➳ 𝟖. 𝒃𝒓𝒐𝒕𝒉𝒆𝒓-𝒔𝒊𝒔𝒕𝒆𝒓-𝒕𝒂𝒍𝒌

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„Mari", sprach mein Bruder, als wir nach dem Essen bei Charles zu Hause ankamen. Es war ein unfassbar langer Abend, den ich die meiste Zeit damit verbracht hatte, stumm zu lauschen und durch die Gegend zu starren. Manchmal hatte sich mein Blick auf Charles gelegt, wobei sich unsere Blicke das ein oder andere Mal gekreuzt hatten - glaubte ich zumindest. Wahrscheinlich hatte ich es mir lediglich eingebildet.

Damien schloss die Tür hinter sich, wodurch sich automatisch mein Puls erhöhte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Wir müssen reden."

Ich setzte mich auf mein Bett, welches unter mir leise quietschte. Die besten Jahre hatte es definitiv schon hinter sich.

Damien hingegen machte keine Anstalten, sich hinzusetzen, stellte sich mit verschränkten Armen vor der Brust vor mich und schaute mich eindringlich an. Der große Bruderblick. Ich wusste genau, was kommt.

„Irgendwie verhältst du dich merkwürdig", fing der Ältere an, versuchte irgendwie die richtigen Worte zu finden, um nicht vorwurfsvoll zu klingen. Er wollte es einfach nur verstehen.

„Tu' ich das?", fragte ich lediglich, um allen Verdacht abzustreiten. Ich wusste, dass ich mich anders als sonst verhielt.

„Du bist total verschlossen - nicht nur vorhin beim Abendessen - auch schon gestern auf der Yacht."
Damien war schon immer ein sehr aufmerksamer Mensch gewesen. Er war vermutlich die erste Person (sogar noch vor mir selbst) gewesen, die gemerkt hatte, dass ich in Charles verknallt gewesen war. Es lag auf der Hand, dass er früher oder später merken musste, dass mich etwas bedrückte.

„Ja, vielleicht", murmelte ich lediglich, da ich nicht vorhatte, meinem großen Bruder nun das Herz auszuschütten.
Er würde mich vermutlich dafür auslachen und mir weismachen, dass es absolut kindisch von mir war. Das war es vermutlich auch.

Ich spürte seinen bemitleidenden Blick auf mir, ohne dass ich auch nur hinschauen musste. Stattdessen starrte ich auf meine Bettdecke, die ich in diesem Moment am liebsten über meinen Kopf ziehen würde.

„Also, ich will ja nichts sagen", fing er an, ehe er sich endlich neben mich auf das Bett setzte. Nun schaute er nicht mehr auf mich herab; vermutlich versuchte er so, etwas aus mir herauszubekommen.
„Aber ich denke, ich weiß, woran es liegt."
Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln.

„Warum fragst du dann?", rutschte es aus mir heraus, wobei ich sofort realisierte, dass ich mich wie ein trotziger Teenager verhielt. Dass ich wieder hier war, in Monaco, in meinem ehemaligen Kinderzimmer, ließ mich wieder wie ein Teenager fühlen - kein Wunder, dass ich mich auch so verhielt.
„Sorry", ergänzte ich schnell, ehe ich einmal tief Luft holte.

„Ich -", stammelte ich nervös, spielte an meinem Bettlaken unter mir herum und versuchte Damiens eindringlichen Blicken auszuweichen. „Keine Ahnung, ich schätze, ich werde einfach nicht mit Rebecca warm." Nun war es draußen; zumindest der Teil, den ich mir zu diesem Zeitpunkt selbst eingestand.

Mein großer Bruder nickte - er fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt.
„Du bist eifersüchtig, Maribel." Natürlich folgte so etwas. Ich hätte darauf wetten können.

„So ein Quatsch." Hektisch schüttelte ich den Kopf und nahm meine Hände endlich von dem Bettlaken. „Sie ist einfach etwas aufdringlich, damit komme ich nicht klar."
Eifersüchtig. Lächerlich.

