Kapitel 4

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>>Sie schwebte im Nichts. Alles um sie herum war weiß. Nichts war zu hören oder zu sehen.
Aber wie immer erklang nach einer gefühlten Ewigkeit eine helle Stimme.
"Du musst dein Schicksal akzeptieren. Befreie dich aus ihren Fängen und bring das Gleichgewicht in die Welt zurück." <<

Clarisse' Augen öffneten sich schlagartig und sie setzte sich auf.
Diesen Traum kannte sie schon. Jeden Mittwoch kam er erneut, so als wollte jemand sicher gehen, dass sie ihre Aufgabe ja nicht vergisst.
Als ob sie das überhaupt könnte! Sie wollte doch eh nur hier rauskommen!
Ein Knurren entfuhr ihr und sie verbarg ihr Gesicht in ihrem mit Samt überzogenem Kissen und schloss ihre Augen erneut.
Heute war Mittwoch. Heißt, sie musste den ganzen Nachmittag in ihrem Club verbringen.
An sich mochte sie Schwertkampf, nur war sie die Beste darin und schlug jeden meistens nach nicht einmal fünf Minuten.
Ein Blick zu der Uhr ließ sie schließlich aufrappeln. Sie entschied sich dazu, eine schwarze Jogginghose und ein schlichtes, dunkelblaues T-Shirt mit Sportschuhen anzuziehen und ihre Snakebites draußen zu lassen. Mit dem Kamm fuhr sie sich noch kurz durch die Haare und dann schlenderte sie Richtung Mensa.
Schon von weitem roch sie den Kaffee und die angebrannten Pfannkuchen.
Martin lehnte an der steinernen Wand neben der Tür und beobachtete, wer rein und rausging. In der Hand hielt er ein mit Butter und Honig beschmiertes Brot. Sein Blick blieb an ihr hängen und er kam ihr entgegen.
"Hier." Er hielt das Brot zu Clarisse. "Für dich. Sah am besten aus."
Sie seufzte erleichtert auf und nahm gleich einen Bissen. "Gut geraten. Es ist das einzige, was noch einigermaßen erträglich ist."
Er grinste sie an und reckte stolz seine Brust vor. "Ich bin nunmal ein kluger Junge."
Hätte sie nicht gerade gekaut, hätte sie sich vielleicht sogar zu einem Kichern niedergelassen. "Was für einen Club hast du gewählt?", fragte Clarisse ihn.
"Schwertkampf", antwortete er und steckte lässig seine Hände in die Hosentaschen seiner schwarzen Jeans. "Und du?"
Genervt stöhnte sie und aß noch den Rest des Brotes auf. Also musste sie ihn noch länger aushalten. "Das gleiche." Kurz dachte sie nach und grinste dann. "Du wirst heute mein Gegner sein. Zum einen, da ich dich testen will, zum anderen weil ich wissen will, ob es irgendeine Person gibt, die es schafft mich schwitzen zu lassen."
Martin legte einen Arm auf ihre Schulter, den sie wieder abschüttelte, und lachte. "Glaub mir, das werde ich schon hinkriegen."

Die Stunden zog sich ins endlose und letzten Endes stand Clarisse mit ihrem Schwert in der Hand viel zu früh in der Sporthalle.
Die Wände waren aus dunklem Eichenholz und der Boden aus unebenem Granit.
Jeder Schüler bekam eine von ihm selbst ausgewählte Waffe für seinen Kurs. Fand dieser nicht statt, waren die Waffen in einem Raum eingesperrt, zu dem nur die Sport- und Waffenlehrer Zutritt hatten. Ein glattes Wunder, dass sie Clarisse eine Waffe gegeben haben. Immerhin hatten sie Angst vor ihr und ihrer Kraft. Aber selbst wenn sie es schaffen würde, alle Lehrer niederzumetzeln, gab es immernoch all die Soldaten auf dem Gelände.
Da es noch eine halbe Stunde dauerte bis der Kurs anfing, entschloss sie sich einmal an der Mauer entlang zu joggen. Das müsste eigentlich reichen, da diese locker vier Kilometer lang war.
Sie begegnete nur wenigen Schülern und wenn auch nur Turteltäubchen. Hier am Rand war der beste Ort für ein ungestörtes und unüberwachtes Techtelmechtel. Meistens jedenfalls.
Zurück in der Halle dehnte sie sich und wärmte sich mit ein paar Übungen auf. Dann kam auch schon Mike, der blauäugige Sportlehrer mit den blonden Haaren. Er war ein Wasserelementar und noch ziemlich jung. Und so ziemlich der einzige Lehrer, der nichts gegen Geistler hatte.
Mike kam zu ihr rüber und stellte sich vor sie. Mit gesenkter Stimme sagte er: "Die Direktorin wartet nur darauf, dass du einen Fehler machst. Also verletz ja niemanden zu sehr."
Clarisse grinste breit und schnurrte geradezu: "Was auch inmer Sie wünschen, Mr. Hawks. Aber nur, wenn Sie mir einen Gefallen tun~"
Seufzend rieb er sich sein Gesicht. "Hör auf mit den Spielchen...und welcher wäre der?"
"Lass mich mit Martin kämpfen."
Mit zur Seite geneigtem Kopf starrte er sie an. Kein Hauch von Emotionen außer Neugier war in seinem Gesicht abzulesen. "Du willst mit dem Neuling kämpfen...?", wiederholte er ungläubig. Als sie jedoch einen Schritt vor trat, wich er zurück und hob ergeben seine Arme. "Wie du willst. Wenn es schief geht ist es deine Schuld."
Clarisse tätschelte seine Wange und nahm im Anschluss ihr Schwert. "Keine Sorge. Ist er wirklich so gut wie er es vorgibt zu sein, dann sollte nichts passieren."
Sobald alle da waren trat Clarisse in den Ring und wartete auf Martin. Beide grinsten sich an und brachten sich in Stellung. Die anderen beobachteten sie angespannt.
Keiner der Geistelementare rührte sich anfangs. Sie standen nur da und starrten sich gegenseitig an.
Clarisse rannte urplötzlich auf ihn zu und versuchte, seine Brust von links unten diagonal nach oben aufzuschlitzen. Er wich aus und versuchte das Schwert in ihre Seite zu rammen.
Ein fataler Fehler, denn er deckte seine Seite nicht. Sie rammte ihre Faust in seinen Magen und trat ihn, als er überrascht nach hinten stolperte. Martin fiel hin und sie kniete sich über ihn mit ihrem Schwert an seinem Hals. "Game over~", hauchte sie in sein Ohr.
Er zuckte zusammen, dann durchfuhr sie plötzlich ein stechender Schmerz, der von ihrem Bein ausging. Sein Schwert steckte da drin.
Clarisse knurrte ihn an und stand leicht schwanked auf. Sie biss ihre Zähne zusammen und nahm sein Schwert auch noch. "Das war...ein fataler Fehler..."
Martin stand auf und lachte. "Du bist anscheinend doch nicht so gut, wie-"
Ihre Faust landete in seinem Gesicht und sie warf ihm das Schwert vor die Füße. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich deutlich verfinstert.
Der Junge nahm das Schwert und Clarisse griff ihn an. Metall traf auf Metall und es klirrte laut durch die Halle.
Ihre Angriffe wurden zunehmend schneller und stärker. Schweiß tropfte ihr von der Stirn. Martin dagegen nicht. Er parierte einfach immer weiter.
Sein Motiv war klar. Parieren, antäuschen, parieren und dann angreifen. Clarisse wartete.
Endlich! Eine Lücke in seiner Taktik!
Clarisse nutzte die Chance, indem sie die Scheide nahm und ihm den Griff so hart wie möglich in den Bauch rammte. Den schneidenden Schmerz ignorierte sie dabei.
Sobald er am Boden lag entwaffnete sie ihn und kniete sich über ihn. Ihr Atem kam keuchend und sie schwitzte. "Jetzt bist du besiegt."
Martin lehnte sich hoch und flüsterte in ihr Ohr: "Hätte ich meine Kräfte benutzt, würdest du jetzt hier liegen."
Clarisse stand auf und warf beide Schwerter zur Seite. Ihre Füße trugen sie noch bis aus dem Ring zu Mike, der sie besorgt anschaute. "Sehen Sie? Ich war ganz vorsichtig." Das a zog sie dabei in die Länge.
Dann gaben ihre Füße nach und sie fiel auf den Boden. Ihr Bein und ihre Hand, mit der sie die Schwertscheide gegriffen hat, bluteten stark und der Schmerz vernebelte ihre Sicht.
Bevor sie dann in Ohnmacht fiel fang jemand sie auf und hob sie auf.
Das letzte, was sie hörte, waren Mike's und Martin's Stimme.

Kapitel 4~
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Geist - Das SündenelementWhere stories live. Discover now