KAPITEL 9

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XYLA

Ich habe einen Mann gesehen. Einen Mann, der Hunter zum Verwechseln ähnlich sah, aber dennoch nicht er gewesen ist. Der Mann hatte nichts mit meinem Hunter gemeinsam.

Mit gefurchter Stirn überschlage ich die Beine und starre aufs Meer hinaus. Slater ist bei den Dreharbeiten für ihr Musikvideo und ich habe mein Haus nach Monaten ganz für mich allein.

Meine Finger scrollen durch die sicherlich tausend Nachrichten, die Hunter in den letzten zwei Jahren an mich geschickt hat. Dateien mit Songtexten, die mir von Mia ebenfalls vorgelegt wurden, besorgte Fragen, weshalb ich ihm nicht antworte. Erkundigungen zu meinem Befinden, Glückwünsche zum neuen Album, Begeisterung beim Start der Tour. Eine Frage pulsiert immer wieder auf dem Bildschirm und lässt mein Herz zärtlich brechen. ›Wer hat Erase You geschrieben?‹

Ich habe ihn geschrieben. Mit der Kraft und Unterstützung, die Slater mir gespendet hat. Ich habe ihn geschrieben, Hunter, damit ich dich freilassen kann.

Seufzend sperre ich das Display und lege das Handy auf dem Sessel neben mir ab. Im Kamin flackert ein Feuer, vor mir steht ein Weinglas mit edlem Rotwein aus Spanien. In meinem Kopf spielt in Dauerschleife die Begegnung mit Hunter. Slaters Worte klingen in meinen Ohren. »Lass ihn los, Babe.«

Als er vor mir gestanden hat und ich die Sorge gespürt habe, die er in den letzten Jahren empfunden haben muss, hat Slater mich mit diesem Satz gerettet. Er hat mich aus der Trance geholt, sodass ich ihm entgegensehen konnte, ohne daran zu zerbrechen.

Ich nippe an meinen Wein und starre in die Flammen. Hunter sah unwirklich aus. Nicht wie Hunter, eher wie ein Schatten seiner selbst. Irgendwie verloren.

Die Besorgnis nistet sich in meinem Körper ein und greife nach meinem Handy. Schluckend öffne ich das Chatfenster und tippe ein paar Worte in das Textfeld. Slater wird bis morgen früh nicht zurückkommen, weshalb er mich nicht davon abhalten kann.

Meine Finger fliegen über die Buchstaben und ich schicke die Nachricht ab. Keine zwei Minuten später erscheinen die Punkte auf dem Bildschirm. Hunter schreibt eine Erwiderung. Ich habe ihn über zwei Jahre ignoriert und jetzt antwortet er mir innerhalb von zwei Minuten.

›Erase You ist von mir, Hunt.‹

›Geht es um eine reale Person?‹

›Ja.‹ Das Wort lässt meine Fingerspitzen brennen.

›Das tut mir leid, Xyla.‹

Treffender hätte er es nicht formulieren können, obgleich er sicherlich nicht einmal von meiner Obsession seine Person betreffend weiß. Er weiß nicht, dass ich jahrelang süchtig nach ihm gewesen bin, obwohl ich niemals eine Chance gehabt habe. Aber ein Süchtiger bekämpft seine Sucht nie vollkommen. Er hält sich von den Suchtmitteln fern, aber sobald sie ihm geboten werden, wird er früher oder später zugreifen. Ich greife zu. Greife nach Hunter und meiner Liebe für ihn.

›Muss es nicht, Hunt. Es geht mir gut, versprochen.‹

Die Punkte tanzen am unteren Rand des Displays und verschwinden. So geht es fünf Minuten, bis die Worte auf meinem Bildschirm leuchten und mir Tränen in die Augen treiben.

›Mir geht es nicht gut, Xyla.‹

Hunter leidet und mir zerreißt es das Herz, obwohl ich nicht weiß, was los ist. Ich will ihn fragen, aber meine Finger erstarren zu Eis und ich blicke nur auf das Display. Tränen lassen meine Sicht verschwimmen. Mehrfach hole ich Luft, überlege mir eine passende Antwort.

Es sind jetzt vier Tage vergangen. Vier Tage fühlen sich, nachdem ich ihn auf der Aftershowparty gesehen habe, plötzlich endlos an. Die letzten zwei Jahre haben sich nicht derart gefühlt. Anfangs hatte ich Entzugserscheinungen, aber sie sind dank Slater verklungen. Jetzt sind alle Gefühle wieder da. Als hätte man ein verwunschenes Buch geöffnet, regnet der Fluch der Liebe wieder auf mich nieder.

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt