2 | Mr Grant

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Ich bin offiziell überwältigt! Die Firma von Mr Grant hat das nobelste Hotel der Stadt für den Wohltätigkeitsball herrichten lassen und der große Saal, sowie der Eingangsbereich sind weihnachtlich festlich geschmückt. Überall hängen überdimensional große Christbaumkugeln und Kränze aus Tannengrün, mit goldenen Sternen darin. Sogar einen falschen Weihnachtsmann und Elfen gibt es, die Sekt und Punsch verteilen.

Während ich aus dem Staunen gar nicht herauskomme, schiebt mich mein Boss sacht durch das Gedränge, begrüßt hier und da ein paar Gäste, bis wir zu einer kleinen Bühne kommen, auf der auch ein DJ-Pult steht, auch wenn die weihnachtliche Musik noch vom Band kommt.

„Ich werde kurz ein paar Worte sagen, bevor wir uns ins Getümmel stürzen", sagt Mr Grant und sieht mich fast freundlich an. „Bleiben Sie bitte kurz hier, während ich die Rede halte?"

Ich nicke ergeben. Ich bin ja nur wegen ihm hier, da werde ich jetzt nicht weglaufen. Und er hat mir versprochen, dass ich nur eine Stunde bei ihm bleiben muss, danach könne ich mich ohne ihn amüsieren. Ein faires Angebot, wie ich finde, denn ich habe schon ein paar bekannte Gesichter unserer Stadt gesehen und möchte ein wenig High Society Luft schnuppern.

„Meine lieben Gäste!" Seine tiefe Stimme und sein charmantes Lächeln lassen die Anwesenden sofort verstummen und gebannt zu ihm aufsehen. Auch wenn ich meinen Boss durchaus anders - schlechter gelaunt und trübselig - kenne, hat er die unglaubliche Gabe, im richtigen Moment den Schalter umzulegen und den charmanten Multimillionär heraushängen zu lassen. Ich kann schon verstehen, dass Menschen wie meine Freundin Michelle ihn attraktiv und begehrenswert finden. Bestimmt zeigt er nicht vielen Menschen seine verletzliche Seite oder wenn er wütend, enttäuscht oder genervt ist: Diese bekomme immer nur ich zu spüren.

„Ich freue mich sehr, Sie heute Abend so zahlreich begrüßen zu dürfen und bin stolz darauf, dass unsere Stadt sich wirklich noch um diejenigen kümmert, denen es nicht so gut geht wie uns."

Ich verkneife mir ein Augenrollen bei diesen Worten, denn wenn ich mal grob zusammenrechne, welches Vermögen in diesem Saal versammelt ist, geht es wohl allen Bewohnern dieser Stadt schlechter als diesen Gästen. Würde ich den Anzug verkaufen, den ich gerade trage, könnte wohl eine komplette Familie einen Monat von dem Erlös leben. Aber ich bin beruflich hier und spiele dafür meine Rolle.

„Wie Sie sicher wissen, habe ich mir auch für dieses Jahr einen ganz besonderen Empfänger für unsere Spenden ausgewählt. Nachdem wir im letzten Jahr so viel gesammelt haben, dass wir das Obdachlosenheim, das besonders im Winter jeden Tag weniger Menschen aufnehmen kann, als auf der Straße fast erfrieren, auf doppelt so viele Plätze aufstocken konnten..."

Mr Grant macht eine kurze Pause, um den Anwesenden Zeit zum Klatschen zu lassen. Auch ich schlage meine Hände im Takt mit der Menge zusammen, denn ich erinnere mich daran, wie Mr Grant im letzten Jahr den Scheck mit den großzügigen Spenden überreicht hat, und war in diesem Moment sehr stolz, Teil des Unternehmens zu sein. Dennoch weiß ich, dass diese Selbstbeweihräucherung Teil seiner Strategie ist, auch dieses Jahr wieder großzügige Spenden zu erhalten.

