Eine schöne neue Welt ...

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Ein Tag wie jeder andere war es sicherlich nicht, das war mir bereits klar, als die Sonne unterging. Während ich durch die in rötliches Licht getauchten Straßen ging, standen meine Gedanken nicht still. Sie drehten sich um die nächste Idee, um den nächsten Schritt, um das nächste Ziel in meinem Leben.

Wie jeden Abend nach der Schule ging ich durch den „verwunschenen Wald" wie er im Geheimen von mir genannt wurde. Die hundertjährigen Bäume, die Dunkelheit in der Ferne, das Flimmern des Lichts zwischen den langsam gelblicher werdenden Blättern ließ ihn aussehen wie aus einem Märchen entsprungen. Aber etwas war anders.

Abrupt blieb ich stehen und starrte wie gebannt auf den Punkt in der Ferne, der mich stutzen ließ. Ein Flimmern, das etwas zu hell war, um zu der untergehenden Sonne zu gehören. Plötzlich war es weg, dann wieder da, wie die Scheinwerfer eines Autos. Vorsichtig ging ich weiter, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen – wobei das nicht funktionierte. Meine Schritte wurden immer schneller, bis ich das Licht endlich erreicht hatte. In einem beinahe unsichtbaren Netz fing sich das Licht wie in tausend Diamanten. Mal flackerte es mehr mal weniger. Vorsichtig streckte ich die Hand aus. Als meine Fingerspitze das Flimmern berührte wich das Kraftfeld zurück, wie ein Schleier wand es sich um meine Hand, legte sich um mich wie ein unberechenbares Netz und umwand mich wie ein dunkler Fluch.

Dann wurde alles dunkle, die Welt drehte sich um, neigte sich dem Ende zu, begann wieder von neuem. Ein dumpfes Rauschen ertönte, ich spürte den Luftzug um mich herum, als ich fiel. Es blieb keine Zeit, um zu schreien, denn schon kam ich auf dem weichen Grund wieder auf. Eine verschwommene Sonne stand direkt über mir, es schien mitten am Tag zu sein, obwohl das nicht sein konnte.

„Hallo", meinte plötzlich eine muntere Stimme. Ich schreckte hoch, stolperte ein wenig und suchte nach dem Ursprung des seltsamen Lauts. „Hier unten bin ich", meldete sich die Stimme erneut. Mein Blick wanderte an mir hinab – soweit schien ich unverletzt – und dann zu einem kleinen Wesen, das mir etwa bis zu den Knien reichte – den Zauberhut mitberücksichtigt. Sein dunkelgrünes Gewand breitete sich auf dem Boden aus und fügte sich perfekt in die Umgebung ein. Der dazu passende spitze Hut verdeckte seine Augen, aber das süffisante Grinsen konnte er nicht verstecken.

„Jetzt wirf mir doch nicht so einen fiesen Blick zu", murmelte der kleine Zauberer – oder was auch immer er war. „Ja, in der Tat, ich bin ein Zauberer, wobei ich lieber als der Sumpfmagier bezeichnet werde." Hatte er gerade meine Gedanken gelesen? „Habe ich tatsächlich, aber mach dir darüber keine Gedanken ..."

„Wo bin ich?", unterbrach ich ihn. Er seufzte. „Ja, das sind immer die ersten Worte in einer neuen Welt. Sicherlich wird die Feenprinzessin etwas Ähnliches denken." Er nickte resigniert, richtete seinen Hut und kam noch einen Schritt näher. Er winkte mich zu sich hinab. Als ich zögerte, murmelte er genervt „Nun komm schon Menschenmädchen, keine fremde Scheu." Also kniete ich mich hin und konnte dem fremden Mann endlich in die Augen sehen. „Du willst also wissen, wo du bist." Ich nickte. „Das hier ist sowieso nur ein Traum, also denk dir was Spannendes aus." Er schüttelte den Kopf, in seinen dunklen Augen war nicht ein Fünkchen Licht zu erkennen. „Die viel wichtigere Frage ist eigentlich, wer du bist." „Ich bin...", setzte ich an, aber er hob die Hand und unterbrach mich. „Es ist nicht wichtig, wer du warst, sondern wer du jetzt sein wirst. Es ist wichtig, dass du mir jetzt genau zuhörst."

