2. One Shot

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Harry ging seiner üblichen Beschäftigung nach. Wie immer versuchte er Leuten zu helfen und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ein bisschen Beistand von oben eben. Was man als Engel so tat.

Er hatte gerade eine Ampel umspringen lassen, damit ein Junge noch seinen Zug erreichen konnte, um seine Freundin zu besuchen, als er genau spürte, wie eine andere, nicht menschlich Energie in seiner Nähe auftauchte. Es war kein Engel. Aber was war das? Sie alle tummelten sich auf der Erde, aber für gewöhnlich hatten sie eben alle ihre eigenen Dinge zu tun und pflegten keinen Kontakt. Mah hielt für gewöhnlich erheblich Abstand zueinander. Harry, der Engel, würde natürlich auch nichts mit einem Höllenwesen zu tun haben wollen.

Er schlenderte Richtung Bahnhof. Das Wesen müsste hier irgendwo sein. Alle Wesen konnten zwischen den Menschen sein. Die Menschen konnten sie sogar sehen, wenn sie das wollten. Aber niemand erinnerte sich an sie. Sie waren für alle nur Menschen, deren Gesichter man sich nicht einprägte, weil sie nicht bedeutend für sie waren. Sie nahmen übliche Alltagskleidung bei ihnen war. Keine Flügel. Einfach nur ein Mensch, der vorüber eilte.

Eine Zeit lang hatte Harry damit gehadert, dass er nicht in Erinnerung blieb und niemand wirklich ihn sah. Aber inzwischen war das okay. Das war eben sein Leben. Sein Schicksal. Seine Bestimmung.

Andere Wesen konnte er selbst offenbar sofort erkennen. Irgendwie lag der Fokus automatisch bei dem anderen, als Harry das Bahnhofsgebäude betrat.
Er entdeckte die Plage direkt beim Reisezentrum. Er hatte noch nie in seinem Leben einen in echt gesehen. Aber er kannte diese Biester von Bildern. Dort hampelte ein Chaos-Dämon herum.

Kichernd stand der da und kurz darauf schallte bereits eine schwer verständliche Durchsage durch den Bahnhof: Weichenstörung. Der Zug, den der Junge unbedingt hätte bekommen müssen hatte nun fünfzig Minuten Verspätung. Die Chancen, den Anschlusszug zu erwischen waren quasi non existent.

Ärgerlich trat Harry auf das Wesen zu: "Ey, lass das gefälligst. Ich bin schon hier."
"Hi Löckchen. Nööö. Guck Mal.", lachte der junge Mann und schon fiel das Computersystem im Reisezentrum aus. Mit anderen Worten: Er verursachte Chaos und Verspätungen.

"Hör sofort auf! Du verursacht Stress bei den Menschen!", schimpfte Harry.
"Jaa!", freute sich der Dämon und erklärte: "Und Bluthochdruck, chronische Erschöpfung und die Königsdisziplin: Burn-Out."
"Das ist total schlecht!"
"Oh, Dankeschön.", freute sich der Dämon und ließ bei einem Mann den Reißverschluss im Innenfutter der Winterjacke festhängen. Dazu pustete er noch zwei Handvoll Erkältungsviren über eine Reisegruppe.

"Das war kein Kompliment. Du bist ein Unhold!"
"Hihi. Ein was?"
"Ein Unhold.", sprach Harry eingeschnappt.
"Sowas war ich noch nie. Die meisten sagen Arschloch."
"Mir ist es, als himmlisches Wesen, verboten zu fluchen."
"Ach, du Ärmster. Ich kann sagen, was ich will. Soll ich es beweisen?"
"Nein, danke."
"Bei uns in der Hölle gibt's auch nach 6 PM noch Kohlenhydrate.", freute sich der Dämon.
"Lasterhaft seid ihr."
"Oh ja."
"Auch das war kein Kompliment."
"Trägst du was unter deinem Kleid?"
"Das ist kein Kleid, sondern ein Gewand. Eine Tunika."
"Trägst du was unter deiner Tunika?"
"Das geht doch nichts an.", sprach Harry und wollte sich wieder abwenden, als er sah, wie ein Mann plötzlich seinen Schlüssel für sein Schließfach nicht fand, weil seine Jacke nun wohl ein Loch hatte und der Schlüssel somit innen im Futter der Jacke lag.
Harry blickte zurück zum Chaos-Dämon, der zufrieden dem Mann beim Fluchen zusah.

"Lass das! Geh weg.", schimpfte Harry die Kreatur an.
"Nöpedi, nöpedi, nö. Mir gefällt es hier.", erklärte der Dämon und flatterte auf die Bank neben Harry. Dabei streifte er ihn ganz leicht mit seinem ledrigen Flügel.

