Kapitel 2

4 1 11
                                    

"Willkommen zu deinem schlimmsten Albtraum!" Ronja grinst diabolisch, als sie mich in das Gebäude der Escape Rooms zieht. Sie öffnet mir die Glastür. Mir schlägt trockene Luft entgegen, und wir lassen den verregneten Wintertag draußen.

"Was hast du vor?", frage ich skeptisch, während ich mir den Schal vom Hals wickele. Der Eingangsbereich der Escape Rooms ist ausgelegt mit einem roten Teppich, der auf den Tresen zuführt. An den Wänden hängen auf alt gemachte Portraits und von der Decke hängt ein riesiger Kronleuchter. Die ganze Einrichtung ist Vintage, viel dunkles Holz und Fake-Kerzen.

"Dich auf andere Gedanken bringen, natürlich!", antwortet Ronja spitzbübisch und öffnet ihre dicke, gelbe Steppjacke. Darunter trägt sie den Abschlusspulli ihrer Träume. Wir befinden uns gerade in der Designphase des Pullis, aber ihr Wunschspruch wurde nicht gewählt. Die logische Konsequenz für Ronja war es also, sich ein Design zu überlegen, und selbst einen Pulli zu drucken, nur um allen unter die Nase zu reiben, was für ein großartiges Motto ihnen da entgeht. Sehr zu ihrem Leidwesen sehen unsere Schulkameraden den Spruch nicht als genauso genial an wie sie. Aber das tut ihrer Motivation keinen Abbruch. Seit sie den Pulli das erste Mal angezogen hat, hat sie ihn nicht einmal abgelegt. Ich wette, sie trägt ihn sogar beim Schlafen. Auf dem Pulli sind zwei Silhouetten zu sehen, die mit den Rücken einander lehnen und ein Buch und einen Stift in den Händen halten. Darunter steht: "ABI 007 - Lern an einem anderen Tag". Ich kann bestätigen, dass Ronja sich an dieses Motto gehalten hat.

"Nur, weil ich dir verboten habe, mich in einen Horror-Film zu schleppen, heißt das nicht, dass ein Horror-Escape-Room besser sei", witzele ich, lass mich aber von ihr auf den Tresen zuziehen.

Ein Junge in unserem Alter steht dahinter und schaut auf, als wir eintreten.

"Hi, ich bin Toni", begrüßt er uns. Er hat eine angenehme Stimme und seine hellen Augen liegen länger auf mir, als mir lieb ist. "Ich habe gehört, ihr wollt einen Horror-Escape-Room machen? Horror haben wir nicht wirklich, aber einer unserer Räume hat gerade ein Jack the Ripper-Thema."

Ronjas Augen leuchten auf, aber ich falle ihr ins Wort. "Habt ihr auch einen Escape Room mit rosa Einhörnern und Zuckerwatte?"

Toni runzelt die Augenbrauen, verliert aber nicht sein Lächeln, während er mich ansieht. "Mit Einhörnern kann ich leider nicht dienen, aber wir haben einen Raum mit Zauberern und Hexerei."

Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich lächele erleichtert. "Der klingt super."

Toni nickt und beginnt auf einem Touchscreen vor sich herumzutippen.

Ronja neben mir boxt mir in die Seite und schmollt. "Aber Jack the Ripper ..."

"Du kannst ja mit Hannes nochmal herkommen", schlage ich besänftigend vor. Hannes ist Ronjas großer Bruder und ein ebenso großer Horrorfan wie sie.

"Aber es macht so Spaß, dich zu erschrecken!", gibt sie zu und grinst bereits wieder.

Ich weiß sofort, worauf sie anspielt. Während ich mich am letzten Halloween als das generische Cowgirl verkleidet habe, haben die beiden das Schwartz-Haus in eine Gruselvilla verwandelt. Selbst geschnitzte Kürbisse standen auf der Veranda, in den Fenstern hingen Spinnenweben und Fake-Holzlatten. Als ich mit meiner Familie zum traditionellen Halloween-Essen kam, haben Hannes und Ronja mich dermaßen erschreckt, dass ich mich auf dem Klo eingesperrt habe, und erst wieder rauskam, als sie mir versprachen, sich nicht mehr von hinten an mich ranzuschleichen. Natürlich macht Ronja das seitdem jedes Mal, wenn sie mich sieht.

"Bitte, können wir nicht in den Jack the Ripper?", fleht Ronja. "Mit Hannes macht der nur halb so viel Spaß wie mit dir!"

Toni sieht etwas unschlüssig zwischen uns her. "Also der Jack the Ripper Raum?"

UnsichtbarWhere stories live. Discover now