Botschaften

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Es dauert eine ganze Weile, bis sich Isovre wieder in der Gewalt hat. Etwas verlegen löst sie sich aus meinen Armen und spottet über sich selbst: „Eine schöne Erwachsene bin ich, einen Jugendlichen als Tröster zu nehmen!"

„Du redest, als seist du hundert Jahre älter als ich."

„Gut, das ist wohl übertrieben", lenkt sie ein. „Wie alt bist du eigentlich genau, Navlin?"

„Sechzehn. Siebzehn Anfang Frühjahr." Wir haben Spätherbst, ich bin also näher an Siebzehn als an Sechzehn.

„Oh. Ich gebe zu, ich habe dich trotz deiner Länge für jünger gehalten, weil du bei unserer ersten Begegnung so unbeholfen warst. Und weil du so hundemager bist."

„Ich bin nun mal ein Hund."

Isovre lächelt. „Ja, aber auch ein Mensch. Füttert dich denn niemand ordentlich?"

„Der lebt von trockenem Brot und Schrumpelgemüse", krächzt Kandreo. „Da ist das ja kein Wunder."

Isovre seufzt. „Ich verstehe diese Stadt immer noch nicht so recht. Du bist doch nicht einmal volljährig, kümmert sich denn keiner um dich?"

„Erstens bin ich volljährig; wir Fabelwesen sind das mit fünfzehn Jahren. Und zweitens hat sich noch nie jemand um mich geschert, das ist aber auch in Ordnung so. Ich lebe doch ganz gut."

Irgendetwas ist heute mit Isovre los; sie sieht schon wieder aus, als würde sie gleich weinen. „Ich finde das nicht in Ordnung, Navlin. Und um zum Thema zurückzukommen, wir Menschen sind mit Achtzehn erwachsen. Ich also auch erst seit drei Jahren und du hast recht, soviel älter als du bin ich wiederum nicht."

„Siehst du, und dann darfst du dich auch mal von mir trösten lassen." Mir hat das eigentlich gefallen und ich will nicht, dass sich die Hexe dafür auch noch bei mir entschuldigt.

„Botschaft angekommen", Isovre nickt. „Wie hast du mich überhaupt aufgestöbert?"

Daraufhin erzähle ich ihr von meinen Ermittlungen und meinen Folgerungen.

„Du bist also mit anderen Informationen und trotz fehlendem Wissens zu den gleichen Schlüssen gekommen wie ich", stellt die Hexe schließlich fest. „Und hast dann den gleichen Fehler begangen wie ich – auf den Schuldigen losstürmen und dabei zu vergessen, dass er genügend Leute hinter sich hat." Sie kauert auf der verschmutzten, zerschlissenen Strohmatratze, die man ihr gegeben hat. Ich hocke auf dem Boden daneben, den Rücken an die Wand gelehnt. Mit der Hexe auf einer Matratze zu sitzen ist mir im Moment zu gefährlich.

Bei ihrem harschen Urteil senke ich beschämt den Kopf. „Ich weiß, das war selten dämlich."

Isovre zuckt die Achseln. „Das kann ich dir kaum zum Vorwurf machen, schließlich habe ich genauso gehandelt. Du allerdings hast genügend Spuren hinterlassen, denen andere nun folgen können."

Ich denke nach. „Da hast du recht. Meister Engal dürfte inzwischen verstanden haben, was mich so aufgebracht hat und wenn er und Hauptwachtmeister Zawei ihr Wissen zusammenwerfen – nur, warum sollten sie das tun? Meister Engal ist ein Mensch und Zawei ein Fabelwesen!"

Isovre stimmt mir da zu. „Ich hatte mir das anders vorgestellt. Da, wo ich herkomme, gibt es Städte nur für Menschen und andere nur für Fabelwesen. Und viele Sklaven, Kriegsgefangene in der Regel. Ständig gibt es Kriege zwischen Städten und kaum haben zwei einen Waffenstillstand ausgehandelt, flackert der Zwist zwischen Menschen und Fabelwesen woanders wieder auf. Ich war so begeistert, als ich hörte, dass in Venla Menschen und Fabelwesen gleichberechtigt sind. Aber dass sie so nebeneinander leben, habe ich mir nicht ausgemalt."

Wer vermisst schon eine Hexe? ✔️Where stories live. Discover now