Schmerz Wut und Hass

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MARIES POV:

"Nicht wichtig", sagte Ju und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Er verschwieg mir etwas. Das tat weh.

"War das Andre, beim Verhör?", fragte ich, um das Thema zu wechseln.

"Ja", antwortete Ju.

"Warum war er dort?", hakte ich nach.

"Aus dem selben Grund wie du und ich", sagte Ju.

"Und warum wurden Jan und Cengiz dann nicht unters Licht genommen?", entegnete ich. Ju schwieg. "Hey, was ist mit Andre? Hat er irgendetwas gemacht? Er kannte doch Nele genau so wenig, wie die anderen beiden!" Ju schwieg wieder. "Ju?", fragte ich besorgt.

"Das stimmt nicht ganz", sagte Ju langsam und senkte den Kopf. Was meinte er? Hatte Andre Nele schon von früher gekannt? Das konnte doch gar nicht möglich sein! Nele hatte Andre definitiv zum ersten Mal gesehen, als ich sie mit zu den Apes geschleppt habe.

"Wieso war er da, Ju?", fragte ich noch einmal, mein Ton war bestimmender.

"Ich glaube, das sollte er dir selbst sagen", meinte Ju und drehte seinen Kopf zur Seite.

"Wieso siehst du mich nicht an?", fragte ich. Ju blickte wieder auf seine Finger. "Du hast gelogen!", stellte ich fest. Ju nickte fast unmerklich.

"Sag's mir!", forderte ich und versuchte, mich etwas aufrechter hinzusetzten. Ju spielte mit seinen Finger und gluckste kurz herum, bevor er es aussprach.

"Andre hat mir Nele geschrieben. Bis zu dem Abend, an dem sie gestorben ist", rückte Ju endlich heraus. Ich erstarrte. Andre. Nele. Schreiben. Das konnte er nicht ernst meinen. Nein, nein, nein, das konnte er nicht ernst meinen! Warum hatte Andre nichts gesagt? Warum hat er mir nichts gesagt? Wenn ich gewusst hätte, wo Nele gewesen war, hätte ich das alles verhindern können. Sie zur Vernunft bringen können. Wieso hatte er nichts gesagt? Wieso verdammt nochmal hatte er einfach geschwiegen? Wieso hatte er nichts getan? Ich spürte, wie mein Atem immer schneller und schneller wurde. Panisch blickte ich mich um.

"Das kann nicht dein Ernst sein!", sagte ich volkommen außer Puste und suchte Jus Augen. Ich fokussierte dort hin und hielt mich an ihnen fest.

"Tut mir leid", antwortete Ju.

"Er hatte es verhindern können, oder?", fragte ich, diesmal lag mehr Trauer als Panik in meiner Stimme.

"Ja", gestand Ju. "Sie hat es ihm praktisch geschrieben." Ich schluckte und spürte, wie etwas in mir hoch kochte. Es war so schwer zu unterdrücken und erforderte meine ganze Konzentration.

"Geh' jetzt, Ju!", sagte ich leise.

"Was?", fragte er ungläubig.

"Ich sagte: Geh' jetzt, bitte!", wiederholte ich.

"Warum?", fragte er verwirrt und stand auf. Seine Hand legte sich auf meine Wange. Ich schob sie weg.

