Wieder nur Zuschauerin

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Wieder nur Zuschauerin

Die folgenden Wochen sind eine Herausforderung. Jedes Gespräch über Fußball, jedes Echo eines Balls, der gegen das Netz prallt, lässt mich zusammenzucken. Ich bin reizbar, schneller verärgert als sonst und ich weiß, dass es meine Teamkolleginnen und Freunde belastet. Trotzdem zieht es mich jeden Tag zum Trainingsplatz. Ich sitze am Rand, beobachte die anderen, wie sie spielen und es wurmt mich das ich wieder nicht mitmachen darf. Es schmerzt, aber gleichzeitig kann ich nicht wegbleiben. Selbst wenn wir auswärts spielen, bestehe ich darauf, mitzukommen. Ich sitze auf der Tribüne, eingehüllt in meinen Schal und meine Mütze. Ich schaue den anderen beim Anfeuern ihrer Lieblingsspielerinnen zu und lächle leicht, aber innerlich fühle ich mich leer. Ich lerne andere Dinge zu schätzen – die frische Luft, das Lachen meiner Freunde, die sanfte Berührung von Obi, die mir sagt, dass alles gut wird. 

Ich habe alles getan, nachdem ich eine Bandruptur hatte, um für dieses Spiel fit zu werden. Und hier sitze ich. Auf der Tribüne, umgeben von den Fans, die dieses Spiel wahrscheinlich genauso gespannt verfolgen wie ich. Das große Spiel gegen die Bayern. Die Vorentscheidung um die Meisterschaft. Ich bin hergekommen, um Titel zu gewinnen und heute kann die Mannschaft einen großen Schritt in diese Richtung machen.

Ich sehe meine Teamkolleginnen auf dem Feld, wie sie um jeden Ball kämpfen, jede Chance nutzen und sich gegen einen starken Gegner behaupten. Mein Herz schlägt schneller und ich spüre den Drang, dort unten zu sein. Es ist ein unfassbar ungewöhnliches Gefühl der Machtlosigkeit zusehen zu müssen, wie die Mädels da unten kämpfen und zu wissen nicht helfen zu können. Es ist bereits die zweite Halbzeit und Obi kommt im Halbfeld an den Ball, läuft noch ein paar Schritte und schießt den Ball in den Winkel ins Tor. Sie dreht sich zu mir auf die Seite und als sich unsere Blicke treffen, läuft sie an den Seitenrand, um mir einen Kuss entgegenzuwerfen. Ich ziehe mir den Schal ins Gesicht, um mein Grinsen zu verbergen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es gesehen hat, als sie mir grinsend zunickt.

Als das Spiel sich dem Ende zuneigt und Poppi das 2:0 erzielt, kann ich nicht länger stillsitzen. Ich stehe auf und verlasse die Tribüne, meine Schritte führen mich zum Innenraum, hin zum Spielertunnel. Dort werde ich warten, um die anderen zu empfangen – um Obi, Poppi und den Rest des Teams zu umarmen und ihnen zu sagen, wie stolz ich bin. Trotz meiner eigenen Enttäuschung, nicht spielen zu können, ich will die Erste sein, die ihnen gratuliert. Als die Schiedsrichterin das Spiel abpfeift, trete ich aus dem Spielertunnel heraus, meine Augen auf das Feld gerichtet. Ich kann es kaum erwarten, meine Teamkolleginnen zu umarmen. Ich gehe auf jede einzelne zu, teile Umarmungen aus und beglückwünsche alle.

Dann sehe ich Magdalena und Pernille und gehe auf sie zu. Ich umarme beide fröhlich und begrüße sie. “Es tut mir leid, dass du heute wieder nicht zeigen konntest, was in dir steckt,” sagt sie und ich lächle sie an. “Danke, Pernille. Ich komme schon wieder zurück.”

“Wie geht es dir eigentlich mit den Nachrichten aus London?” fragt mich Magdalena jetzt und ich schaue sie verwirrt an. “Hast du keine Nachrichten gelesen oder gehört? Das war heute überall.”

Ich starre auf die Neuigkeit auf meinem Handy, dass Chelsea Ada Hegerberg für die neue Saison verpflichtet hat. Ein Wirbel aus Emotionen erfasst mich – ein brodelndes Gefühl des Verrats, gemischt mit einer tiefen Enttäuschung. “Warum?” frage ich mich. “Ich wollte doch nächste Saison zurückkommen und jetzt habe ich nicht nur Kerr, sondern auch Hegerberg vor meiner Nase?” Ich spüre, wie die Enttäuschung in mir wächst, aber ich versuche, sie zu unterdrücken. “Das ist Fußball,” sage ich leise und zucke mit den Schultern. Pernille nimmt mich in den Arm und ich lege meinen Kopf auf ihre Schulter. “Tut mir leid Alex.” flüstert sie leise. “Ich wollte nicht, dass du es so erfährst Alex, ich dachte du weißt es schon.” sagt Magdalena dann. Wir reden noch eine Weile und bevor die Bayern abfahren. Pernille steckt mir noch ihr Trikot zu wofür ich sie fest in den Arm nehme.  

Zu Hause angekommen kämpft mein Kopf mit Emotionen. Ich will wieder nach London. Aber es gibt nur diese zwei Clubs die wirklich eine Rolle spielen. Und einer hat keinen Platz für mich.

Zwischen Hass und LiebeWhere stories live. Discover now