Unterkühlt

1.2K 62 54
                                    

JUS POV:

Mein Atem stockte, als ich die zitternde Stimme erkannte.

"Marie?", fragte ich, obwohl es vollkommen überflüssig war. Ich wusste, dass sie es war, die an der anderen Seite der Leitung lauthals schluchzte.

"Bitte Ju, wir sind in der Kanalisation, aber wir wissen nicht genau wo und alle Gullis sind verschlossen." Es brach mir beinahe das Herz, ihre gepresste Stimme zu hören. Doch noch mehr drängten mich die Fragen. Warum war Marie in der Kanalisation und wer war bei ihr?

"Herr Kommissar", rief ich und binnen weniger Sekunden stand er vor mir. Ich wiederholte, was Marie gesagt hatte.

"Bleib, wo du bist", befahl ich Marie. "Die Polizei wird den Anruf orten und dann kommen wir dich holen."

"Okay", antwortete sie.

"Ich liebe dich."

"Ich dich auch." Dann legte ich auf.

Gesagt, getan. Zwanzig Minuten später standen wir samt einem Fahrzeug der Frankfurter Wasserbetriebe an einem Gulli etwa drei Kilometer südlich von dem Punkt, wo die Polizisten die beiden Männer festgenommen hatten, von denen einer behauptete, sie hätten Marie festgehalten. Schon während der schwere Deckel angehoben wurde, konnte ich das Geräusch von platschendem Wasser hören.

"Wir sind hier unten!", rief jemand, doch eindeutig nicht meine Freundin. Ich wollte einen Schritt heran treten, um in das dunkle Loch nach Marie zu fragen, doch der Kommissar hielt mich zurück.

"Zu ihrer eigenen Sicherheit", sagte er. "Wir wollen doch nicht, dass sie auch noch aus der Kanalisation gefischt werden müssen." In Wirklichkeit war es mir egal, ob ich im stinkenden Brackwasser landen würde, wenn Marie dort unten war und ich sie in die Arme schließen konnte. Doch da ich einsah, dass ich bei einem Sturz sowohl mich, als auch Marie oder die andere Person dort unten verletzen konnte, gehorchte ich.

Trotzdem rief ich nach ihr: "Marie? Bist du da unten?"

Die Antwort war kaum mehr ein Windhauch. Ein zitterndes und bebendes "Ja", das gerade einmal mein Trommelfell streifen konnte. Panik stieg in meinem Körper bis zu meiner Kehle hinauf.

"Holt sie da raus!", forderte ich die Polizisten auf, auch wenn ich wusste, das sie nicht diejenigen waren, die sogleich Metallsprossen hinab klettern sollten. "Es geht ihr schlecht."

"Ich glaube, sie ist unterkühlt", schallte es aus dem Gulli heraus. Der Kommissar dreht sich um und forderte über sein Funkgerät einen Krankenwagen an.

"Wie viele seid ihr da unten?", fragte er.

Die Antwort kam nur eine halbe Sekunde später. "Nur wir zwei, jetzt machen sie schon!"

Endlich war der Gullideckel außer Reichweite.

"Wir kommen jetzt runter", kündigte einer der Männer von den Frankfurter Wasserwerken an und begann, Stufe für Stufe mit dem Körper im Boden zu versinken. Aus dem 10 Meter tiefen Loch kam Gemurmel, doch der Schall überschlug sich so sehr, dass ich kein Wort verstand. Doch schließlich war da wieder das Klopfen von Schuhen auf Metall. Es dauerte länger, als der Mann zum heruntersteigen benötigt hatte. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor, weil ich sehnsüchtig darauf brannte, Marie wieder an der Oberfläche zu sehen und sie in meinen Armen zu wärmen. Der Krankenwagen traf ein, bevor auch nur eine Haarsträhne des Mannes aus dem Loch wieder hervor guckte und die Sanitäter stürzten auf den Gulli zu. Als hätte er nur darauf gewartet, erschien der Arbeiter der Frankfurter Wasserwerke genau jetzt aus der Dunkelheit. Ich stöhnte auf. Marie klammerte sich an seine Brust, ihre Beine waren um seine Hüfte geschlungen. Die Sanitäter warteten nicht lange und begannen, sie auf eine Trage zu heben und auch ich blieb nicht länger wie angewurzelt stehen, sondern rannte zu meiner Freundin, doch niemand wollte mich durchlassen. Vier Leute standen um sie herum und maßen Blutdruck, Temperatur und legten ihr einen Zugang in die Vene. Ich schaffte es gerade mal, ihr Bein zu berühren, da würde ich schon wieder weggedrängelt.