"Ich will nicht, dass du siehst, was gleich passiert", antwortete ich und sah ihm in die Augen. Ich log nicht. Das sollte er wissen. Ju schluckte und eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel. "Ich will nicht, dass du weinst, also bitte, geh'!" Langsam drehte Ju sich um und ging zur Tür. Bovor er sie öffnete, warf er noch einen Blick auf mich zurück. Dann war er weg. Ich ließ meine Gefühlen freien Lauf. Mit einer ruckartigen Bewegung zog ich mir das Kissen unter dem Kopf hervor und presste es auf meinen Mund. Dann schrie ich. Das Kissen dämpfte meinen Schrei nicht wirklich stark, aber stark genug, damit keine Schwester auf die Idee kommen könnte, ich bräuchte Hilfe. Ich schrie all meine Wut über Andre in das Kissen. Darüber, dass wir es hätten verhindern können, wäre er etwas schlauer gewesen. Mein Kopf tat fürchterlich weh und meine Stimme war so heiser, dass ich irgendwann nicht mehr konnte. Ich legte das Kissen wieder unter meinen Kopf und drehte mich auf den Bauch. Ich weinte und schluchzte, auch wenn mein Kopf immer mehr schmerzte. Das Kissen war nass von Tränen und Speichel, doch ich machte mir nicht die Mühe, es umzudrehen. Und so ertrank ich in meiner eigenen Wut und meinem eigenen Schmerz. Wieder einmal. Und wieder einmal bereute ich es, Ju weg geschickt zu haben. Ich hatte nicht gewollt, dass er das sah, aber ich brauchte ihn. Und vielleicht musste er damit leben, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte und der Schmerz und die Wut die Kontrolle über meinen Körper übernahmen. Mein Kopf kochte und war genau so unerträglich heiß, wie meine Augen. Heftig rieb ich mir mit den Handflächen über das Gesicht. Wieder und wieder überrollten mich die Erinnerungen von Nele, gleichzeitig die Wut über Andre. Das beides zusammen presste meine Lunge zusammen, so dass ich keuchen musste, da ich keine Luft mehr bekam. Ich spürte, wie meine Rippen unter dem Gewicht des Ganzen knackte und hielt mir die Hände vor den Brustkorb. Es tat so weh, so weh, und ich wollte, wollte, sehr, so sehr, dass es aufhörte, dass es endlich aufhörte. Ich keuchte und schrie, als meine Rippen nachgeaben und das ganze Gewicht, die ganze Wut, die ganze Rache von Nele, auf mein Herz fielen und es zertrümmerten. Ich schrie wieder, meine Stimme krächste grausam, wie ein sterbendes Tier. Vielleicht war ich das ja sogar, ein sterbendes Tier. Die Tür zu meinem Zimmer wurde aufgestoßen und eine Frau in weißem Kittel kam herein geeilt. Ich kauerte mich zusammen und schlang die Arme um die Knie.

"Hey, hey, hey!", rief die Frau. "Was ist los? Hast du Schmerzen?" Ich schob die Decke nach unten und presste beide Hände auf mein Herz.

"Wieso hat er das getan? Wieso rächt sie sich so? Wieso hat er geschwiegen? Wieso kann ich dieses Leck nicht endlich zustopfen?", krächzte ich und raufte mir so heftig die Haare, dass ich deutlich die Schnitte meine FIngernägel in der Kopfhaut sprürte. Als ich die Hände wieder vor meine Augen hielt, war Blut unter meinen Fingernägeln. Ich keuchte und kuglete mich noch mehr zusammen. Die Frau schloss irgendeinen Schlauch an einen durchsichtigen Plastikbeutel an. Ich juckte meine Arme und schob meine Hand hinter die Schulter, um über meine Narbe zu reiben. Es tat unheimlich weh, aber es betäubte den Hass auf Andre und die Schreie von Nele. Ich rieb weiter darüber und schrie auf. Die Frau warf einen kurzen Blick zu mir. Dann packte sie mein Handgelenk und zog es zu sich heran. Präzise schloss die den Schlauch an die Sonde auf meinem Handrücken an. Meine andere Hand rieb weiter über die große rechteckige Narbe von Nicos Skalpell. Der Schmerz der Narbe wurde langsam weniger, ich begann also, noch stärker darüber zu rubbeln und stoch schließlich sogar meine Fingernägel hinein. Doch der Schmerz kam nicht. Stattdessen wurde meine Sicht immer heller und heller, bis ich nur noch weiß sah. Und dann plötzlich gar nichts mehr. Meine Gedanken waren endlich still.

Es gibt bald wieder Licht in der Situation, Leserchens,

ich hatte dieses Licht für nächstes Kapitel geplant. Ich bin mal wieder komplett in Maries Charakter, mein Hals besteht aus einem einzigen Kloß und ich ehule schon wieder fast! Keine Ahnung warum, wieso heult man bei seiner eigenen Geschichte? Naja, ihr wisst ja, ich bin schon ziemlich seltsam! Große Freude gibt es wie immer über konstruktive Kritik und auch über Lob, falls ihr das Kapitel gut fandet. Votes sind auch immer prima, ansonsten noch einen wunderschönen Montagabend!

LG Kaeferchen

Wenn du alles aufgeben würdest... (Julien Bam FF FanFiction) (Zum Teil Apecrime)Where stories live. Discover now