„...habe ich mich für dieses Jahr dazu entschlossen, etwas für die Kinder dieser Stadt zu tun." Ein Raunen geht durch die Menge. Denn in diesem Jahr hatte Mr Grant ein großes Geheimnis um den Zweck der Spenden gemacht. Die Presse hatte bereits spekuliert, dass er sich dem Naturschutz oder den Sozialhilfeempfängern widmen würde. Themen, die ihm bei der nächsten Bürgermeister-Wahl den Rücken stärken könnten. Denn dass der reichste Bürger der Stadt sich für diesen Posten eventuell aufstellen lassen würde, ist ein offenes Geheimnis. Dass er sich entgegen den Spekulationen für die Kinder entschieden hat, verwundert nicht nur mich. Denn das Wohl der Kinder trägt in den politischen Entscheidungen häufig keinen großen Anteil zum Sieg bei. Umso neugieriger bin ich, als er seine Rede fortsetzt und hoffe, zu erfahren, was ihn zu dieser Entscheidung bewegt hat.

„Ich war vor einigen Monaten in unserem Waisenhaus und habe mir die Zustände dort einmal selbst angesehen. Die sanitären Anlagen sind veraltet. Es gibt nicht genügend Betten, so dass einige Kinder sich ein Bett teilen müssen. Die Qualität des Essens muss verbessert werden. Kurzum: Es fehlt an so vielem! Vom täglichen Apfel bis zur Zahnpasta haben die Kinder immer wieder mit Entbehrungen zu kämpfen. Und nun steht auch noch die Weihnachtszeit vor der Tür. Eine Zeit für Familien. Eine Zeit, in der alle zusammenkommen, gemeinsam am Tisch oder um den Weihnachtsbaum sitzen und Tradition nachgehen. Traditionen, welche die Kinder, die ihre Familien verloren haben, nicht mehr ausleben können.

Wir können diesen Kindern ihre Familien nicht wieder zurückgeben. Aber wir können ihnen einen Teil ihrer Tradition aufrechterhalten. Dazu gehört ein geschmückter Tannenbaum, ein Weihnachtsessen, Geschenke und ganz viel Liebe. In diesem Sinne möchte ich Sie herzlich dazu einladen, in diesem Jahr besonders großzügig zu sein und für die Kinder dieser Stadt zu spenden, damit sie nicht nur ein schönes Weihnachten feiern können, sondern auch den Rest des Jahres ein wenig mehr Geborgenheit und Sicherheit fühlen können. Ich danke Ihnen."

Als die Menge anfängt zu klatschen, spüre ich, wie eine stille Träne über meine Wange läuft. Die Worte von Mr Grant haben mich bewegt. Nicht nur, weil ich Mitleid mit den Kindern in dem Waisenhaus habe, sondern auch, weil plötzlich viele Erinnerungen aus meiner Kindheit in meine Gedankenwelt gespült werden. Ich sehe zu Mr Grant hoch und stelle überrascht fest, dass er mich anlächelt.

Gerade steckt er das Mikrofon wieder am Ständer fest, als ein Reporter eine Frage in den Raum ruft. „Mister Grant! Eli Fox vom Daily Mirror! Warum haben Sie in diesem Jahr das Waisenhaus ausgewählt? Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dieser Einrichtung?"

Mister Grant bleibt abrupt stehen, und ich erkenne an seinen Augen, dass er diese Frage nicht hat kommen sehen. Ich bin schon lange genug sein persönlicher Assistent, um sofort zu spüren, dass er nicht antworten will. Doch er steht hier vor mehreren hundert Menschen, die genau dies erwarten. Und so sieht er mich an, und ich spüre, dass er einen Entschluss gefasst hat. Er streckt seine Hand nach mir aus, lächelt und bittet mich auf die Bühne.

Verdammt, was hat er vor?

A Merry Gary ChristmasWhere stories live. Discover now