Kapitel 03: Übergabe mit Hindernissen

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Der Nebel war anscheinend noch dichter geworden - oder war das eine Nachwirkung der Flüssigkeit, die mir vor ca. 2 Stunden verabreicht worden war?

Die Sichtweite betrug nur wenige Meter und so dauerte es seine Zeit, bis ich die dunklen Schatten, die um den 23. Pier herumschlichen, näher identifizieren konnte - größtenteils altbekannte Gesichter aus einer Zeit, die ich am liebsten aus meinem Gedächtnis gestrichen hätte. Meine beiden Aufpasser hielten sich dezent im Hintergrund.

„Ray, mein Junge, was machst du denn hier?" grüßte mich Sam - er war scheinbar überhaupt nicht älter geworden - mit einem irischen Akzent, den er wohl nie ganz loswerden würde. Er wirkte sichtlich irritiert.

„Ist nur ein kurzer Abstecher ins Reich der Lebenden, bevor ich wieder verschwinde. Vince meinte, du..."

„ Vince? Woher weiß er, dass du...?"

Seine Pupillen weiteten sich etwas und sein Gesicht verlor jegliche Farbe.

„Sam, was ist los?"

Es machte mir Angst, ihn so verstört zu sehen und tief in meinem Innersten läuteten die Alarmglocken.

„Das ist eine verdammte Falle!" rief er aus und sah sich verzweifelt um.

„Was meinst du?"

Ein kaum hörbares Klicken aus dem Inneren meines Koffers verriet mir, dass jemand soeben einen versteckten Zündmechanismus ausgelöst hatte. Ich versuchte noch, ihn von uns weg ins Wasser zu werfen und mich wegzudrehen, doch nur Bruchteile einer Sekunde später flog uns der Metallkoffer mit einem lauten Knall, einem gleißend hellen Magnesiumfunken und Tausenden von todbringenden Metallsplittern um die Ohren.

Die Wucht riss mich von den Beinen und ich spürte deutlich, wie Metallsplitter in meinen Körper eindrangen, hörte das nur zu sehr vertraute Geräusch das entsteht, wenn Gewebe durchtrennt wird bevor ich schließlich am Boden lag und ein lautes Pfeifen in den Ohren hatte.Dass ich noch nicht tot war, hatte ich wohl meinem Trenchcoat zu verdanken - eine Spezialanfertigung, kugelsicher ausstaffiert - aus meiner „jungen und stürmischen" Zeit.Er hatte einen Großteil der Geschosse abgefangen - aber nicht alles. Immerhin hatte er seinen Zweck weitgehend erfüllt und mich am Leben erhalten, auch wenn ich nicht wusste, ob ich mich jemals wieder würde bewegen können.

Vince - dieses verfluchte Schwein - hatte mich verraten und benutzt - benutzt, um Sam aus dem Weg zu räumen.Aber warum um Himmels Willen den alten Sam?Was war in der Zeit geschehen, in der ich aus dem Geschäft gewesen war?Was hatte aus zwei alten Geschäftsfreunden wie Sam und Vince Todfeinde gemacht?

Und was hatte das alles mit mir zu tun?

Bevor ich mich noch in weitere tiefgehende Gedankengänge verstricken konnte, hörte ich ein leises Geräusch, das eindeutige Zeichen dafür, dass irgendjemand eine Pistole durchlud. Ehe ich mich versehen konnte, spürte ich die Kälte der Waffe auf meiner Stirn und musste dabei in ein Gesicht blicken, das so ganz und gar nicht in dieses Szenario passte: Mitte 20, blondes Haar mit einem leichten Stich ins rötliche, skandinavische Gesichtszüge, eine kleine Narbe an der rechten Wange und blaue Augen, in die man(n) sich mit ziemlicher Sicherheit unsterblich verlieben konnte - mein Gehirn sammelte automatisch so viele Informationen über die Person mir gegenüber, wie nur irgendwie verfügbar waren.

Eines war mir jedoch von Anfang an klar: Das Blau war eiskalt und wollte nichts mehr als meinen Tod und das möglichst langsam und schmerzvoll.

„Du Arschloch hast ihn umgebracht! Dafür wirst du bezahlen!" fauchte sie mich an, während sie neben mir am Boden kniete und mir die Knarre an die Stirn drückte.

„Ich .... wurde hereingelegt..." presste ich mit ungeahnter Anstrengung aus mir heraus - es hatte mich scheinbar schlimmer erwischt, als ich gedacht hatte.

Sie wollte wohl gerade abdrücken, als das Geräusch von herannahenden Sirenen die Stille durchbrach. Anstatt mich über den Jordan zu schicken, stand sie auf und gab Handzeichen in eine Richtung, die ich von hier unten aus nicht überblicken konnte.

„Wir nehmen den Bastard mit. Vielleicht kann er uns was Brauchbares erzählen."

Ich spürte, wie mich irgendeine sehr große und stämmige Gestalt an der Hand packte und hochriss. Ruckartig hatte ich wieder Boden unter den Füßen und sah zum ersten Mal das volle Ausmaß der Explosion: Die Bombe hatte nicht viel identifizierbares von Sam übrig gelassen und auch zwei seiner Bewacher lagen - von Aluminiumsplittern durchsiebt - in einer Lache aus Blut, die sich auf den Holzplanken von Pier 23 ausbreitete und durch jede kleinste Ritze drang, um sich mit der Ol' Lady zu vereinen.

Was meine beiden Beschützer anbelangt, die würden mir wohl keine sehr große Hilfe sein; Eddie und Val waren spurlos verschwunden.

Der Hüne warf mich über seine rechte Schulter wie einen Seesack.

Langsam aber unausweichlich wurde ich von der grotesken Szenerie fortgetragen, in eine Zukunft, die, wie ich mir sicher war, nicht annähernd so angenehm war wie das sanfte pulsierende Stechen meines linken Armes.

Wieder einmal wurde mir schwarz vor Augen.

Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiWhere stories live. Discover now