"Marie" rief ich und versuchte, einen Sanitäter beiseite zu schieben, um zu ihrem Kopf zu gelangen. Eine knisternde Decke aus goldener Folie wurde über sie gelegt und ehe ich mich versah, befand sich die Trage schon im Inneren des Krankenwagens.

"Marie!", rief ich wieder und klopfte gegen die frisch verschlossenen Hintertüren. Jemand packte meine Unterarme.

"Stopp, hören sie doch auf!", quengelte eine Frau und nur mit Mühe konnte ich mich dazu bringen, meinen Blick von dem beinahe undurchsichtigen Fenster der Rücktür, durch das ich Marie sehen konnte, zu lösen.

"Wer sind sie überhaupt?", fragte sie.

"Julien. Ich bin ihr Freund", antwortete ich drängend und plötzlich spürte ich, wie sich der Kommissar hinter mir aufbaute.

"Nehmen sie die beiden Mädchen mit und kümmern sie sich um ihre Gesundheit", befahl er. "Wir werden sie dann verhören, sobald sie körperlich dazu in der Lage sind." Verhören? Wieso mussten sie Marie jetzt auch noch verhören? Ich warf einen Blick zurück und starrte auf den Rücken des Kommissars. Doch er hielt inne und drehte sich noch einmal um. Mit dem Finger wies es auf mich.

"Ach ja, nehmen sie den da lieber mit, sonst dreht der noch durch vor Sorge", sagte er. Mein Blick streifte zurück zu der Sanitäterin, die mit gerunzelter Stirn nickte.

"Na dann bitte einsteigen", soufflierte sie und ließ die Tür aufschwingen. Ich kletterte in das Fahrzeug und ging um die Ärzte herum, bis ich an Maries Kopf stand. Ihre Augen waren geschlossen und die Haut blass. Ich verspürte den Drang, mit meinen Fingern durch ihr Haar zu streichen und über ihre Wangen, um die Farbe wieder in die zurück zu bringen. Doch was an ihrem Gesicht am meisten auffiel, war die Sauerstoffmaske, die viel zu groß für sie schien und mehr als zwei drittel ihres Kopfes inklusive ihrer blauen Lippen bedeckte. Ich fuhr mit meinen Fingern über die einzigen Stücken Haut, die nicht davon bedeckt waren und wollte sie auf die Stirn küssen, aber jemand unterbrach mich und drückte mich auf einen Sitz zwei Armlängen von Marie entfernt. Eine junge Frau ließ sich neben mich fallen. Ich betrachtete sie und mir fiel auf, das ihre Jeans komplett durchnässt waren. Einer der Sanitäter gab ihr gerade mehrere Handtücher und sie zog ihre nasse Hose aus und wickelte sich stattdessen in eins der Handtücher. Ich sah ihr ins Gesicht. Es war Aylin, die Mitbewohnerin von Marie! Die, von der ich das Phantombild auf dem Polizeirevier gesehen hatte, da sie angeblich jemanden kidnappen wollte! Millisekunden nach meiner Erkenntnis half ihr der Mann, sich anzuschnallen und ich tat es ebenfalls. Dann wandte sich die junge Frau mir zu. Sie zitterte und ich meinte, ihre Zähne leicht klappern zu hören.

"Na Loverboy?"

Wenn du alles aufgeben würdest... (Julien Bam FF FanFiction) (Zum Teil Apecrime)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt