Fünf

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12.08.2015 

Ich flog mit meiner gesamten Wucht gegen die glänzende Glaskommode. Die Porzellanvase meiner Mutter zerbrach in tausend einzelne Stücke und der Teppich färbte sich dunkel in einer Lache aus Wasser. Eine einzelne Blume lag zwischen den Scherben. Sie war rot.
Meine Wut verebbte, das Ungeheuer in meinem Herzen sank zusammen, als ich meine Mutter erblickte, wie sie sich schützend vor mich stellte. Sie war wie die rote Blüte. Sie beschützte ihr Wasser, das was ihr wichtig war, egal ob sie dabei von den Scherben und Splittern verletzt wurde. Sie war so stark.

Ich stützte mich an der gläsernen Kommode ab und stand auf. Gab der mutigen Kämpferin Rückendeckung. Ich beobachtete meinen Vater, den Feind. Seine lederne Aktentasche lag hinter ihm, einzelne bedruckte Blätter verstreut auf dem Boden. Ein letzter Lichtstrahl sprang durch die große Glastür hinter ihm. Seine Haare wirkten wie Gold, seine Gesichtszüge unschuldig.
Ich hasste ihn. Ich hasste mich.
Dafür, dass ich aussah wie er. Mein Vater fasste sich ungläubig an die Nase. Blut färbte seine Finger purpurrot. Ein paar einzelne Tropfen beschmutzten sein schneeweißes Hemd und zeigten, dass seine Weste nicht so rein war, wie sie schien.

„River... was?", seine Stimme war heiser und hoch, während er mir geschockt in die Augen schaute. Die selben Augen.

Er sollte abhauen. Weg gehen. Aus diesem Haus verschwinden. Er hat ihr so oft wehgetan, sie verletzt. Nein, das durfte niemand. Niemand auf dieser beschissenen Welt hatte das Recht dazu!

„Verschwinde."

Doch nicht ich war es, der das Wort erhebt. Es war die Person vor mir. Unentschlossen sprach meine Mutter es aus, mit zittriger Stimme. Ich legte meine Hand auf ihre zierliche Schulter, unterstütze sie. Mein Vater rührte sich nicht und stand wie versteinert da. Aus seinem Blick sprachen tiefste Schuldgefühle. Er starrte den den Boden an, als er versucht sich zu rechtfertigen.

„Ann, ich...ich wollte es dir doch... Bitte, Schat.."

„Verschwinde!", schrie meine Mutter und sackte auf dem Laminat erschöpft zusammen. Sie hörte sich so zerstört an, so verletzt, dass es mir einen Schlag ins Gesicht verpasste. Die rote Blume hatte die Scherben überwunden und ihre Farbe verloren. Sie war grau und verwelkt. Die Kämpferin hatte ihren Mut verloren.

„Bitte.", flüsterte die Frau vor mir weinend und starrte ihrem Mann direkt in die hellen Augen. Er schüttelte sachte den Kopf, hob seine vergessenen Dokumente auf und verschwand. Er schloss die heile Tür sachte und ließ eine kaputte Familie zurück.

Sofie's Stimme holte mich aus meiner vergrauten Starre. Wie sie dort stand auf der Treppe, die Kopfhörer locker um den Hals gehangen, ahnungslos, und mich einfach nur anschaute, als könnte sie alle Antworten aus meinen enttäuschten Augen lesen. Sie registrierte meine blutenden Hände und riss entsetzt die Augen auf, als sie Moms Schluchzer hörte.

Ich musste hier weg. Sofort. Ich mochte das nicht erklären. Ich konnte das nicht erklären. Ich war selbst zu verwirrt, um irgendwas zu realisieren. In der Ferne brüllte ein Donner. Die letzten schwülen Sommertage entluden sich.

Ich bemerke nicht, wie meine Hände die Tür Aufrissen. Meine Füße mich durch die Straßen trugen, schneller, immer schneller. Sie wussten besser als ich, an welchen Ort ich wollte. Keuchend und verzweifelt blieb ich vor der robusten Holztür stehen. Meine Wangen waren feucht, ob vor Schweiß oder Tränen, ich wusste es nicht. Ich haute auf die zerkratzte weiße Klingel mit der Aufschrift 'Harris'. Die lauten Töne, gingen fast im Krachen des Gewitters unter. Ich hörte ein Lachen, gefolgt von Schritten. Mika's Lachen.

Ein halbnackter grinsender Gaven öffnete mir die Tür. Doch sein Lächeln entwich ihm , als er mich bemerkte. Meine Auffassung bemerkte. Ich ging langsam rückwarts die Stufen runter.

"Ehy Alter, möchtest du vielleicht mit Mika reden? Ich haue ab, wenn du das willst."

"Nein. Nein, schon okay. War nicht so wichtig."

Ich zwang mir ein Lächeln auf und ging einfach davon. Wohin wusste ich nicht. Riesige Regentropfen fielen nun vom Himmel, explodierten auf dem Beton und zerplatzten in tausend einzelne Sprenkel. Meine Sicht war verschleiert und ich erkannte nur vage den Eingang eines Parks neben mir. Ich ging durch die traurigen Bäume und suchte unter einer alten Eiche Schutz. Kleine Rinnsale liefen meine Stirn hinunter und tröpfeln von meiner Nasenspitze. Meine Haare und Klamotten trieften vor Nässe. Ich legte mich in das feuchte von der anbrechenden Nacht dunkelgrün gefärbte Gras und starrte durch die dicken Zweige des Baumes in den Himmel. Es dauerte nicht lange, bis sich einzelne Sterne ihren Platz in der Schwärze erkämpften.
Ich wünschte, ich wäre einer von ihnen. Weit weg von hier. Von allen Problemen. Einfach verschwinden, wie Dad. Ich wäre ein Einzelkämpfer ohne Probleme.

Eine einzelne gefühlsbunte Träne lief meine Schläfe hinunter.
Sie zerbrach so laut.

*****

Das Mädchen hörte dem Gespräch zu und beobachtete den Jungen vor der Tür. Er brauchte sie, jetzt. Was hatte ihn nur so sehr entstellt? Ihn so tiefst verletzt?

Doch sie konnte ihm nicht helfen, ihm nicht das geben, was er möchte, ohne selbst verletzt zu werden. Trost und Verständnis, das brauchte der Junge. Eben einen richtigen Freund. Doch das Mädchen wollte mehr, als Freundschaft. Und so, so konnte sie einfach nicht weitermachen.

Wenn sie ihn jetzt gehen ließ, dann würde er nicht zurückkommen. Das wusste Mika. Und so schaute sie ihm traurig nach, als er seine Hände in den Hosentaschen versenkte und mit eingeknicktem Kopf und zerteilter Seele ihr Sichtfeld verließ.

Ben Cocks - So cold

ErasedWhere stories live. Discover now