ein Feuer der Nervosität wird in ihrem Magen entfacht. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hat, wurde sie von ihren Eltern von zuhause rausgeworfen. Seitdem sind mehrere Jahre ins Land gezogen.

Der junge Mann runzelt verwirrt seine Stirn. Er kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und lässt sie über Shaileens Gesicht wandern. Sobald sich ihre Blicke treffen und miteinander verhaken, legt sich ein Schleier der Erkenntnis über seine Pupillen.

„Shaileen?", fragt er ungläubig. „Was ... Was machst du hier? Und wie ... Wie geht es dir?" Olivers Stimme überschlägt sich. Dass er aufgeregt ist, ist nicht zu überhören.

„Keine Sorge, Brüderchen", lächelt Shaileen ihn versöhnlich an, „wir werden uns schon bald wiedersehen und über alles sprechen."

„Was?", hakt Oliver verwirrt nach. „Wie meinst du das?"

Shaileens Lächeln wird breiter. „Egal", winkt sie ab. „Heute bin ich gekommen, um dir etwas mitzuteilen."

„Ach ja? Was denn?" Oliver ist noch genauso ungeduldig und neugierig wie damals. Diese Tatsache füllt Shaileens Herz mit Wärme, denn sie findet es schön, dass sich im Laufe der Zeit nicht alles verändert hat.

Auch wenn es noch ein paar Wochen oder vielleicht sogar Monate dauern wird, bis sie mit ihrem Bruder die Vergangenheit aufrollt, ist sie guter Dinge, alle Missverständnisse zwischen ihnen aus dem Weg räumen zu können.

„Du hast mich damals angelogen", behauptet Shaileen nun mit kraftvoller Stimme, weshalb Oliver zusammenzuckt.

Er tritt einen Schritt auf sie zu und möchte nach ihrer Hand greifen, doch Shaileen weicht automatisch zurück. „Ich ... Ich verstehe nicht, was du meinst", stammelt Oliver müde und überfordert. „Es ist schon spät, Shay. Warum kommst du nicht rein?"

Shaileen schüttelt ihren Kopf. Ein glückliches Strahlen zupft an ihren Mundwinkeln, als sie voller Überzeugung sagt: „Es gibt den Weihnachtsmann!"

Dann kehrt sie ihrem Bruder den Rücken zu, steigt zu Sam in den Schlitten und lässt sich von ihren fünf besten Freunden in ein neues Abenteuer entführen.

Und Oliver?

Oliver lächelt, weil er endlich seine alte Schwester, die jahrelang verschollen war, wiedererkennt.

Santa is a GentlemanWhere stories live. Discover now