KAPITEL 10

88 15 18
                                    

XYLA

Wir sitzen lange auf dem Holzboden. Stunden. Hunter beruhigt sich nicht. Sein Körper bebt ununterbrochen, seine herzzerreißenden Schluchzer erschüttern den geheilten Teil meiner Seele. Sie folgt ihm in die Dunkelheit, die ihn zu umgeben scheint.

Hunters Finger verursachen Abdrücke auf meinem Körper, weil sie so fest in meine Haut drücken, doch es ist mir gleichgültig. Immer wieder atmet er durch und scheint sich zu beruhigen, bis die nächste Welle ihn wegreißt. Hunter ist zerrissen, zerstört und besiegt. Anders kann ich seinen Gefühlszustand nicht beschreiben.

»Hunter«, flüstere ich, nachdem er sich endlich für zwei Minuten beruhigt hat. Äußerst bedacht löse ich mein Gesicht von seinem Hals und hebe den Blick in seine Augen. Sie sind geschlossen. Die Tränen rinnen trotzdem heraus. »Hunter, sieh mich an«, bitte ich ihn. Zärtlich lege ich eine Hand an seine Wange und er öffnet ermattet die Lider. »Was ist passiert?« Meine Stimme ist erstickt von den Tränen, die ich für Hunter weine.

»Ich -« Das Kratzen seiner Stimmbänder erinnert mich an einen Song, den er vor Jahren geschrieben hat. Allerdings ist der Ton im Augenblick nicht beabsichtigt und versprüht auch keine tiefe Liebe, wie es das Lied getan hat. Hunter beginnt zu husten und schüttelt den Kopf. Kraftlos sackt sein Hinterkopf gegen die Wand und er starrt an die Decke. Ich will von seinem Schoß klettern, aber sein Griff hält mich eisern fest. Vor einigen Jahren habe ich mir gewünscht, genau in dieser Position auf ihm zu sitzen. Aber in meiner Vorstellung waren wir dabei nackt und haben uns geküsst.

»Du solltest dich ausruhen«, zwänge ich von meinen Stimmbändern und streichle über seinen Nacken. Hunter atmet durch und seine Augen schließen sich. »Nicht hier, Hunt. Nicht auf dem Küchenboden.«

»Eine Minute, Xyla«, flüstert er. Ich kann den Kloß in seiner Kehle hören. Hunter atmet schwer und sein Herz pocht wild unter meinen Fingern, die auf seiner Brust liegen. Ich berühre Hunter, wie ich ihn schon immer berühren wollte und fühle mich trotzdem leer, weil er zerbrochen ist.

»Okay«, wispere ich. Hunters Hand greift in meinen Nacken und er drückt mich gegen seinen Körper. Wieder umschlingt er mich fest mit seinen Armen. Umarmt er wirklich mich? Oder fliegt er gerade gedanklich irgendwo anders hin und ich bin nur der greifbare Gegenstand, der ihm Kraft schenkt?

Mir ist es gleichgültig, weil ich jeden Fetzen Zuneigung aufsauge, wie eine Line. Meine Nase vergräbt sich in dem Stoff seines Shirts und ich atme den herbstlichen Geruch von Hunter Remington ein.

Ich bin wieder süchtig. Rückfällig geworden.

An meinem Ohr pocht sein Herz und ich bilde mir ein, Aussetzer hören zu können. Als würde es in jeder Minute einmal brechen. Vorsichtig lasse ich meine Hände über seine Flanken in seinen Rücken gleiten und drücke ihn gegen mich. Er seufzt zittrig. Ich dränge, meinen Körper jede Heilung für ihn aufzubringen und heiße das Brennen meines Herzens willkommen.

»Sie ist tot«, sagt er, als ich schon geglaubt habe, er ist eingeschlafen. Ein Stich fährt durch meine Eingeweide.

»Wer?« Ich kenne die Antwort, bevor sich seine Lippen teilen. Der Schmerz kann nur mit ihr zusammenhängen.

»Alex. Alex ist tot«, schnieft er. Wieder erbebt sein Körper aufgrund eines lauten Schluchzers. Wieder drückt er sein Gesicht gegen meine Brust und die Zerstörung in ihm bekommt eine andere Dimension.

Alexandra ist tot.

Mir wird eiskalt. Auch, wenn ich eifersüchtig auf sie gewesen bin und sie gehasst habe, weil sie Hunter bekommen hat, mochte ich sie. Panisch schüttle ich den Kopf.

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt