Kapitel 6

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"Du bist doch wahnsinnig!", zischte Clarisse und stemmte ihre Hände in ihre Hüften. "Willst du auch noch so'n Armband wie wir alle hier bekommen?!"
Martin seufzte und versuchte sie zu beruhigen. "Der Plan ist absolut narrensicher. Es wird schon klappen!"
"Wird es nicht!", erwiderte sie energisch und drückte ihn gegen die königsblaue Wand ihres Zimmers. "Die Direx würde es bemerken, wenn du in ihren Gedanken rumpfuschst! Und dann würde es auch dir nicht mehr möglich sein, auf dein Element zuzugreifen! Willst du das?!"
"Hab doch mal 'n bisschen Vertrauen in mich! Es wird schon nichts passieren!"
"Das denkst auch nur du!"
"Jedenfalls geh ich dann mal. Ich muss noch 'n paar Sachen vorbereiten." Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür und schloss sie hinter sich wieder.
Clarisse riss die Tür auf und stürnte in den Flur raus. Suchend glitt ihr Blick umher, nur fand sie ihn nicht. Es waren einfach zu viele Schüler auf dem Weg zum Unterricht. "Das wirst du noch bereuen, Martin!", brüllte sie, wodurch die Schüler in ihrer Nähe aufzuckten und sie erschrocken anschauten.
Sie warf die Tür mit einem lauten Krachen zu und zog sich energisch neue Klamotten an. Sein Plan war einfach nur dumm und zum Scheitern verurteilt. Erst recht, da die Direktorin auch sie beschuldigen wird.
Auf dem Weg zu ihrem Geschichtsklassenzimmer wich jeder Clarisse auf. Manchen zeigten sogar offen ihre Angst. Kein Wunder bei ihrer finsteren Miene.
Im Klassenzimmer setzte sie sich auf ihren üblichen Platz in der letzten Reihe am Fenster. Sie sah nach draußen zu der Mauer, die sie seit jeher hier gefangen hielt. Eine riesige Betonmauer, die so glatt ist, dass man nicht einmal daran hoch klettern könnte.
Mit Martin hatte sie jetzt endlich eine Chance zu fliehen, aber wenn die Direktorin ihm auch noch ein Rubinarmband umlegt ist alles verloren.
Ihr Blick glitt zu der Uhr an der kargen weißen Wand. 7:57. Jeden Moment wird er seinen Plan in die Tat umsetzen. Wenn er nicht klappte, war's das aber mit ihrer Flucht.
Es klingelte zum Unterrichtbeginn und alle Schüler bis auf Clarisse standen synchron auf. Während des ganzen Gebets über stocherte Clarisse einen Bleistift in ein Tuch. Sie wurde nervöser ud Schweißperlen liefen ihre Stirn hinab. Das Zucken ihrer Augen verriet jedem, der jetzt zu ihr sehen würde, das etwas nicht stimmte.
Die ganze Stunde über kam Martin nicht in den Unterricht und sie hielt es kaum noch aus. Am liebsten würde sie aus dem stickigen Klassenzimmer rennen und versuchen ihn zu finden.
Der Biologieunterricht war schon kurz vorm Ende als die Eisentür aufging und Martin von zwei Wachen inmetallener Rüstung in den Raum gestoßen wurde. Ohne eine Erklärung abzuliefern verschwanden sie wieder und Martin setzte sich neben sie. Die Erschöpfung war ihm ins Gesicht geschrieben.
Clarisse hatte schon ihren Mund geöffneten um zu fragen, wie es gelaufen sei, aber er schüttelte seinen Kopf und blickte zur grünen Tafel.
Genervt rammte sie den schon halp zerdrückten und zerkauten Bleistift in ein bräunliche Tuch. Er hatte ihr eine ganze Menge zu erklären.

In ihrem Zimmer hackte Clarisse sich in die Kamera ein und kurz darauf kam auch schon Martin.
Sofort zeterte sie los. "Was hast du dir dabei auch nur gedacht?! Dank deinem achso tollen Plan werden wir jetzt nie hier rauskommen und...lachst du etwa?!"
Martin lachte wirklich, einfach weil er es zu lustig fand. Tränen standen in seinen Augenwinkeln und er jappste nach Luft. "Du...du denkst ernsthaft, ich hätte versagt...?" Daraufhin holte er einen kleinen, goldenen Schlüssel aus seiner Jackentasche und hielt ihn ihr mit einem breiten Grinsen hin. "Tada!"
Ungläubig wechselte ihr Blick vom Schlüssel zu dem Jungen vor ihr und wieder zurück. Ihr Atem stockte für einen kurzen Moment. "Du...du hast es geschafft...?", flüsterte sie und berührte ihn zögerlich. Von dem Metall ging Wärme aus. Er war wirklich real.
Martin nickte und hob ihr rechts Handgelenk an. Der Schlüssel passte perfekt in den kleinen Schlitz zwischen dem Rubin und dem Eisen. Ein Klicken ertönte und der Verschluss öffnete sich. Mit einem 'bonk' traf es auf den Holzboden und legte dabei ihr verbranntes Handgelenk frei.
Clarisse keuchte auf, als plötzlich etwas in sie strömte. Etwas, das sie noch nie zuvor gefühlt hatte.
Es war, als würde als anders sein. Macht durchflutete sie und ließ ihren Körper erzitterten. Ihre Sinneswahrnehmungen wurden geschärft. In der Ferne hörte sie die Kinder der Station lachen und Spielen. Im Zimmer neben ihr erklang Musik.
Ihre Augen nahmen jedes einzelne Detail des Bodens und der Tapete wahr, sogar die kleinen Staubkrümmel in der Luft.
Auch ihr Geruchssinn hatte sich schlagartig verbessert.
Aber das war noch nicht alles.
Sie konnte Martin's Gedanken hören!
Ist unser Element nicht wunderbar?
Ein Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Seine Augen musterten sie.
"Es ist atemberauben! Ich...ich hätte nie gedacht, dass der Geist so ist!" Ihre Stimme überschlug sich vor Freude. So stürmisch wie ein Kind umarmte sie ihn und lachte laut. "Danke, danke, danke!"
Martin schlang seine Arme um ihre Hüfte und zog sie an sich, während Clarisse sich langsam beruhigte. Mit einem wohligen Seufzer legte sie ihr Ohr an den rauen Stoff seines schwarzen T-Shirts und hörte seinem Herzschlag eine Weile zu.
"Unser Element beinhaltet vieles. Verschärfte Sinne, Gedanken lesen...aber am wichtigsten für uns ihr unsere Erinnerungen. Wir können erstaunlich schnell Neues lernen und aufnahmen. Auf diese können dann immer zugreifen und benutzen", erklärte der braunhaarige Junge und strich ihr übers Haar. Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.
"Das ist cool", erwiderte sie, immernoch zu überwältigt von allem.
Ihr Blick traf auf den seinen und ohne jegliche Kontrolle über ihren Körper kam sie seinem Gesicht und diesen verführerischen Lippen näher. Sein warmer Atem strich über ihre Haut und seine Augen offenbarten ihr seine Gefühle.
Kurz bevor ihre Lippen aufeinandertrafen trat Clarisse dann weg und räusperte sich. Ein verräterisches Pink hatte sich auf ihre Wangen geschlichen. "Danke nochmals, dass du mir geholfen hast. Du hast mein Vertrauen echt verdient."
Als ob nichts geschehen wäre grinste er und neigte seinen Kopf spitzbübisch zur Seite. "Hab dir doch gesagt, dass ich es schaffen werde. Ich werde jetzt aber erst einmal den Schlüssel zurück bringen. Bis morgen!"
Dann war er weg und ließ sie mit ihrem Gefühlschaos allein.
Liebte sie ihn? Sie wusste es nicht.
Doch es war eh zu gefährlich, ihre Gefühle zu ihm offen zu zeigen.
Denn Liebe war bekanntlich der Grund, wieso jemand verlor. Denn Liebe machte einen verletzlich.

Ausnahmsweise kommt mal schon heute n Kapitel.
Leider hab ich schlechte Nachrichten: Ich hab keine Ahnung, wie ich hier weitermachen soll...

Geist - Das SündenelementWo Geschichten leben. Entdecke jetzt