{no.9} Uncertainty × [no.2]

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"John! Was soll das?" Rose funkelt mich unglaublich wütend an.

"Was ist denn los?"

"Jetzt tu doch nicht so! Du weißt doch ganz genau, dass ihr hier nichts mehr zu suchen habt!"

"Rose, bitte hör mir nur kurz-"

"Dir ist aber schon klar, in welche Schwierigkeiten du mich damit bringen kannst, oder?"

"Ach komm schon, für dich werden hier doch alle möglichen vorhandenen und nicht vorhandenen Hühneraugen zugedrückt! So jemand niedlichem und kulleräugigem traut sich doch niemand zu widersprechen. Das weißt du genauso gut wie ich."

"Das mag vielleicht sein, aber nicht auf die Dauer. Ihr könnt hier wieder verschwinden, ich nicht so leicht."

"Mo-mo-moment mal! DU hast dich für diese Option hier entschieden."

"Da habe ich allerdings nicht damit gerechnet, dass du hier ständig mit ihr aufkreuzt."

"SIE ist deine Schwester."

"Danke für die Info, ohne dich hätte ich das nie bemerkt."

"Achso, jetzt packen wir also den sarkastischen aus, ja?"

"Mann, John, du machst es dir viel zu leicht."

"Ich?! Ist das dein verdammter Ernst? Erstens bist du mit Sicherheit nie und nimmer die einzige, die eine solche Begabung hatte und zweitens will ich hier jetzt ganz sicher nicht mit einer Sechsjährigen über meine Verpflichtungen streiten!"

"Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich jetzt so klein bleibe!"

"Sag mal, willst du mich veräppeln? Du bist vor dieses verdammte Auto gehüpft, Rose! DU, und nicht ich!"

"Willst du mir das auch noch vorwerfen?"

"Vielleicht ist es genau das, was ich möchte, ja! Andere mit dieser BE-GA-BUNG haben sich nicht einfach so aus dem Leben in dem Drecksloch verpisst!"

"Und woher weißt du das so genau? Dafür sind nämlich ganz schön viele von denen hier oben."

"Wollt ihr denn nicht versuchen, diese Scheißwelt da unten wenigstens ein klitzekleines bisschen zu verbessern?"

"Wir sind keine Helden, John! Alle, die so sind wie ich sind auch mindestens genauso alt wie ich. Glaubst du, das ist alles nur ein verdammt blöder Zufall? Gut, manche sind älter als ich, aber das sind auch nur die ganz zähen Gemüter."

"Woher kennst du dieses Wort?"

"JETZT LENK NICHT STÄNDIG VOM THEMA AB JOHN!"

Ich fahre mir nervös durch die komplett verwuschelten verschwitzten Haare und schlucke schwer.

"Mist. Verdammter Mist!"

"Fluchen hilft dir auch nicht immer weiter!"

Claire liegt zum Glück noch regungslos neben uns, sonst hätte sie wahrscheinlich, wenn sie uns gehört hätte, sofort nach dem Aufwachen den nächsten Zusammenbruch, und das in ihrem Traum. Obwohl... ist das denn überhaupt möglich? Kann man in seinem Ohnmachtstraum umklappen?

"Und was machen wir jetzt?"

"Wir warten, bis meine Schwester aufwacht."

"Und weiter?"

"Was weiter?"

"Ja was willst du ihr denn erzählen?"

"Wie wäre es denn zur Abwechslung mal mit der Wahrheit?"

"Was soll das schon wieder heißen? Hab ich sie jemals angelogen?"

"Vielleicht nicht sie, aber mich!"

"Was?!" Wow, das war leider sehr quietschig. Was redet Rose da? "Wann soll ich dich denn bitte angelogen haben?"

Jetzt brüllt sie mich aus vollem Halse an. "Du hast mir versprochen, dass alles gut wird! Und du hast es nicht gehalten! Aber das war ja von einem Typen wie dir nicht anders zu erwarten..."

Am liebsten würde ich dieses kleine aufgebrachte Ding in die Arme nehmen, doch dafür ist sie mir viel zu aufgekratzt. Apropos kratzen... vielleicht würde sie mir sogar das Gesicht zerkratzen. Das will ich nicht riskieren und bleibe auf Abstand.
Verzweifelt fahre ich mit beiden Händen über mein mittlerweile mehr oder weniger verschwitztes Gesicht. Als läge ein Marathon hinter mir, ernsthaft. Lange halt ich das aber nicht mehr durch. Manchmal frage ich mich einfach nur, wie in diese Situation geraten konnte. Vermutlich reicht meine bloße Existenz für mich, um in alles mögliche verstrickt zu werden. Diese Frage steht ja ohnehin ohne Stütze oder Antwort im Raum. Aber warum bin ich an Rose geraten? Sie ist doch so viel jünger als ich. Gut, das Alter ist in vielerlei Hinsicht oft unerheblich. Und doch, es ist schon seltsam. Ich muss mich am Kopf kratzen, so ratlos bin ich. Och Mensch, warum immer ich? Diese Frage stellen sich vermutlich auch noch Millionen anderer Menschen und Leute wie wir. Ja, es ist nicht immer leicht, anders als die normalen Menschen zu sein. Wir haben eine Verantwortung ihnen gegenüber. Und genau diese Verantwortung war für Rose anscheinend zu schwer zu tragen. Dennoch war es falsch von ihr, sich einfach so aus dem Staub zu machen. Man kann sich nicht immer allem entziehen, sobald es schwierig wird.

"Oh Mann, ich halt das nicht mehr länger durch."

"Bitte John, mach nicht den selben Fehler, den ich gemacht habe. Ich bereue es zutiefst, das kann ich dir sagen. Es ist nicht immer leicht, gerade für mich. Aber ich war und bin klein und schwach im Gegensatz zu dir und Claire. Ihr beiden könnt das schaffen, das verspreche ich euch."

"Das ist leicht zu sagen, wenn man nicht mehr da runter muss."

"Es ist aber auch leichter zu tragen wenn man jemanden hat, auf den man sich verlassen kann. den man liebt."

"Den man liebt?!"

"Jetzt tu doch nicht so. Das sieht ein taubstummer Blinder im Rollstuhl, dass sie auf dich steht. Und du stehst auf sie."

"Schön, dass du da so gut Bescheid weißt, Kleine."

"Wie gesagt, ich weiß mehr als mir lieb ist. Wobei du mir bei euch beiden gerne ab und zu Bericht erstatten darfst."

"Erstmal muss sie ihr Leben auf die Reihe bekommen, weil du es mit deinem Verschwinden komplett kaputt gemacht hast."

Das hat sie hart getroffen. Ihre Unterlippe beginnt zu zittern und Tränen sammeln sich in ihren großen Kulleraugen. Ihre Locken hängen traurig herab. Das war jetzt ein bisschen zu... unsensibel.

"Hey, nein, so hab ich das jetzt aber nicht gemeint."

"Wie war es denn dann gemeint?"

Dieser scharfe Unterton schneidet mir direkt ins Herz. "Rose. Du weißt doch, dass ich dich lieb habe. Ich meine das wirklich nicht so. Bitte-"

"Dafür passiert dir das aber ganz schön oft. Aber das war schon immer so."

"Jetzt nimm mir doch nicht immer alles übel. Du weißt doch auch, dass ich ein verbaler Elephant im Porzellanladen bin."

"Überleg dir in Zukunft doch bitte genauer, was du sagen möchtest, bevor es über deine Lippen kommt, mein Lieber."






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