Eine Welt in der Welt

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Mein einziger Hinweis war: „Such nach Ruby." Den Namen hatte ich nun schon zweimal gehört, konnte damit aber nichts anfangen. Also ließ ich mich an der Schlossmauer nieder und starrte in die Ferne.

Als ein plötzlicher Ruck durch meinen Körper ging, dachte ich mir zunächst nichts dabei. Vielleicht hatte ich mich nur erschrocken, mir war kalt, oder es kam vom Schock. Man wird schließlich nicht jeden Tag in eine andere Welt katapultiert.

Als meine Sicht schließlich verschwamm und sich ein seltsamer Schleier über meine Augen legte, wurde ich schon nervöser, stand hektisch auf, stolperte, kam aber nur wenige Schritte weit und dann fiel ich in ein abgrundtiefes Loch, das sich plötzlich vor meinem inneren Auge auftat. Ich schien zu fliegen – erst über den Garten hinweg, dann über einen Wald, dann eine riesige freie Fläche, die vollkommen verdorrt war und dann immer weiter und weiter über verschiedene Landschaften, die ich vor lauter Schnelligkeit kaum noch erkennen konnte.

Und dann ganz plötzlich ruckte es erneut, alles blieb stehen und fiel aus dem Himmel hinab. Den Aufprall spürte ich kaum. Generell spürte ich nichts, keinen Windstoß, keine Kälte oder Wärme nur ein seltsam taubes Gefühl hinter den Augen. Ich blickte mich um. Ich stand offenbar auf einem weißen Sandstrand, hinter mir erhob sich eine riesige dunkelgrüne Hecke, vor mir plätscherte ein glänzendes blaugraues Meer vor sich hin. Besonders fiel mir das Sternenleuchten auf, welches sich in dem Wasser spiegelte. Die Sonne war nicht mehr zu sehen und doch war es hell durch das ständige bläulich-weiße Himmelsleuchten. Soweit wirkte das ja alles ganz idyllisch, wäre da nicht das seltsame Geräusch gewesen, dass mich nun aufhorchen ließ. Ein stetiges Rauschen und Dröhnen, Schreie, etwas das wie ein tiefes Brummen klang, aber all das gedämpft, so als hörte man es nur durch die Wand hindurch. Als das Dröhnen lauter wurde türmten sich plötzlich die Wellen auf, das Wasser schäumte, das Himmelsleuchten wurde golden und die Sterne schienen langsam zu verblassen, als ein riesiger goldener Kreis direkt über mir erschien. Er schien aus goldenem Feuer zu bestehen, hatte mehrere Arme, die er nach mir ausstreckte. Blitze schossen heraus, ließen das Wasser aufspritzen und der Himmel leuchtete. Hinter diesem Lichtkreis war eine Dunkelheit, die mich an ein schwarzes Loch erinnerte.

„Deine Hoffnung wird dein Untergang sein", drang eine tiefe Stimme durch das Rauschen hindurch. Ich hob die Hand, um mein Gesicht vor Wasser und Funken zu schützen.
„Diese Welt erwartet von dir Rettung, aber alles, was du ihr geben wirst, ist Verdammnis. Deine Selbstsucht gleicht der deines Zeitenzwillings und das werde ich ausnutzen. Ich werde deine Welt auslöschen und die deiner Schwester gleich mit. Ich werde..."

Weiter kam die Stimme nicht, denn bevor ich etwas zurückschreien konnte, zog etwas an mir und zerrte mich zurück in die Realität. Oh nein, warte, das war ja gar nicht die Realität, sondern die Realität in der Realität der Realität?

Plötzlich wurde alles schwarz, ich holte hektisch Luft, Panik begann sich in mir breit zu machen, als ich nur noch weiße Lichtpunkte vor schwarzem Hintergrund sah. „Saphira?", fragte eine sanfte Stimme. „Saphira!", diesmal lauter. Ich kniff verzweifelt die Augen zusammen. Meine Finger bohrten sich in den Rasen des Gartens, in den ich offenbar zurückgekehrt war. „Was ist denn nur los mit dir?" Eine Silhouette zeichnete sich vor mir ab, mehr konnte ich nicht erkennen. „Atmen", sagte sie jetzt. „Geht es ihr nicht gut?", mischte sich eine männliche Stimme ein, die mir bekannt vorkam. „Ich kann nichts sehen!", rief ich verzweifelt. Die Silhouette vor mir machte einen erschrockenen Laut und wandte sich wieder an den Mann.
„Bestimmt hatte sie ihre erste Vision!" „Jetzt schon? Ihr Geburtstag ereignet sich doch erst in zwei Tagen!", meinte der Mann entrüstet und endlich konnte ich auch ihn etwas besser erkennen. „Ich hatte schon Geburtstag", erwiderte ich. „Vor etwa einer Woche bin ich 18 geworden! Ich bin nicht ...", doch dann fiel mir ein, dass ich vermutlich gar nicht die war, für die sie mich hielten. Ich schien der Ersatz für jemanden zu sein, der jetzt eigentlich hier sein sollte. Eine Prinzessin.

Ich blinzelte hektisch, endlich verschwand der Schleier vor meinen Augen und ich konnte die beiden Gesichter vor mir sehen. Das eine gehörte dem Diener, Pietro, und das andere kannte ich nicht, ich tippte aber darauf, und ich hoffte, dass es Ruby war, denn um ihren Hals baumelte eine Kette mit einem roten Stein, eines ihrer Augen leuchtete eisblau, das andere rot wie ein Rubin. Die langen schwarzen Haare umrahmten ihr blasses Gesicht, das sich jetzt zu einem besorgten Lächeln verzog.

„Wer bin ich?", schoss es aus mir heraus, sodass sie mich endgültig für verrückt halten mussten. Pietro half mir beim Aufstehen und stützte mich, während ich mich langsam wieder an die normale Gravitation gewöhnte. „Die erste Vision muss schrecklich für dich gewesen sein", meinte Ruby. Ja, wenn sie nur wüsste, was mir davor noch alles passiert war. Daher nickte ich nur und gab ein genervtes „mhm" von mir. „Das müssen wir sofort deiner Mutter erzählen." Mit einem Mal war ich hellwach und riss mich von Pietro los. „Oh nein, ganz sicher nicht. Sie muss doch nicht immer alles wissen!"

Ruby und Pietro blickten sich entgeistert an. Schließlich wanderte Rubys Blick an mir herab und ihr Gesicht verzog sich zu einem angewiderten Ausdruck. „Was ... was trägst du da?", fragte sie und wies anklagend auf mich. „Äh..." „Hast du dich etwa in die Gemächer des Prinzen geschlichen und seine Klamotten gestohlen? Das gehört sich nicht. Wobei dieser ... Unfall auch nicht nach seiner Bekleidung aussieht." Verdammt, welcher Prinz denn nun? „Dein Bruder wird das sicher nicht billigen!", fügte Ruby noch hinzu, packte mich am Arm und zog mich mit sich.
„Wir müssen dich erst einmal zurecht machen, bevor du deiner Mutter gegenübertrittst." Ich ließ mich ergeben mitziehen, denn mir blieb keine andere Wahl. Obwohl mir Ruby nicht direkt sympathisch war, hatte ich das Gefühl, dass ich ihr vertrauen konnte. Pietro nickte uns zu und verschwand schnellen Schrittes in die entgegengesetzte Richtung.

Worte des letzten Kapitels: Labyrinth, Neid, Eitelkeit, machthungrig, zauberhafter Garten, Steinfigur, Kontakt, andere Dimension

The time twinWhere stories live. Discover now