"Lass mich! Mit einem wie dir will ich nichts zu schaffen haben!", maulte Harry. Er hatte eine Gänsehaut wegen der Berührung. Die Flügel waren interessant. Schon auf den Bildern hatte er sie faszinierend gefunden. Harrys eigene  Flügel waren riesengroß. Gut, sie mussten auch seinen großen Körper tragen. Sie waren erhaben. Groß, strahlend und voll mit glänzenden weißen Federn. Der Körper des Chaos-Dämonen war wesentlich kleiner. Der vor ihm war vermutlich etwas 1,30m groß. Er selbst maß fast 1,90m. Die Flügel des kleineren Wesen reichten ihm ausgefahren bis an den Hals. Im Verhältnis zum Körper wirkten sie sehr sehr groß. Wie bei einer Fledermaus. Etwa so sahen sie auch aus. Schwarz und ledrig. Sie waren auf Speed ausgelegt. Schnelle Manöver. Ganz anders als seine.

"Hallo? Bist du noch da?", fragte der Kleine und wedelte mit der Hand herum.
"Ja. Dein Flügel..."
"Ja? Was ist damit?"
"Darf ich sie Mal anfassen?"
"Uuuuh, wenn ich deinen auch anfassen kann?", grinste der Dämon.
"Ich rede nur von dem Flügel!"
"Jaja. Ich bin übrigens Louis."
"Ich bin Harry und-"
"Moment. Da vorn ist ein Mädchen in weißer Jeans. Ich muss der mal eben ihre Tage machen.", Sprachs und entschwand kurz.

Zurück kam er mit einem zufriedenen Lächeln.

"Ach, weißt du was? Vergiss es! Mit solchen wie dir hat man nur Ärger!"
"Ja. Dafür bin ich doch da?", fragte Louis und guckte völlig verwirrt. Als verstünde er Harrys Problem nicht.

Harry musste an einen Kuckuck denken. Die Küken hatten, sobald sie im fremden Nest schlüpften ein Ziel: Alles aus dem Nest schmeißen. Also die Eier oder anderen Jungvögel. Selbst wenn diese viel größer und schwerer waren: blind und nackt rackerte sich das Küken ab, um alle raus zu schmeißen. Es gab Menschen, die hassten die Kuckucks dafür. Weil sie mitunter seltene Vögel aus dem Nest schubsten und weil sie mordeten, noch bevor sie ihre Augen öffneten. Man verlangte, die Küken zu töten. Aber... Hatten Kuckucks nicht dennoch ihre Berechtigung hier zu sein? Kuckucks fraßen Larven des Bärenspinners, der Gespinstmotte und des Trägspinners, die alle Brennhaare hatten und daher von anderen Vögeln verschmäht wurden. Der Kuckuck jedoch war gegen das Brennen immun. Auch die Schutzfärbung der Larve  des Spanners und der  gelben Stachelbeerwespe, die sie vor anderen Vögeln schützen, schreckten den Kuckuck nicht ab. Der Kuckuck war genau richtig für das Ökosystem.
Harry blickte zu Louis, der plötzlich direkt vor ihm flatterte, sodass sie auf Augenhöhe waren.

Harry streckte die Hand aus und berührte das linke winzige Hörnchen, während er in die rot-blauen Augen blickte. Wer wäre er, ein Geschöpf für seine Existenz und sein natürliches Verhalten abzulehnen? Das wäre eine Sünde elefantösen Ausmaßes.

Chaos-Dämonen waren eine Plage. Aber sie waren nicht wirklich gefährlich. Sie waren keine Teufel. Die waren übel für die Menschen. Aber vielleicht hatten selbst die eine Daseinsberechtigunh? Wie der Kuckuck?

Während Harry noch so darüber nachdachte und sich für sein bisheriges Weltbild ein wenig schämte, küsste ihn der Kurze plötzlich.
DAS war Sünde. Er war ein Engel. Er durfte sich nicht auf eine sündige Art berühren lassen.

"Ich muss jetzt leider los. Aber wir sehen uns wieder, Harry.", freute sich der Dämon und verschwand. Ließ einen schockierten Harry zurück zwischen Leuten, die sich nicht an ihn erinnern würden.

-

"Louis?"
"Ja?"
"Unser Termin war gestern morgen. Wieso kommst du heute Nachmittag?"
"Weil ich Chaos mache."
"Sehr gut.", freute sich der Teufel vor ihm, bis er schnupperte.

"Du riechst anders."
"Ja. Ein neues Deo..."
"Du riechst himmlisch!"
"Nimm das zurück!"
"Was hast du gemacht?!"
"Chaos...", murmelte Louis und sah nach oben in Richtung Himmel. Was Harry jetzt wohl machte?

Sooo, das waren auch schon die beiden One Shots. Zeit mit der Story zu beginnen.
Bis gleich.
Viele Grüße

Angel and Devil (Larry) - Wird Auf Storyban fortgeführt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt