Vier

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12.08.2015

Ich knallte die Tür des schwarzen Prius zu und steuerte die Haustür an. Ich warf die Schlüssel mit voller Wucht in die kleine weiße Keramikschüssel.

"Mom?"

Ich lauschte dem rythmischen Brummen der Klimaanlage, sonst war alles still. Zu still. Mein Blick schweifte über das Telefon und ich bemerkte den fehlenden Hörer.

Er lag in der Ecke, zersprungen. Die Batterien im Raum zerstreut. Panik kroch langsam, mit kalten Füßen meinen Rücken hinauf.

"Mom?"

Ich eilte in die Küche, während meine Augen hastig jedes Detail absuchten. Ein Topf mit brodelndem Wasser stand auf der Heizplatte, eine Packung Nudeln neben ihm. Ein Brett mit einer halb zerhackten Zwiebel lag vergessen auf der Theke. Ich stellte den Herd aus. Das Fenster war leicht an gekippt, so dass ein warmer Windzug meinen Körper  vorsichtig streifte und die beigen Gardinen aufblähen ließ.
Irgendwas war hier gewaltig faul.

"Mom? Mom, wo bist du?!"

Rief ich diesmal lauter, fast hysterisch.
Die dunkelsten Vorstellungen schlichen sich hinterlistig in mein Bewusstsein. Ich rannte in das Wohnzimmer, wo meine Knie vor Erleichterung fast einknickten, als ich Mom dort sah. Ein Seufzer entfuhr mir und ich schloß die Augen für einen kurzen Moment.

"Ach, da bis..."

Das Bild, welches sich vor meinen Augen ergab ,wirkte irrational, falsch.
Wie ein Traum.
Alptraum.

Die Frau vor mir lag zusammengerollt auf dem Sofa. Ihre Arme schützend vor dem Gesicht, die Decke bis zum Kinn gezogen. Ihre fuchsroten Haare standen in alle Richtungen ab und wirkten nicht annähernd so gepflegt wie sonst. Ein lauter Schluchzer entfuhr ihr, gefolgt von weiteren. Ich hätte behaupten können, diese Frau nicht zu kennen, so verletzlich wie sie aussah. So zerstört, sie sich anhörte. Ihre Schluchzer ließen mich bis ins Mark erschüttern. Diese Seite von ihr war mir bisher verborgen geblieben.

Ich ging anfangs unsicher auf meine Mutter zu, doch mit jedem Schritt wuchs meine Entschlossenheit. Ich fegte die Taschentücher vom Sofa, stellte die Tequilaflasche auf den teuren Glastisch und zog die weinende Frau vor mir in meine Arme. Sie wehrte sich, drückte mich weg.

"Nein. Nein." ,wisperte sie leise, wie ein Mantra.

Ich schloss miene Arme fester. Sie gab ihren kurzen Protest auf und ich hielt sie, fing sie auf von einem Sturz, wessen Verursacher ich nicht kannte. Und ich wusste, dass sie jemand gewaltvoll geschupst haben musste, denn diese Frau sprang nicht. Sie flog.

Ich flüsterte sanfte beruhigende Worte und streichelte ihr behutsam über den Rücken. Versuchte sie zu heilen. Mom löste sich langsam von mir und starrte mich aus verweinten roten Augen an.

"Er ist wieder bei ihr. ", sie schüttelte den Kopf und presste die schmalen Lippen aufeinander. Versuchte alles zu unterdrücken.
Eine bittere Träne lief über ihre  verblassten Sommersprossen, bevor die Frau tief Luft holte und die Fassung suchte. Ein kleines krummes Lächeln brachte sie zustande, als sie meine Verwirrung bemerkte.

"Dein Vater."

"Wo ist Dad? Was ist mit ihm?!"

Die Vermutung, welche sich einen Gang durch meine Gedanken grub, versuchte ich hinunter zu schlucken.. Doch sie war hartnäckig und zäh. Sie besaß Widerhaken. Und sie gewann.

Wieso? Wieso tut er ihr so etwas an? Wieso tut er uns so etwas an?

"Woher..", meine Stimme versagte.

"Es ist nicht das erste Mal. Weißt du, er kommt schon seit Wochen später und als ich... als ich heute anrief und diese Frau..." ,das Ende flüsterte sie nur noch und ihre Schultern fingen an zu beben. Ich wollte es stoppen, aber ich konnte nicht. Den keine Hilfe dieser Welt konnte sie aus diesem dunklen Loch holen.

Das Knallen der Haustür riss mich aus meiner frostigen Starre aus Entsetzen und Wut.

"Das muss Sofie sein! Oh nein... River, bitte!"
Ich wusste, was sie wollte. Ich sollte Sofie ablenken, ich sollte ihr nichts erzählen, ich sollte sie vor der Realität beschützen.

"Ja. Räum hier auf und leg dich hin. Du hast Migräne."

Ich stand auf, drehte mich nocheinmal um und schaute in ihre dankenden grauen Augen.
Sofie sah genau so aus wie sie.

"Ich möchte mehr wissen. Später."

Aber ersteinmal musste ich mich um meine eigenen Probleme kümmern.

*****

Ich fühlte mich aufgewühlt und zerstreut. Meine Gedanken schoßen durch mein Gehirn, wie Formel 1 Wagen. Ich dachte nach über alles Wichtige. Mika und Gaven. Mum und Dad. Erneut Mika. Ich wusste nicht was ich ihr schreiben sollte. Mich interessierte so viel. Aber vorallem Gaven. Gaven das Arschloch.

(River, 19:50)
Seit wann hast du was mit Gaven am Laufen?

Okey, dass war vielleicht etwas zu konkret. Und eifersüchtig. Und neugierig. Und dumm. Es war dumm. Ich war dumm. Ich schaute trotzdem gespannt auf den Bildschirm, als beide Häkchen blau aufleuchteten, wie ein Warnzeichen. Mika schrieb. Und ging offline. Gelesen und Ignoriert.

Die Wut in meiner Brust entfachte erneut, das zornige Tier erwachte aus seinem Schlaf.  Ich war wütend auf sie. Nein, auf mich. Ich wusste es nicht.  Ich schlug gegen die Wand, härter, stärker. Das Ungeheur in mir zwang mich, bis meine Fingerknöchel bluteten. Das Knallen der Haustür zeigte mir ,auf wen ich einschlagen sollte. Mein ganzer Hass fokusierte sich allein auf ihn. Meine Sicht wurde rot, vor Hass oder Wut, und ich polterte die Stufen hinunter. Nichts konnte mich aufhalten. Das Tier schrie vor Freude. Freude auf Gewalt.

*****

Das Mädchen starrt auf die Nachricht, als wäre sie ein Rettungsanker. Als wäre sie alles, was ihr blieb. Das war ihre Chance. Sie atmet tief ein und schrieb, nur um die Nachricht, die Wahrheit, danach wieder zu löschen.

(Mika, 19:52)
Seit dem du mich nicht wolltest.

Coldplay - Scientist

ErasedWhere stories live. Discover now