1. Kapitel - Knallharter Alltag

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"Vanessa hat einen hervoragenden Aufsatz zum Thema Evolutionstheorie verfasst, den ich euch jetzt gerne präsentieren möchte.", kündigte uns unser Lehrer an. Als ob das irgendjemanden in dieser Klasse interessieren würde! Außer vielleicht die Streber unter uns... Gelangweilt stützte ich meine Kopf auf meine Hand und blickte aus dem Fenster, von wo aus man einen guten Überblick über den im Moment fast leeren Schulhof hatte. Gerade lief unser Hausmeister mit einer riesigen Leiter zum Fahrradschuppen. Einzelne Blätter fegten über den Platz. Meine Gedanken waren bei der Scoutingtour von the "Voice of Germany", die bald anstand. Ich hatte mich vor vier Wochen dort angemeldet. Zwar war bin ich nicht von ganz alleine auf die Idee gekommen, sondern durch meine beste Freundin Merle, die die letzten Staffel immer konsequent verfolgt hatte und es dieses Jahr selbst versuchen wollte, dennoch war es meiner Meinung nach eine ziemlich große Sache. Ich hingegen hatte immer nur Ausschnitte gesehen und wollte ihr durch meine Teilnahme vor allem seelischen Beistand leisten. Eigentlich war ich kein großer Fan von Casting-Shows wie "Deutschland sucht den Superstar", "Germanys next Topmodel" oder ähnlichem. GnTM schaute ich mir zwar regelmäßig an und fand es auch relativ unterhaltsam, doch trotzdem hatte ich den Eindruck, dass es in diesen Shows weniger um das Singen oder Modeln, als nur um den Entertainment-Faktor ging. Den Teilnehmern schienen oft Rollen aufgedrückt zu werden, die in fast jeder Staffel gleich waren: Es gab mindestens eine Zicke, die niemand mag, dann war da der Publikumsliebling, die Heulsuse, der Unscheinbare und so weiter.... Doch ich musste leider zugeben, dass diese Form der Unterhaltung auch bei mir ankam. Ich konnte nur hoffen, dass es bei "The Voice of Germany" anders sein würde. Zumindest machte es so den Eindruck. Plötzlich traf mich ein Papierkügelchen im Nacken und riss mich somit aus meinen Gedanken. Mit einem Blick nach vorne vergewisserte ich mich, dass Herr Budler, unser Biologie-Lehrer nicht zu mir sah und bückte mich dann, um das Geschoss aufzuheben. Als ich es entknüllte, las ich:
Hey, nicht einschlafen, es stehen bald Klausuren an! ;-)
Treffen uns nachher mit Merle und Toby an der Mensa.
Ich musste grinsen und warf einen Blick über meine Schulter, um Bennet, von dem der Zettel augenscheinlich gekommen war, verstehen zu geben, dass ich verstanden hatte. Er nickte kurz und fuhr sich durch seine blonden Haare. Er war schon heiß... Bennet war der beste Freund von Toby East, Schwarm aller Mädchen und mega nett. Ich hatte ihn näher kennen gelernt durch Merle, die mit Toby zusammen war. Er war genau der Typ Junge, von dem jedes Mädchen träumte... Als ich mich bei dieser Schwärmerei erwischte, gab ich mir innerlich eine Ohrfeige und versuchte mich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren, denn Bennet hatte Recht; die nächste Klausur ließ nicht lange auf sich warten. Nächstes Jahr würde ich mein Abitur machen und dann hätte ich endlich Ruhe von dieser lästigen Lernerei. Das meiste, das uns hier jeden Tag reingeprügelt wurde, als wären wir irgendein Lexikon, würden wir eh niemals im Leben brauchen. Doch bevor ich überhaubt an mein Abi denken konnte, musste ich erst mal meine Noten wieder aus dem Keller reißen und das war nicht ganz so leicht. Ich war ein sehr quierlieger und aufmüpfiger Mensch, der seine Nachmittage lieber mit seinen Freunden als mit dem Lernen verbrachte. Und diese Mischung kam bei den Lehrern nicht besonders gut an. Ich hatte schon öfters Verwahnungen bekommen und das erfreute meine Mutter nicht wirklich. Für sie hatte ich mich schon oft zusammen reißen müssen, auch wenn mir bei manchen so dämlichen Lehrern schon mal schnell meine Zunge ausrutschte. In letzter Zeit gelang mir das auch relativ gut, weswegen ich mir selber auf die Schulter klopfen musste. Gerade schrieb Herr Budler wieder irgenetwas an die Tafel und forderte uns auf, mit zu schreiben, was ich fast nicht gehört hätte, hätte ich nicht so eine tolle Sitznachbarin. Angestrengt kniff ich die Augen zusammen. Herr Budler hätte genau so gut Chinesisch schreiben können, davon hätte ich wahrscheinlich mehr verstanden. Mist, vielleicht sollte ich doch Chiara, das Ass aus unserem Kurs, einmal fragen, ob sie mir helfen konnte. Seufzend fing ich also an, diese nicht enden wollende Sätze unseres Lehrer abzuschreiben. Wie viele Kommas wollte er eigentlich noch darein bringen?! Am Ende der Stunde war ich total genervt und verstand nur noch Bahnhof, von dem, was Herr Budler da vor sich hin brabbelte. Und je mehr ich versuchte hinzuhören, desto verwirrter wurde ich. Erleichtert sprang ich auf, als die schrille Schulglocke leutete und somit die Mittagspause anschlug. Schneller, als Herr Budler gucken konnte, war ich auch schon zur Tür hinaus gehechtet und stürzte mich in die Schülermasse, die auf dem Weg zur Mensa war.

"Und dann hat Anton seine Unterlagen vom Tisch gefegt und ist raus gerannt! Ihr hättet den Gesichtsausdruck von der Striezel sehen müssen, die war so geschockt!", brachte Merle unter Lachtränen heraus, während ich ohne großen Appetit in meinem Essen herum stocherte.
Das Essen hier war nicht wirklich das Beste, wie es wohl an den meisten Schulen der Fall war, doch ich war froh, dass wir Mittags überhaupt eine warme Mahlzeit bekamen. "Wie war denn euer Kurs so?", fragte Merle, die sich inzwischen von ihrem Lachanfall erholt hatte. Ich warf Bennet einen Blick zu und sah den selben vielsagenden Blick, den auch ich drauf hatte. "Naja.... Bio eben....", sagte ich und verdrehte die Augen. Nachdem wir das von unseren Tellern hatten, was wir noch irgendwie runter bekamen, machten wir uns auf den Weg zum Aufenthaltsraum für Oberstufenschüler, da wir  nach der Mittagspause frei hatten. Auf dem Weg verabschiedeten sich Bennet und Toby von uns. Ich wusste nicht genau, wo sie hin gingen, doch ich hatte die leise Vermutung, dass sie zur berühmt berüchtigten Raucherecke wollten. Ich hatte Merle bis jetzt noch nicht von meiner Vermutung erzählt, da sie es mir sowieso nicht glauben würde. Sie hatte eben die rosa-rote Brille auf, was mir gerade um so mehr auffiel, als sich Toby mit einem langen Kuss von ihr verabschiedete und sie ihm verträumt hinterher sah. "Komm jetzt, das ist ja nicht aus zu halten mit dir!", sagte ich lachend und zog sie mit mir.

Eine Show, die mein Leben verändertWhere stories live. Discover now