Die Kriegerin

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Mühselig arbeitete er sich voran. Die Landschaft veränderte sich. Bald wich die verschneite Steppe vereinzelt stehenden, zwergwüchsigen Weidengewächsen. Sie haben tatsächlich noch Holz!, durchfuhr es Ethan. Aus den herabregnenden Eissplittern waren weich fallende Flocken geworden. Mit einem Anflug hoffnungsfroher Erwartung stapfte er über die verharschte Schneefläche. Irgendwann würde er auf Menschen stoßen. So hoffte er. Schnee hatte sich in seinen Wimpern und Augenbrauen festgesetzt, er musste aussehen wie einer der betagten Grönländer aus seinem alten Bilderbuch. Seine Thermoausrüstung hielt ihn hinreichend warm, jedenfalls wenn er sich bewegte. Hin und wieder aß er Schnee. Er begann sich Sorgen zu machen. Was, wenn er meilenweit von jeder menschlichen Behausung entfernt war? Oder es hier gar keine Menschen gab?

Die Sonne sank tiefer. Es wurde Zeit, dass er einen Unterschlupf für die Nacht fand. Wo mochte es in dieser gottverlassenen Gegend Menschen geben? Und Wärme und Feuer? Seine Schritte wurden langsamer, er spürte, wie seine Kräfte schwanden.

Fast ohne dass er es gemerkt hatte, war die Dämmerung hereingebrochen.

Als er das wilde Knurren hörte, war es schon zu spät. Schatten erhoben sich um ihn herum, geifernde, schneebedeckte Kreaturen, die sich ihm entgegenstellten. Die Angst packte ihn wie mit scharfen Messern. Die Ungetüme mussten ihm in Kuhlen unter dem Schnee aufgelauert haben. Rotglühende Augen starrten ihn bedrohlich an, weiße Fangzähne blitzten zwischen den geöffneten grollenden Kiefern hervor. Sie hatten verfilztes, schwarzes Fell und waren beinahe doppelt so groß wie Wölfe. Mit lautlosen, geschmeidigen Bewegungen näherten sie sich. Entsetzt wich er zurück und zog seine Waffe. Das vordere Tier fiel zu Boden, als er abdrückte. Die Meute wich kurz zurück, jedoch nur für einen Moment. Weit hallten seine weiteren verzweifelten Schüsse durch die Landschaft. Die Biester gaben nicht auf, sie umkreisten ihn, griffen ihn von mehreren Seiten an und er wirbelte herum und schoss, um sie wenigstens auf Distanz zu halten. Wieder sprang eines der verfluchten Kreaturen hervor, ihr Körper gestreckt wie eine Feder. Diesmal war er nicht schnell genug. Die Wucht des Aufpralls riss ihn um, er hörte das Reißen seiner Thermobekleidung, als die scharfen Krallen der Bestie in den dicken Stoff eindrangen. Dann war das Tier über ihm. Er schrie, als es sich in seinem Arm verbiss. Panisch wälzte er sich herum und versuchte, nach der Axtral-Pistole zu greifen, die er beim Sturz fallengelassen hatte. Doch sie war außer Reichweite. Es schien, als sei sein Schicksal besiegelt.

Im selben Moment hörte er einen hellen, kehligen Schrei. Eine Gestalt tauchte aus dem Schneegestöber auf, eine schmale, hochgewachsene Kriegerin, gehüllt in Fell und dickes Leder. Sie trug einen mit Pfeilen gefüllten Köcher auf dem Rücken und einen langen Bogen in der Hand. Kurz nacheinander jagte sie zwei Pfeile durch die Luft. Sie trafen den Höllenhund, der ihn zu zerfleischen drohte. Das Mistvieh erschlaffte.

Er lag am Boden. Blut strömte aus seiner Wunde am Arm und färbte den Schnee rot. Der Kampf hatte ihn die letzten Kräfte gekostet. Kraftlos sah er zu, wie die Frau die schwarzen Bestien mit einem Hagel an Pfeilen zurücktrieb, bis diese sich endlich geschlagen gaben und das Weite suchten. Nachdem die Kriegerin sich vergewissert hatte, dass sie verschwunden waren, ging sie zu ihm hinüber.

Ein Zittern hatte Ethan erfasst. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Der eisige Wind fuhr unbarmherzig in seine an einigen Stellen zerrissene Thermoausrüstung. Unruhig sah er zu der Kriegerin auf, und erst als er den sanften Ausdruck in ihren Zügen sah, entspannte er sich. Er war in Sicherheit. Sie hatte ihn gerettet. Bis vor ein paar Minuten noch hatte er gedacht, er würde diese Hölle nicht überleben. „Danke!" flüsterte er heiser und richtete sich mühevoll auf. Verwundert sah er, dass sie trotz der frostigen Temperaturen nur leichte Kleidung aus Leder und Fellbesatz trug. Sie schien nicht zu frieren. „Wer bist du?", fragte er matt.

Die Kriegerin beugte sich über ihn. Langes, glänzendes schwarzes Haar fiel ihr über den Rücken. Sie reichte ihm eine behandschuhte Hand, um ihm aufzuhelfen. Dunkle, forschende Augen lagen auf ihm. Kluge Augen. Doch es lagen auch Sanftmut und Besorgnis darin. Noch nie war er so froh gewesen, sich von jemandem aufhelfen zu lassen.
Als er schwankend vor ihr stand, musste er sich zurückhalten, um sich nicht an ihr abzustützen. Er war nur eine Handbreit größer als sie. Die blutgetränkten Fetzen seines Thermoanzugs hingen an ihm herunter, makabre Trophäen aus seiner blutigen Auseinandersetzung. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
"Bea", antwortete die Kriegerin. Schneeflocken hingen in ihrem Haar, einzelne Kristalle blitzten wie Schmucksteine darin auf. „Da kam ich wohl gerade noch rechtzeitig." Ihre Stimme klang so warm wie ein Sommerabend. Dann fügte sie hinzu: „Keine gute Idee, sich hier in der Dämmerung allein herumzutreiben. Schattenwölfe gehen bei Anbruch der Dunkelheit gerne auf die Jagd. Deiner Kleidung nach zu urteilen, bist du nicht von hier. Woher kommst du?"
„Ethan, Wissenschaftler aus Astropia", sagte Ethan.
„Der Sturm hat mich überrascht. Wenn du nicht gewesen wärst ...", brachte er noch hervor, bevor ihm die Knie wegknickten und er bewusstlos zu Boden sank.


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