Zehn

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24.10.2015

Es war diese Nacht in der ich die Sterne bewunderte, als der Anruf kam.
Es war die Nacht, in der mein Stern aufhörte zu leuchten.

Ich raste über den Highway. 112 mph.
Mehr ging nicht. Ich hasste mein Auto. Ich musste zu ihr. Ich musste mich entschuldigen.

*****

Krankenhaus, stand auf dem hellen Schild. Ich bog ab. Noch drei knappe Meilen.Ich musste mich beeilen. Es könnte schon längst zu spät sein.
Nachdem Mr. Harris mir erzählte, dass Mika im Krankenhaus lag, legte ich sofort auf, sprang in meinen Prius und raste los. Ich wusste nicht, wie es ihr ging, was sie hatte.
...Ob sie überhaupt noch lebte.
Meine Sicht verschwamm, ich presste meine Hände um das Lenkrad. Fuhr schneller. Versuchte mir einzureden, dass es harmlos sein könnte. Ein Beinbruch oder eine Blinddarmentzündung.

Endlich. Ich parkte direkt vor dem Eingang. Man hörte ein paar Sirenen und sah das Blinken vereinzelter Krankenwagen. Ich rannte zur Rezeption. Ein junger Mann. Ende 20. Gestresst. Ein Telefon klemmte ihm zwischen Kopf und Schulter. Ich unterbrach ihn in seinem Gespräch.

"Mika Harris?"

Er guckte mich an. 5 Sekunden.

"WO FINDE ICH MIKA HARRIS, VERDAMMT?"
Ich schrie.

Er starrte mich geschockt an. Wie alle anderen. Angehörige, Patienten, Wartende.
Es roch nach Schmerz.

"WO IST SIE?"


Der Mann erwachte aus seiner Starre. Er strich einzelne helle Strähnen aus seiner Stirn und gab ihren Namen im alten Computer ein. 15 Sekunden. Es dauerte zu lang.





"Es tut mir Leid, Sir... Aber nur Familienmitglieder haben Zutritt zu diesem Zimmer."

Stille. Man hörte das Atmen der Menschen.

"Außerdem sind die Besuchszeiten seit einer Stunde vorbei." ,murmelte er noch leise.

Ich senkte meinen Blick und starrte meine Schuhe an.

"Ist sie..? Wissen sie..? Was...? " Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.

Meine Hände zitterten. Ich stütze mich an der Theke ab und atmete tief durch.
10 Sekunden.
Er musste mich zu ihr lassen. Jetzt.

"Ich bin ihr ... Verlobter."

Ich hob meinen Blick.
Der Mann schaute mich eindringlich an. Er wusste genauso gut wie ich, dass dies gelogen war. Er wusste, dass ich viel zu jung war. Zu unerfahren. Zu verletzt.
Doch irgendwas in seinem Herzen ließ ihn verstehen. Sagte ihm, dass er das Richtige tun würde.

"Intensiv, Zimmer 43. Sie haben 10 Minuten."

Ich rannte die Treppe empor. 4. Etage. 20 Sekunden.

Da. Das Zimmer lag am Ende des Korridors, abgelegen. Die Tür war hellbeige, die Zahl dunkel. 43.
Mika hatte am 4.3 Geburtstag.
Ich blieb stehen.
Jeglicher Mut hatte mich verlassen.

Ich umfasste die Türklinke. Meine Hände waren schwitzig. Ich hatte Angst. Ich war nervös. Ich konnte das nicht.
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Ich stürmte ins Zimmer.
Eine kleine Nachttischlampe leuchtete kalt und schwach. Es war ein Einzelzimmer. Mika lag mit dem Gesicht zum Fenster. Ich ging auf sie zu, umrandete das Bett. Langsam. Vorsichtig.
Ihre Augen waren geschlossen.
Sie sah tot aus. Tiefblaue Venen, Aschfahle Haut. Ihre Knochen traten überall hervor. Sie war dünn. Zu dünn. Wieso war sie so abgemagert? Es war mir vorher nie aufgefallen. Wieso nicht? Wieso habe ich darauf nie geachtet? Ich hätte das hier alles verhindern können! Ich scheiß Idiot! Ich hätte mich um sie kümmern sollen. Stattdessen dachte ich nur an mich. Es drehte sich alles immer nur um mich. Und deswegen lag Mika verletzt im Krankenhaus.

Ich umgriff ihre Hand. Ich brauchte einen Beweis. Einen Beweis dafür, dass sie lebte. Ihre Finger waren warm. Doch sie trug einen kalten schwarzen Nagellack.

"Wieso tust du nur immer so einen Scheiß, Miky?"

Ich lachte leise auf.

"Ich vermisse dich so sehr, weißt du? Es tut mir Leid. Aber bitte, komm einfach zurück zu mir, ja?"

Schweigend wartete ich, unwissend ob ich den nächsten Satz aussprechen sollte. Man sagt, Patienten hören alles, wenn ihre Liebsten da sind. Ich sprach.

"Mika ich ... ich liebe dich."

Es stimmte. Ich liebte sie. In jeder erdenklichen Weisen wie ein Mensch nur einen anderen lieben konnte. Sie war meine Droge. Mein Verlangen. Mein Zuhause. Meine Zuflucht.

Ich strich ein paar der krausen Locken aus ihrem Gesicht, als es an der Tür klopfte.
Eine kleine pummelige Schwester öffnete die Tür einen Spalt breit und linste mich an.

"Sie dürfen hier..."

"Jaja, ich weiß. Ich komme ja gleich."

Sie ging weg. Einfach so.
Ich gab Mika einen sanften Kuss auf die Stirn. Ich wollte noch bei ihr bleiben. Sitzen bleiben und sie einfach beobachten. Ich wollte sie einfach beschützen.

"Denk daran, ich bin immer für dich da."

Ich drehte mich langsam um, und lies sie allein. Ein großer Strauß roter Rosen fiel mir auf.

Vor dem Zimmer wartete die kleine Schwester.

"Ich denke, dass du weißt, was du da getan hast. Und ich denke, dass ich heute mal nett bin. Also lauf schon."

Ich lächelte sie dankend an, was in diesem Zustand jedoch kläglich scheiterte. Die Frau blickte mitleidig zurück. Ihre rote Brille rutschte ihr beinahe von der Nasenspitze.

"Ich hätte noch eine Frage..., von wem waren diese Rosen im Zimmer?"

"Dieser schöne Strauß? Ach, ein charmanter junger Mann hat ihn vorhin für sie hergebracht! Er bestand darauf, dass er in ihrem Zimmer stehen würde. Aber bei so einem Prachtexemplar, kein Wunder! Wenn ich mal so einen bekommen würde, hach."

Sie kicherte.

"Aber weißt du, Wenn ich Recht überlege, müsste er sogar in deinem Alter gewesen sein. Kennst du ihn vielleicht?"

"NEIN. Danke. "

Gaven. Gaven. Gaven.
Er nutzte sie nur aus! Warum sah sie das nicht ein? Diese kleine Aufmerksamkeit war doch nur Mittel zum Zweck gewesen. Ich könnte ihn umbringen. Ich hasste ihn.

Ich stürmte davon. Ich musste mich abregen. Wenn ich mir nur vorstellte, wie er meine verletzliche kranke Mika anfasste, dann...
Ich blieb abrupt stehen und drehte mich um.
Die Schwester schaute mich lächelnd an.
"Hast du was vergessen?"

Ich zeigte auf die blaue Krankenmappe neben Mikas Zimmer.

"Ich weiß nicht einmal, was sie hat..."

Sie entnahm das Krankenblatt und setzte eine marineblaue Lesebrille auf. Das Lächeln entwich ihren unschuldigen Lippen, als sie mir die Worte vorlas.

"Schädelhirntrauma,leicht; Rippenfraktur; Untergewicht; Verdacht auf Anorexie."

Adele - Hometown Glory

ErasedWhere stories live. Discover now