Elf

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24.10.2015

Mika lag im Bett. Das Klappen der Tür hallte in ihrem Kopf. Er war gegangen.
Aber er war hier gewesen. Hier bei ihr. Er hatte ihr einen Kuss gegeben.
Und er liebte sie. Sie musste lächeln. Jemand liebte sie. Endlich.

*****

Jeder Mensch möchte glücklich sein. Alle unsere Tätigkeiten streben genau auf dieses Ziel hinaus. Glückseligkeit. Es ist das höchste, was wir in unserem Leben erreichen können.

Doch wieso hört ein Mensch dann auf sich selbst zu lieben? Wieso schädigt er sich ? Macht er das unbewusst?
Oder sind das die Folgen eines Zieles ,welches zum Glück verhelfen soll? Aber machen diese Folgen nicht unglücklich?

Doch anders konnte ich es mir nicht erklären. Mika nahm ab, um sich schlank zu fühlen und somit ihre Vorstellung von Glück zu leben. Auf ihre Gesundheit achtete sie dabei nicht. Mika blendete sie aus. Genau wie alles um sie herum.
Doch wie konnte es zu so einer Krankheit kommen? Wieso war ihr höchstes Ziel schlank zu werden?
Sie war doch so schön. So perfekt Imperfekt.

Ich saß in der U-Bahn. Es war nachts.
23Uhr eventuell, ich wusste es nicht. Ich fuhr nach Hause. Ich war allein. Nur Fahrgeräusche. Es roch nach billigem Rosenparfüm. Eine bittere Süße lag in der Luft. Auf dem Boden lagen vereinzelte Kaffeebecher, Taschentücher, Zigarettenstummel und Papierfetzen.
Mit schwarzer Farbe und geschwungener Schrift war ein Graffiti an die Scheibe des Wagons geschmiert.
'this is not a lovestory'

*****

100 Schritte entfernt. Ich hätte nicht nach Hause gehen sollen. Mir hätte das Licht und der silberne Mercedes in der Auffahrt auffallen sollen. Dann hätte ich die auf den Treppen sitzende Person früher erkannt. Ich hätte weggehen können oder mir überlegen, was ich sage.

"River."

Doch jetzt stand ich entwaffnet da. Ich schaute ihn einfach an. Seine Haare waren kürzer. Er trug keinen Anzug. Nur eine Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt. Er musste frieren. Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihm wortlos über die Schultern, bevor ich mich neben ihn setzte.
Ich wusste schon am Strand, dass ich ihn nicht hassen konnte. Er war mein Vater.
Doch er hatte nicht nur Mum, sondern auch Sofie und mich verraten.
Nachdem ich weggerannt war, hatte Mum es ihr erzählt. Sie wohnte ein paar Wochen bei ihrer Freundin. Sie könne dieses Haus nicht ertragen, behauptete sie.
Mum war oft allein. Ich selbst flüchtete in die Stadt. Manchmal ging ich nur spazieren, manchmal trank ich. Manchmal war ich bei Freunden und manchmal allein. Nur Zuhause war ich nie.

"Alles Gute zu deinem Geburtstag, mein Sohn."

Es war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Seine feuchten Wangen spiegelten das Licht, welches traurig aus der Glastür schien. Er gab mir einen hellen Umschlag.

"Es tut mir Leid."

Ich stand einfach auf, betrat das Haus und schloss die Tür hinter mir. Heute würde ich nicht verzeihen. Nicht ihm.

Es brannte Licht in der Küche. Diesmal war das Fenster zu. Die beigen Vorhänge wehten nicht im Wind. Kein Topf stand auf der Herdplatte, kein Brett daneben. Das Telefon war heile.
Es roch nach Schokolade.
Auf dem Tisch stand eine große Torte. 18 heruntergebrannte Kerzen zierten sie. Konfetti drum herum. Ein paar Geschenke auf dem Tisch. Es war einsam. Ich würde sie morgen öffnen. Mit Mum und Sofie. Ich würde einfach morgen 18 werden.
Ich schaltete das Licht aus und schlich nach oben, an meinem Zimmer vorbei und hielt vor Sofies. Die Tür war offen und sie schlief friedlich. Ich ging weiter, zog meine Schuhe aus und legte mich neben Mum ins Bett.
Wie konnte ich nur so egoistisch gewesen sein und sie allein lassen? Gerade jetzt, wo sie mich am meisten brauchte? Ich drehte mich auf die Seite, der Umschlag in meiner Hosentasche knisterte und ich schaute Mum an. Sie hatte die Augen geöffnet.

"Happy Birthday, mein Großer"

Sie drückte sanft meine Hand und ich musste lächeln. Sogar an das Konfetti hatte sie gedacht. Als ich 12 war hatte ich mich beschwert, dass der Tisch an einem Geburtstag nicht trist aussehen solle. Er solle besonders sein. Sie hatte nichts vergessen. Sie war eine schöne Mutter. Sie hatte das nicht verdient.

"Verzeihst du ihm jemals?"

"Ich habe es schon einmal Mal getan und ich werde es wieder tun."

"Tust du das für uns?"

"Weißt du River, wenn du jemanden wirklich liebst, dann würdest du dein Leben für ihn geben."

"Wie kannst du ihn überhaupt noch lieben?"

"Ich weiß es nicht. Ich kann das nicht bestimmen. Es ist einfach so. Denn manchmal ist das Leben einfach nur unfair."

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