Er grinste verschwörerisch. „Es gibt da so eine besorgniserregende Prophezeiung, die dir hoffentlich alles Wichtige offenbart. Wenn du erlaubst." Er räusperte sich, kramte in seiner Tasche, murmelte etwas vor sich hin („wo habe ich es denn nun") und rollte schließlich eine vergilbte Rolle Pergament aus. Und schließlich las er die Worte, die mein Leben für immer verändern würden.   

„Sobald die Kriege unsere Lande verbrennen,

wird der Fluch sich zu ihr bekennen,

sie wird kommen als Zwilling erkoren,

scheitert sie, so ist unsere Welt verloren

Ihr Ebenbild gefangen im Lande der Selbstsucht,

die Liebe für sie eine verzweifelte Flucht,

und gleichzeitig die Rettung am reißenden Kliff des Lebens, dem Tode geweiht

So sei sie die Feenprinzessin, geweiht des unsicheren Pfades des Leids"

Ich schwieg eine Weile, während der Zauberer mich erwartungsvoll anstarrte. „Warum sind Prophezeiungen immer mit Tod verbunden? Das ist doch ... das geht doch nicht."

Er seufzte genervt. „Das ist das Erste, was dir einfällt, Ersatz-Prinzessin? Hast du denn wenigstens alles verstanden?" „Ich bin mir nicht sicher ... also ich habe verstanden, das Krieg herrscht", er nickte eifrig, „es gibt einen Fluch, der leider mich betrifft", er nickte wieder, diesmal noch begeisterter, „Tod, Leid, Verdammnis und Selbstsucht sind auch dabei", ich verdrehte die Augen, „aber die Sache mit dem Zwilling habe ich nicht verstanden und auch nicht, was meine Aufgabe ist." Jetzt verdrehte der Zwerg die Augen. „Hey, ich bin doch kein Zwerg!", rief dieser erstmal entrüstet. „Jetzt erklär ich dir gar nichts mehr, lös das Rätsel doch selbst." „Nein, warte!" Aber da war er mit einem dramatischen Puffen bereits verschwunden. Nur die Pergamentrolle lag immer noch auf dem gepflegten Rasen.

Vorsichtig hob ich sie auf und starrte resigniert auf die Worte. Am Rand des Pergaments war ein fliegendes Piratenschiff eingezeichnet, wenn man es genauer betrachtete schien es sich sogar zu bewegen und aus den Wolken tropften langsam winzige Regentropfen. „Was hast du getan, Sumpfmagier?", fragte ich in die Stille hinein und setzte mich mit der Rolle in der Hand in Bewegung. Bei meinem Gespräch mit dem Zwerg (pardon) hatte ich nicht weiter auf meine Umgebung geachtet, daher blieb mir erst jetzt der Atem weg, als ich das prachtvolle Schloss erblickte, das in der Mittagssonne silbern glänzte. Drei ungleiche Türme kratzten an den Wolken, mindestens ein Dutzend Erker ragten aus der prunkvollen Wand hinaus, die offenbar besetzt war mit allem, was glitzerte, aber darunter blitzte normaler grauer Stein empor, der jedoch perfekt poliert war. Ich probierte alle gängigen Methoden aus, um festzustellen, ob ich träumte. Zunächst kniff ich mir in den Arm, betrachtete dann meine Hände (ich wusste nicht, ob ich froh sein sollte, dass es nur fünf Finger pro Hand waren) und blickte schließlich auf meine Armbanduhr, aber auch die Uhrzeit konnte ich lesen. „Das kann nicht wahr sein", murmelte ich kopfschüttelnd.

Im nächsten Moment öffneten sich die Tore des Schlosses und mein zweites Leben als Feenprinzessin begann. Aber so idyllisch wie das alles auf den ersten Blick wirken mochte – so war es nicht. Der erste Blick aus den grauen Augen der Königin und ich wusste, wenn das hier doch ein Traum war, dann würde es ein Alptraum werden.

The time twinWhere stories live. Discover now