Aufbruch

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Mitten im Raum, unter den blinkenden Lichtern der Wissenschaftskuppel erschien ein Hologramm mit zwei silbrig schimmernden, verchromten Flügeltüren, die wie die Türen eines Aufzugs auseinanderglitten. Ein Schwall eisiger Luft stürzte herein. Erschrocken war er aufgesprungen. Mit dem Ellbogen stieß er dabei die Kaffeetasse um. Sein Stuhl fiel klappernd zu Boden. Der Kaffee ergoss sich über Apparaturen und Geräte. Mit der Hand versuchte er fluchend, die kalte schwarze Flüssigkeit aufzuhalten, die am Tisch hinuntertropfte. Himmel, gerade jetzt so ein Missgeschick! Panisch sah er zu dem Hologramm hinüber, deren offenstehende Türen den Blick auf Schneegestöber freigaben. Er hastete hinüber zum Eingang, wo am Haken seine Felljacke, Fäustlinge und die mit Robbenfell gefütterte Mütze hingen, packte sie und war mit ein paar Sätzen wieder am Portal. Schon begannen die Türen sich wieder zu schließen. Adrenalin schoss durch seine Adern. Irgendwelche Apparaturen begannen unheilvoll zu knistern. Verflucht, er hatte keine Zeit, den Notschalter zu drücken. Während hinter ihm elektrische Bauteile zischten und Rauch aufstieg, machte er einen entschiedenen Schritt. Hinein ins Hologramm.

Hinter ihm verwehten die Seiten seiner Abhandlung im Luftzug. Er hatte keinen Blick dafür. Die kalte Luft stach wie mit Nadeln auf ihn ein, sein Atem bildete Nebelschwaden. Vor ihm Schnee, soweit das Auge reichte. In der Ferne konnte er flache Hügelketten entdecken, auch sie schneebedeckt. Eine nordische Steppenlandschaft? Ein eisiger Sturm wütete. Frösteln zog er den Reißverschluss ganz hoch und die Kapuze über den Kopf. Mit der Kälte kam auch die Erkenntnis. Er war einer unbekannten Welt ausgeliefert.

Er griff in seine Tasche. Als seine Hand den beruhigenden Knauf seiner Axtral-Pistole tastete, ohne die er draußen keinen Schritt machte, durchströmte ihn ein Gefühl der Erleichterung. Immerhin war er bewaffnet. Falls es wie in Astropia, Ausgestoßene gab, die Ärger suchten, könnte er sich verteidigen. Schneeflocken peitschten sein Gesicht, als er loslief. Er kämpfte sich durch das Schneegestöber voran. Seine Füße sanken ein, jeder Schritt war mühevolle Anstrengung. Er keuchte. Die Umstände waren nicht die, die er erhofft hatte. Sein Traum geisterte ihm durch den Kopf. Hätte er doch nicht ins Hologramm eintreten sollen? Herrgott, er war nicht abergläubisch!

Der Kaffee fiel ihm ein. Wenn er Pech hatte, waren die Geräte zerstört und die anderen konnten nicht mehr nachvollziehen, was passiert war. Sie würden Zeit brauchen, um ein zweites Portal zu schaffen. Vorher konnte er nicht zurück. Er presste die Lippen zusammen, hielt in den Schneemassen Ausschau nach etwas, das nach menschlicher Behausung aussah.
Eine Stunde später biss sich die Kälte mehr denn je durch seine Kleidung. Trotz des Thermofutterals fühlten sich seine starren Glieder an, als würden sie ihm in Kürze den Dienst versagen. Doch Bewegungslosigkeit in dieser unerbittlichen Kälte bedeutete den Tod. Also kämpfte er sich stur gegen den Sturm vorwärts, wurde manchmal beinahe umgerissen, spürte wie seine Finger steif wurden und versuchte, nicht zu stürzen. Die vor ihm liegende Tundra schien endlos. Inmitten der wirbelnden Flocken hatte er die Orientierung längst verloren.
Der Himmel war von einem seltsamen Eisgrau. Es hatte aufgehört zu schneien. Aufatmend war er stehengeblieben, als es plötzlich, wie aus dem Nichts, begann Eiskristalle zu hageln. Die scharfen, zischenden Projektile schnitten durch die Luft und zwangen ihn dazu, auf dem Boden Schutz zu suchen. Den gebeugten Arm vor dem Gesicht haltend, spähte er hinüber zu einem Hügel, wo niedriges, struppig aussehendes Unterholz einen besseren Schutz versprach. Mit dem Eishagel war auch der Wind mit voller Macht zurückgekehrt. Wetterextreme, dachte Ethan, auch diese Dimension scheint der Klimawandel erfasst zu haben. Während er im Schnee kauerte, ihm immer kälter wurde und es absehbar war, dass er sich bald in eine Schneemumie verwandeln würde, schaute er auf sein Armband, um die Himmelsrichtung auszumachen. Er würde nach Osten gehen, um dem tosenden Wind etwas weniger ausgesetzt zu sein. Hier zu bleiben bedeutete seinen Tod.


Eisige ZeitenWhere stories live. Discover now