„Wenn du meinst." Damien lachte leise, überlegte für einen Moment und räusperte sich dann. „Solange du nicht wieder Gefühle für Charles bekommst."

Ich schaute ihn völlig entgeistert an, was er in diesem Moment nur belächelte. Vielleicht wusste er, dass es hierfür möglicherweise zu spät war.

Es war, als könnte er in diesem Moment meine Gedanken lesen, da ich sein Lächeln langsam schwinden sah.
„Maribel", sagte er; und vielleicht war es diesmal vorwurfsvoll.

„Ich glaube, sie waren nie weg, Damien."
Es war die Wahrheit, die ich sofort gespürt, aber nicht eingesehen hatte, als ich ihn im Restaurant gesehen hatte. Spätestens am nächsten Morgen, als wir zu zweit im Café gewesen waren und mein Herz wie verrückt schlug, als er mich nur für kurze Zeit angesehen hatte.
Wie sagte man so schön, seine erste Liebe würde man nie vergessen?
Ich hatte es nie vergessen, nur verdrängt.

„Du weißt, dass das wieder schmerzhaft enden wird, oder?" Damien traute es, sich fast gar nicht auszusprechen, was er dachte. Doch wir wussten beide, dass er recht hatte.

„Ich weiß", seufzte ich leise und fuhr mir gestresst durch das Gesicht. „Aber wird schon." Ich setzte ein Lächeln auf. Es würde schon irgendwie werden. Und da ich diesmal nicht vorhatte, es ihm zu sagen, würde uns zumindest das Drama erspart bleiben.

„Ja, bestimmt", erwiderte Damien sanft, bevor er mir durch die Haare wuschelte und sich von meinem Bett erhob.
„Ich hoffe, du weißt, dass ich immer ein offenes Ohr für dich habe, ja?"

Nickend bejahte ich seine Aussage, was für ihn das Zeichen war, gehen zu können.
„Gute Nacht, Mari." Es war schon spät. Giselle hatte sich nach Ankunft bereits ins Bett verabschiedet.
„Gute Nacht, Damien."

„Familientag!"
Mit diesen durchaus euphorischen Worten meiner Mutter bin ich am nächsten Morgen viel zu früh geweckt worden. Leise grummelte ich und drehte mich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen, doch meine Mutter hatte andere Pläne.

Sie öffnete schwungvoll die Tür meines Zimmers, wodurch helles Licht in das Innere meines dunklen Zimmers kam.
Das war's wohl mit weiterschlafen.

„Aufstehen, Maribel!" Sie trällerte beinahe meinen Namen, weshalb ich das Gesicht verzog. Langsam richtete ich mich auf, rieb mir die Augen und schaute meine Mutter entgeistert an.
„Heute geht's an den Strand", erzählte sie glücklich. „Wie in alten Zeiten!"

Ich war noch zu müde gewesen, um ihre Aussage verstehen zu können. Erst nachdem ich in die Küche gegangen war, um dort gemeinsam mit meiner gesamten Familie zu frühstücken, dämmerte es mir, was sie eigentlich gesagt hatte.

„Kurze Frage", grätschte ich dazwischen und unterbrach damit das Gespräch meines Vaters und Damien, die sich über irgendein neues Automodell unterhielten, welches mein Bruder gestern durch die Straßen fahren gesehen hatte. „Gehen wir alleine zum Strand?"

Innerlich flehte ich, dass sie 'ja' sagen würde, doch, wenn ich ehrlich war, wusste ich, dass ich so viel Glück nicht hatte.

„Nein, es war ehrlicherweise sogar Pascales Idee, dass wir, wie in alten Zeiten, alle zusammen an den Strand fahren. Dein Vater und ich fanden die Idee klasse." Meine Mutter wurde offensichtlich nostalgisch; es fehlte nur noch, dass sie wieder eine Geschichte von damals auspacken würde.

„Na, ich hoffe, dass Arthur uns nicht, wie in alten Zeiten, mit Sand abwirft", scherzte Damien, der offensichtlich merkte, dass meine Stimmung kippte.
Nach dem gestrigen Gespräch wusste er auch genau warum.

SOME SAY - charles leclercWhere stories live. Discover now