Kapitel 1

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Schweißgebadet wachte ich auf. Die goldenen Iriden verfolgten mich schon wieder. Müde griff ich neben mich und betrachtete den Display meines Handys.

3:06 Uhr

Immerhin hatte ich ganze zwei Stunden geschlafen. Wenn man diesen Zustand Schlaf nennen konnte. Genervt stand ich auf, streifte mir meinen Morgenmantel über und setzte mich auf meine dunkle Ledercouch. Ich ließ den Blick über Tokyo schweifen. Diese Stadt hatte etwas beruhigendes und doch stand sie nie still. Während ich weiter aus meiner Penthousewohnung die unzähligen Gebäude betrachtete, griff ich nach einem kleinen Päckchen, dass auf meinem kleinen schwarzen Glastisch lag. Doch als ich mir die letzte weiße Pille in die Hand schüttelte, musste ich doch den Blick von der Stadt abwenden. 

Fuck. Auch das noch... Wieso war es denn schon wieder die Letzte?

Aber es sollte mich nicht wundern, ich schluck die Dinger schließlich wie Ticktacks. Und trotzdem habe ich Augenringe, die schon lange nicht mehr gesund aussehen. Ohne groß zu überlegen, schluckte ich das kleine weiße Teil herunter. Da es sich jetzt auch nicht mehr lohnte zu schlafen, schlürfte ich in mein Badezimmer und nahm eine ausgiebige Dusche. Wie bei einem Regenschauer prasselte das heiße Wasser nur so auf mich herab. Es dauerte noch etwa eine halbe Stunde bis mein Mittelchen endlich wirken würde, weshalb ich krampfhaft versuchte, die aufkommenden Bilder meiner Träume zu verdrängen. Mein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub und das obwohl die Wassertemperatur 52°C betrug. Für die meisten viel zu heiß, doch nur so konnte ich mir sicher sein, dass ich wirklich wach war. Meine Haut brannte und dieses Gefühl kannte ich nur all zu gut, was nicht bedeutete, dass ich dieses Gefühl von glühenden Nadelstichen nicht genoss. Bei solchen Temperaturen zu duschen oder zu baden ist purer Stress für unsere Haut. Doch bei Stressreaktionen kann der Körper Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol freisetzten und genau dadurch fühlte ich mich lebendig. Doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran, weshalb ich zu dieser Methode nur noch selten Griff.

Nachdem ich die Wirkung der Pille endlich spüren konnte, stieg ich aus meiner vollverglasten Dusche. Ich trocknete meine feuerrote Haut und meine Haare etwas ab. Doch bevor ich diesen Tag wirklich angehen konnte, müsste ich noch einen Abstecher machen, weshalb ich mir eine graue Jogginghose, einem schwarzen Hoodie und dunkle Sneaker anzog. Die Klamotten kramte ich mir aus meinem begehbaren Kleiderschrank heraus. Die Kapuze meines Hoodies zog ich mir tief ins Gesicht. Ich sah erbärmlich aus. Doch nur weil man Geld besaß, war man ja nicht automatisch ein schnöseliger Bonze. Im Gegenteil. In Wahrheit lebt hier nur eine armselige Frau, die ein Drogenproblem besaß, Menschen verabscheute, ein mächtiges Aggressionsprobleme aufwies und jeden in ihrem Umfeld belog und betrog. Und vor allem hatte ich absolut keine Ahnung, wer ich wirklich war. Was auf der einen Seite eine ziemlich positiv Sache war. Denn dadurch konnte ich mir das aufbauen, was ich jetzt besaß. Auf der anderen Seite verfolgte mich jedoch diese Ungewissheit. Doch weiter nach der Vergangenheit zu suchen, hatte ich schon vor Jahren aufgegeben. Es hatte einfach keinen Sinn gemacht.


Ich stellte den Motor aus, setzte meinen Helm ab und stieg von meinem Bike.
Der Geruch von Müll, Urin und Fäkalien drang in meine Nase. Dieser Ort war im wahrsten Sinne des Wortes ein Drecks Loch. Ich lief in eine Nebenstraße und bog dann in eine kleinere Seitengasse ein. Dabei musste ich dreimal über irgendwelche Junkies steigen, die hier lagen weil sie entweder bereits Tot waren oder nicht auf ihr Zeug klar kamen. An einem versüfften Fenster, durch das man vor lauter Dreck nicht einmal mehr hindurch schauen konnte, blieb ich stehen und klopfte fünfmal schnell hintereinander. Es vergingen zwei Minuten in denen nichts passierte, also klopfte ich ein weiteres mal. Doch wieder nichts. 

"Verdammte Scheiße. Mach auf Kiko!" schrie ich wütend und hämmerte jetzt unentwegt gegen das dünne Fensterglas.

"Da kannst du warten bis du schwarz wirst." ertönte eine Stimme, fast unmerklich neben mir. Es war einer der Junkies, der in seinem eigenen Urin lag und mich versuchte anzusehen, doch es kaum schaffte seinen Kopf oben zu halten.
"Was meinst du damit?" fragte ich genervt. Denn ohne meine Pillen, würde ich diesen Tag nicht bis zum Ende überstehen.
"Antworten kosten." sagte er mit einem ekelhaften Grinsen, bei dem ich sehen konnte, dass er kaum noch Zähne in seinem Mund hatte. Ich warf ihm zwei Scheine entgegen, auf die er sich stürzte, als würde sein Leben davon abhängen. Was es wahrscheinlich auch tat.
"Los. Spuck schon aus, wo diese miese Ratte ist."
"Die Cops haben ihn. Er wurde letzte Woche bei einem Deal geschnappt. Offenbar war er zu gierig geworden und damit auch unaufmerksamer. Sorry Kleines. Hier gibt's jetzt nur noch Stoff von Takeru."
"Fuck!" brüllte ich und schlug dann das beschissene Fenster ein. Das Glas zerschellte in tausend kleine Teile, wovon zwei in meiner Hand stecken blieben und mein Blut begann aus den Wunden zu tropfen. Ich drehte mich einfach um und wollte gerade davon stürmen, da drangen die Worte "Kenne ich dich nicht irgendwo her?" in meine Ohren. Wie versteinert blieb ich stehen und zog mir die Kapuze noch tiefer in mein klägliches Gesicht. Es konnte nicht sein... Nein... Es war ausgeschlossen, dass mich dieser Wurm dort unten erkannt hat. Schließlich hatte ich damals dafür gesorgt, dass dieses Gesicht niemand mehr erkennen würde.
"Oh jetzt weiß ich es wieder." Ein abgehacktes Lachen hallte durch das kleine Gässchen.
"Du bist..." 
Doch seine Stimme war wie weggeblasen, genauso wie sein jämmerliches Gehirn, welches nun an der Hauswand klebte. Für einen Moment starrte ich auf meine Beretta 92. Mein Finger schwebte immer noch am Abzug, bis etwas hinter mir raschelte und ich mich von dieser Made abwendete. Ich checkte kurz meine Umgebung. Doch die anderen zwei Junkies taten keine Anstalten sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Nur eine fette Ratte huschte an mir vorbei. Meine Waffe verschwand wieder unter meinem Hoodie.

Hier konnte ich es also von nun an vergessen, meinen Stoff zu kaufen. Und ich würde nur über meine Leiche etwas bei diesem Takeru holen. Er streckte seinen ganzen Kram mit dem letzten Mist. Man konnte sich nie sicher sein, was man wirklich bekam. Wütend schwang ich mich auf meine Maschine und fuhr zurück.


"Fuck! Wo zur Hölle ist dieses beschissene Tütchen!" schrie ich durch meine Wohnung. Wieder zog ich etwas aus meinem Schrank und warf es einfach hinter mich.

Irgendwo hatte ich doch noch eine Reserve oder?

An den letzten drei Verstecken für Notfälle hatte ich auch nur noch leere Plastiktüten vor gefunden. Und mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich wahrscheinlich wirklich am Arsch war. Doch es musste doch noch so etwas wie einen Gott geben, denn dann zog ich aus meiner Unterwäsche meine Rettung.

"Tze. Ernsthaft? Wie bin ich denn darauf gekommen, das hier aufzubewahren?" sprach ich lachend und heulend gleichzeitig zu mir selbst. Meine Hände zitterten schon und die Stimme wurde wieder lauter, weshalb ich mir gegen meinen Kopf schlug. Aber ich musste das ganze noch hinaus zögern, denn ich hatte nur diese eine Chance. Ich musste heute Abend jemanden finden, der mir was verkaufen würde. Doch Tokyo hatte sich in den letzten Jahren verändert. Der Großteil des Drogenmarktes befindet sich nun in Bontens Hand, der größten Kriminellen Organisation in ganz Japan. Sie hatten zwar den besten Stoff, doch wollte ich nun mal nicht mehr auffallen als nötig. Weshalb ich mich von allem, was mehr Ärger als normal für mich bedeutete, fern hielt. Schon ironisch, wenn man bedachte, mit was ich meine Brötchen verdiente. Es war sogar richtig lächerlich. Schließlich sorgte allein mein Name für Probleme.

Ich zog mir eine schwarze blickdichte Netzstrumpfhosen an und kontrollierte gefühlte einhundert mal, dass man auch wirklich nichts hindurch sehen konnte. Dazu schlüpfte ich in einen schwarzen Minirock, schwarze Absatzstiefel die mir bis zu meinen Knien reichten und eine Jadegrüne Bluse mit langen Ärmeln und einem tief sitzenden Ausschnitt. Dort gab es zwar nicht besonders viel zu sehen, aber trotzdem sprangen die meisten Kerle darauf an. Ich legte mir mein Make-Up auf, sodass ich aussah wie ein anderer Mensch. Zum Schluss setzte ich mir noch ein paar Kontaktlinsen ein, die meine Augen in ein wunderschönes Meerblau verwandelten und zog mir eine Perücke auf, durch die ich nun langes Kastanienbraunes Haar besaß.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel checkte ich mein Aussehen, schluckte die Pille und wartete darauf, dass sie ihre Wirkung zeigte.

Broken Bonds/ Bonten x OCWhere stories live. Discover now