Kapitel 5

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Halb erwarte ich, dass meine Eltern wie gestern am Küchentisch sitzen und auf mich warten. Aber weder Mama noch Papa sind irgendwo im Wohnbereich zu sehen. Auf dem Küchentisch steht auch kein Essen. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen und riesigen Hunger. Vielleicht kann ich ja etwas für uns kochen?

Zuerst bringe ich aber meinen Rucksack in mein Zimmer, am anderen Ende der Wohnung. Als ich an der Tür des Schlafzimmers meiner Eltern vorbeilaufe, höre ich laute Schritte und ein unsanftes „UMPHF" von drinnen. Vorsichtig öffne ich Tür.

Bevor ich wirklich ins Zimmer sehen kann, beginne ich bereits zu fragen: „Alles okay?", aber mir purzeln die Worte mehr aus Gewohnheit aus dem Mund, als ich das Zimmer sehen kann.

Mein Vater steht vor dem geöffneten Schrank und zerrt Klamotten heraus und packt sie einen offenen Karton. Neben mir bei der Tür steht schon ein geschlossener Karton, auf dem in Großbuchstaben und der ordentlichen Handschrift meines Vaters „SCHLAFZIMMER" steht.

„Papa? Was machst du?", frage ich mit einem Zittern in der Stimme. Ich weiß, was er tut. Er packt seine Sachen zusammen, in Umzugskartons. Weil er umzieht. Auszieht, verbessere ich mich. Er zieht aus. Meine Augen fühlen sich mit einem Mal richtig geschwollen an, und es drückt auf meine Tränendrüsen, aber es will nichts herauskommen.

Bestürzt dreht mein Vater sich zur Tür. „Oh, Blümchen, du bist ja schon wieder aus der Schule da. Ich dachte, du hattest heute lang Schule?" Er versucht sich vor den Karton zu stellen und ihn mit einem Fuß hinter sich zu schieben.

Ich lache traurig. Als würde ich ihn so nicht sehen. Während ich die Tür schließe, murmele ich: „Hab geschwänzt." Ohne mich um meine Kraft zu scheren, werfe ich die Tür ins Schloss und stürme in mein eigenes.

Ich pfeffere den Rucksack von meinem Rücken auf den Boden neben meinem Schreibtisch. Gesicht voran falle ich auf mein Bett. Mein Vater packt seine Sachen zusammen, während ich nicht zuhause bin, im vollen Wissen darüber, wann ich heute eigentlich wieder daheim sein sollte. Der einzige Schluss, auf den ich komme, tut weh und macht mich wütend: Er wollte still und heimlich seine Sachen aus der Wohnung verschwinden lassen. Mein wütender Schrei wird gedämpft von meinem Kopfkissen.

Hinter mir geht die Tür auf. „Was heißt das, du hast geschwänzt?", fragt mein Vater bestürzt und bleibt in der Tür stehen.

„Ich bin nicht hingegangen", antworte ich trotzig und drehe mich von ihm weg.

„Unentschuldigt?", hakt mein Vater nach.

„Nein, natürlich nicht!", motze ich ihn an. „Ich hab heute morgen dort angerufen, und gesagt, dass ich nicht komme, weil meine Eltern sich scheiden lassen." Wieder pocht es hinter meinen Augen, aber die Tränen wollen nicht fließen.

Mein Vater schweigt für eine Weile, bevor er zu mir ans Bett kommt. Ich fühle, wie die Matratze an einer Seite einsinkt. Dann legt er mir vorsichtig eine Hand auf den Arm. Ich schlage sie weg und rolle mich weiter von ihm weg.

Er seufzt tief. „Ich verstehe, dass es schwer für dich zu akzeptieren ist, dass deine Mutter und ich uns trennen...", beginnt er in einem fürsorglichen Ton, doch ich unterbreche ihn, bevor er irgendetwas erklären kann.

Ich will nicht verstehen, was ihre Gründe waren. Ich will gerade gar nichts erklärt bekommen. Ich will gerade nicht, dass mein Vater auszieht. „Ich kann das super akzeptieren!", protestiere ich und merke selbst, wie hysterisch ich klinge, aber ich kann nicht aufhören zu reden. „Du und Mama, ihr seid einfach egoistisch und denkt nur an euch selbst. Was ist mit mir, wenn ihr euch trennt? Was mach ich dann? Ich will nicht hin- und herpendeln! Ich will kein Trennungskind sein, das von allen mitleidig angeschaut wird! Ich will nicht...!" Ich muss Luft holen und mir entweicht ein Schluchzen. Es ist trocken und einsam. Meine Wut verpufft und ich rolle mich zu einem Ball zusammen.

UnsichtbarWhere stories live. Discover now