5.Kapitel

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Clarissa

Am nächsten Morgen weckte mich Lucille, indem sie mit ausgefahrenen Krallen auf meinem Bauch herumtrampelte. Als ich sie vorwurfsvoll ansah, blickte sie mich nur noch vorwurfsvoller an. So nach dem Motto, wann stehst du endlich auf. Ich möchte raus und zu fressen gabs heute auch noch nix.

Um weiteren Ärger zu vermeiden quälte ich mich aus dem Bett, gab Lucille etwas zu fressen und kochte mir einen Kaffee. Frischer Kaffee Duft durchströmte meine winzige Wohnung und im Ofen wärmte ich ein paar Brötchen auf. Wie zu erwarten gewesen war, leistete Lucille mir beim Frühstück keine Gesellschaft, sondern verschwand in den Garten.

Seit meine Beziehung mit Dylan gescheitert war, hatte ich nur noch die Katze um mir Gesellschaft zu leisten. Gemeinsam waren wir aus unserem großen Apartment in diese kleine Räuberhöhle gezogen, wie ich unsere Wohnung liebevoll nannte. Doch Lucille schien Dylan weniger zu vermissen als ich. Aber ich bezweifle, dass sie ihn je gemocht hatte. Immer wenn er sie hoch nehmen wollte war sie beleidigt abgezogen und freiwillig kam sie nur zu mir.

Gegen zehn Uhr verließ ich meine Wohnung und stürzte mich in das Getümmel der Großstadt.

***

E

in Auto konnte ich mir nicht leisten, obwohl es sowieso überflüssig gewesen wäre. Denn in London kommt man als Fußgänger ungefähr doppelt so schnell voran wie ein Autofahrer.

Da ich von der Geschwindigkeit der Busse ebenso viel hielt wie von Autos, fuhr ich immer mit der U-Bahn.
Die Atmosphäre in der Londoner U-Bahn ist herrlich. Es gibt dutzende Menschen, die man beobachten kann, sodass einem nie langweilig wird. Man sieht alle möglichen Leute, Büroangestellte in schicken Anzügen, Bauarbeiter, Kellner, Verkäufer, Schüler und ab und zu auch Musiker. Ich mochte es keinen dieser Menschen zu kennen. Und zu wissen, dass auch sie mich nicht kannten gefiel mir. Schon als kleines Kind liebte ich die Anonymität Londons.

Aufgewachsen war ich in einem kleinen Dorf an der Englischen Küste. Ein Dorf wo jeder jeden kannte und jeder alles über seine Nachbarn wusste. Keiner konnte ein Geheimnis haben. Oder auch nur irgendetwas tun ohne, dass die Nachbarn davon erfuhren. Ich hasste das Gefühl wenn jemand alles über mich wusste und sich den ganzen Tag die Nase am Fenster platt drückte nur um zu beobachten was ich den ganzen Tag machte. Deshalb hatte ich schon als Kind beschlossen nach London zu ziehen. Dass die Mieten und die Lebenshaltungskosten so hoch sein würden, hatte ich damals nicht einmal ahnen können.

Ich musste von der U-Bahn Station noch einige Straßen laufen, um zu meiner neuen Arbeitsstelle zu gelangen. Dafür hatte ich einen schlechten Tag erwischt... Der Himmel war grau wie ein Stück Beton und es schüttete wie aus Badewannen. Aber wir Engländer sind auf unser Wetter vorbereitet, weshalb ich einen rot-weiß gepunkteten Regenschirm in der Tasche hatte. Auf der Straße und dem Gehweg hatten sich große Pfützen gebildet und schon fast bereute ich, dass ich keine Gummistiefel angezogen hatte. Doch es war nicht mehr weit, weshalb ich mir einredete: durchhalten Clarissa. Und es machte mir sogar Spaß tänzelnd um die Pfützen herum zu laufen.
Wie aus dem Nichts kam eine große schwarze Limousine viel zu schnell die Straße entlang geschossen. Auf der Straße neben mir war eine riesige Pfütze und noch bevor ich ausweichen konnte fuhr das Auto direkt hindurch. Eine eiskalte Welle traf mich volles Rohr... Und das an meinem ersten Arbeitstag.

Der Fahrer der Limousine fuhr Einfach weiter und ließ mich stehen wie einen begossenen Pudel...

Winterliebe (John und Clarissa I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt