Kapitel 04: Verhörspiele

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Als ich das nächste Mal zu mir kam, starrte ich direkt in eine der abscheulichsten Visagen, die mir je untergekommen waren. Selten hatte ich ein Gesicht gesehen, dass so zerschunden, so zerkratzt, so entstellt gewesen war. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass es mein Spiegelbild war. Die Explosion hatte mich scheinbar doch härter getroffen, als ich im ersten Moment gespürt hatte. Und doch fühlte ich mich seltsam leicht und beschwingt. Der Schmerz, der mit ziemlicher Sicherheit durch meinen gesamten Körper wanderte und das Brennen an den offenen Stellen hielten sich dezent im Hintergrund. Vermutlich hatte man mich mit Schmerzmitteln vollgepumpt und die würde ich brauchen, um das vor mir liegende „Verhör" zu überstehen. Irgendwer hatte mir sogar wieder meinen Hut aufgesetzt.

Den Versuch, aufzustehen und mich zu bewegen, brach ich ab, als ich feststellte, dass mich jemand an einen halbverwitterten Holzstuhl gebunden hatte. Der ölige Geruch verriet mir, dass ich in einer alten Lagerhalle in der Nähe einer stillgelegten Raffinerie war, dem wohl beliebtesten Ort für stille, nette Unterhaltungen in kleiner Runde. Was allerdings der mannshohe Spiegel zu bedeuten hatte, der mir direkt gegenüberstand, war mir ein Rätsel.

Ich versuchte einen Blick durch die alten verdreckten Fenster zu erhaschen, die sich zu meiner rechten erstreckten und sich aus meiner Perspektive in der Unendlichkeit verloren, doch irgend eine Substanz in meinem Blutkreislauf hatte meine Sichtweite auf wenige Meter herabgesetzt.

Ich saß also in diesem völlig verlassenen, dunklen Drecksloch mit einer Mischung aus Alkohol, Betäubungs- und Schmerzmitteln im Blut und hatte keine Ahnung, wem ich ausgeliefert war. Ich wusste nicht, warum Vince mir das angetan hatte und auch nicht, was er gegen den alten Sam gehabt hatte.

Tief in wirre Gedankengänge versunken, die sich mit Träumen und alten Erinnerungen wie bei einem Kartenspiel zu einer völlig aussichts- und sinnlosen Partie zusammenmischten, merkte ich zunächst nicht, dass mein Spiegelbild mittlerweile Gesellschaft bekommen hatte.

Da waren sie wieder. Diese traurigen blauen Augen mit dem hasserfüllten Ausdruck, der mich schon zuvor hatte erschaudern lassen. Waren das Tränen? Ich wusste beim besten Willen nicht, wie weit ich meiner Wahrnehmung vertrauen konnte.

Sie stand einfach nur hinter mir und beobachtete mein gespiegeltes Gegenüber, so wie eine Schlange vor dem Loch einer Maus wartet, dass diese herauskommt um als Nahrung zu enden.

„Sieh einer an. Das Dreckschwein ist aufgewacht!"

Eindeutig eine männliche Stimme. Vielleicht der Schrank von vorhin.

„Herzlich willkommen in deiner persönlichen Hölle!"

„Ach, ihr habt ja keine Ahnung" krächzte ich, oder zumindest unternahm ich den Versuch.

Der erste Schlag landete direkt in meiner Magengrube. Ich weiß das, weil er mich mitsamt Stuhl durch den Raum wuchtete.

Eine große, ziemlich haarige Pranke packte mich an den Haaren und schleifte mich zurück zum Spiegel. Wo war mein Hut?

„Wer?"

Das war sie.

„Was „wer"?" versuchte ich etwas Zeit zu schinden.

Der nächste Schlag riss mich mitsamt Stuhl um. Mein Kopf prallte mit voller Wucht auf den kalten feuchten Betonboden. Es war mir egal.

„Bring ihn nicht gleich um. Wir brauchen noch ein paar Informationen von ihm."

Nicht schon wieder „Informationen"! In diesem Augenblick schwor ich mir, sollte ich diese Sache überleben, jegliche Art von Informationshandel aufzugeben und mich irgendwo auf einer einsamen abgelegenen Insel zur Ruhe zu setzen. Ich spuckte Blut. Die Pranke holte mich wieder auf die Beine.

„Wer hat dich geschickt?"

„Vince."

Jetzt war eindeutig nicht die Zeit dafür, verschwiegen zu sein. Schließlich hatte Vince mich zuerst verraten.

„Lügner!"

Als ich diesmal zu Boden ging, zuckte ein Erinnerungsfetzen durch mein Gehirn.

Regen - ein Schuss - jemand hatte uns verraten.

Aber wer?

Nach dem nächsten Schlag ließen sie mich am Boden liegen. Eine dicke warme Flüssigkeit, ich wusste sofort, dass es mein Blut war, rann quer über mein Gesicht und tropfte auf den Boden.

Und so verlor ich das Bewusstsein erneut. Schien ja langsam zur Gewohnheit zu werden.


Jimmy is Dead - ein Noire-KrimiNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