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Anstatt Tony zu beleidigen, bleibe ich still und hänge meinen Gedanken nach. Der Bleistift in meiner Hand wippt nach vorne und nach hinten, während das Blatt vor mir leer ist. Ich muss meine Hausaufgaben noch schnell erledigen und bei Gott, Clara und Tony gehen mir mit ihrem Knutschen so auf die Nerven.

,,Könnt ihr woanders ficken? Ich kotze noch", pampe ich genervt. Natürlich weiß ich immer noch nicht, was dieses Buch erzählen soll, denn das kann kein Buch aus einem Verlag sein. Es sieht eher nach einer Handschrift aus und die Idee mit dem Tagebuch habe ich seit dem letzten Eintrag verworfen, denn anscheinend sind das solche tiefgründigen Nachrichten, die man einfach überdenken soll. Anders kann ich es mir nicht erklären und nach jedem Eintrag verwirrt mich dieses Buch und der Protagonist mehr und mehr.

,,Claire? Du weißt, dass du die Hausaufgaben für Englisch noch machen musst?", weist mich Finja darauf hin und dankend nicke ich, bevor ich einfach irgendetwas halbwegs logisches hinschreibe. Letztendlich höre ich dann Musik, während Lisa meine Haare flechtet und Finja vor Langeweile etwas malt. Ich vermute, sie malt Blümchen, denn ein wirkliches Talent dafür besitzt nur Chris, ein Typ aus unserer Gruppe. Wir hängen in der Schule immer in so einer Gruppe ab.

Clara und Tony stecken sich die Zungen in den Hals und Tonys bescheuerte Freunde sitzen bei uns am Tisch und reden über Fußball. Wir ignorieren uns gegenseitig und das gefällt mir ganz gut, denn so muss ich mit keinem Idioten diskutieren. Leise singe ich den Songtext mit, egal wie falsch und gesummt es klingt. Anders halte ich es bei diesen Höhlenmenschen nicht aus. Grummelnd stehe ich auf, als die nächste Stunde beginnt und laufe mit Clara in den Chemieraum. Lisa hatte damals mal Papier angezündet und wollte ein Lagerfeuer errichten, was der Lehrer aber vernichtete und Lisa zum Direktor musste. Da Mr. Sorice aber ein lieber und alter Mann war, konnte Lisa es bei einer Verwarnung belassen. Wenigstens hatte ich Mr. Woods bereits hinter mir, während Finja sich nun in seinem Unterricht einfinden muss.

Nach dem Unterricht treffen wir uns alle wieder vor dem Schulhof und Clara umarmt uns alle, ehe sie mit Tony verschwindet. Lisa steht auf einem Skateboard und Tonys Freunde verabschieden sich gegenseitig. Ich bewege meinen Kopf zur Musik und Finja lächelt friedlich, ehe sie uns Mädchen umarmt und in das Auto ihrer Mutter steigt, die auf sie gewartet hat.

,,Sehen wir uns später, Claire?", stupst Lisa mich an und grinst.

,,Nein", schüttele ich den Kopf und kriege meine Haare ins Gesicht. Es ist windig und genervt streiche ich mir einzelne Strähnen aus dem Gesicht. Ich erkläre Lisa, dass ich noch etwas vor habe und verschweige ihr, dass ich in meinem Zimmer sitzen werde und einen neuen Eintrag lese. Mit einem Lächeln winke ich Lisa und Tonys Idioten zu, ehe ich mich auf den Weg nach Hause mache.

,,Claire, angel' dir mal eine!", ruft Lisa lachend, ehe sie an mir vorbeifährt. Kopfschüttelnd gehe ich einfach weiter, obwohl ich lächele. Lisa sagt gerne, dass ich endlich mal wieder eine feste Freundin brauche, aber Lisa selbst ist single und bisexuell. Bis jetzt hat es auch niemanden interessiert und nur weil ich lesbisch bin, muss ich auch nicht nur Mädchen toll finden. Jungs können genauso gut aussehen, aber wenn Clara mal einen Kerl geil findet, würde ich ihn nie so bezeichnen.

Wenig später sitze ich mit einer Tasse Kakao, dem schwarzen Buch und einer Decke auf dem Sofa und höre dem Knistern des Holzes im Kamin zu. Neugierig klappe ich also dieses Buch auf und lese den nächsten Eintrag, während ich an meinem Kakao nippe und herzhaft gähne. Meine Mutter ist eh arbeiten und ihr Freund ist bestimmt in der Garage und arbeitet dort. Er ist Mechaniker oder so. Mom arbeitet in einem Büro und eigentlich interessiert mich das wenig.

Einige Male verziehe ich mein Gesicht oder muss einige Zeilen nochmal lesen, damit ich es verstehe. Unruhig rutsche ich auf dem Sofa hin und her. Diese Hauptfigur ist so real und ich kann mir einfach niemanden vorstellen, der diese Einträge schrieb. Es ist verdammt merkwürdig und als ich das Buch zuklappe und mich zwinge, nicht einfach weiter zu lesen, bevor ich aufspringe und aufgeregt in mein Zimmer renne und den Laptop ins Wohnzimmer trage. Die orangene Tapete ist zwar alt, aber sie sieht mit dem dunklen Holzboden im Wohnzimmer perfekt aus.

Meine Finger kribbeln und als der Laptop hochfährt, nippe ich an meiner Tasse Kakao, ehe ich auf den Browser gehe und etwas eintippe. Neugierig forsche ich nach einigen Fachbegriffen und wie man ein Tagebuch schreibt. Lisa ruft mich währenddessen zwar an, aber ich ignoriere mein Handy und lasse die Musik meine Gedanken füllen. Vollkommen überdreht suche ich weiter nach Wörtern und werfe dabei immer nur kurze Blicke in das schwarze Buch, damit ich besser suchen kann. Allerdings blättere ich nie weiter, als zum letzten Eintrag, den ich gelesen habe. Schließlich habe ich tausende Nachrichten auf dem Handy und zwei verpasste Anrufe von Lisa, aber mein Handy dient mir gerade nur zum Musik hören. Der Kamin brennt und die Musik überdeckt das leise Knistern des Holzes. Die Wärme füllt den Raum und ich grinse zufrieden, als ich genug gelesen habe und den Laptop weglege. Ich habe zwar keine Anhaltspunkte, wer diese Person in dem Buch ist, aber irgendwie scheint es irrelevant zu sein.

Mein Deutschlehrer würde das Buch vermutlich analysieren oder so einen Mist, aber stehe auf und lege das Buch weg. Meine Mom wird bald von der Arbeit kommen und kochen, doch ich bin auf den nächsten Eintrag gespannt, denn das sind Gedanken einer unbekannten Person und eigentlich hätte ich nicht rein lesen sollen, aber jetzt ist es eh zu spät und während ich den Alltag durchlebe, frage ich mich, wer sowas schreibt. Heutzutage nutzen sie alle Handys oder interessieren sich nicht mehr für das Schreiben.


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