Die Gewohnheit

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Berlin, im März 2012

Nachdem Benni noch über ein paar Umwege durch die Stadt nach Hause gefahren war, um seinen Kopf etwas freier zu bekommen, bog er in die Einfahrt zu der großen Tiefgarage ein, die unter anderem auch zu seinem Wohnhaus gehörte. Er fuhr auf seinen Stellplatz mit der Nummer 34 und reihte seinen Audi zwischen den ganzen anderen teuren Wagen hier unten ein.

Mit Plan B verdiente er derzeit bei Weitem noch nicht so viel, um sich seine Wohnung, sein Auto und seinen Lifestyle aus eigener Arbeit heraus leisten zu können. Als Sohn eines Automobilkaufmannes, dem überall in Berlin verteilt acht Autohäuser gehörten und einer Marketingmanagerin, deren Firma für weltweite Kampagnen verantwortlich war, wurde Benni jedoch schon mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Er selbst war zunächst in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte ebenfalls die Ausbildung zum Automobilkaufmann abgeschlossen. Schnell hatte er jedoch gemerkt, dass Autos eher ein Hobby als eine lebenserfüllende Aufgabe für ihn darstellten.
Als Benni seinen Eltern dies mitteilte, stieß er auf keinerlei Gegenwind. Sie wollten einfach nur, dass ihr wohlbehütetes Söhnchen zufrieden war und räumten ihm die Freiheit ein, nur das zu tun, wonach ihm war und unterstützten ihn dabei sehr großzügig.

Benni hatte das sein ganzes, bisheriges Leben lang sehr genossen, war aber langsam an einem Punkt angekommen, an dem er selbst etwas auf die Beine stellen wollte. Er sah sich selbst schon als unverschämt viel Kohle scheffelnden Labelboss, der täglich von Frauen umringt wurde, dem die Leute auf der Straße Platz machten und der in Musikerkreisen geschätzt und respektiert wurde.
Das Projekt Plan B, das er zusammen mit seinem Freund Timi auf die Beine gestellt hatte, hatte alle Voraussetzungen dafür, dass dieser Traum wirklich in Erfüllung gehen könnte. Vor allem jetzt, wo Timi mit Lukas vor ein paar Monaten noch einen absoluten Mädchenschwarm mit ins Boot geholt hatte. Es lag etwas ganz Großes vor ihm, er konnte es schon deutlich spüren.
Deshalb nahm es ihn eben so mit, wenn sie, so wie heute, bei wichtigen Fragen nicht zu zufriedenstellenden Antworten kamen.

Er schloss seinen Wagen ab und nahm einen Aufzug, der ihn direkt zu seiner Dachgeschosswohnung brachte. Als er drin das Geräusch des angeschalteten Fernsehers hörte, seufzte er laut auf. Gerne hätte er heute Abend seine Ruhe gehabt und wäre sehr froh darum gewesen, wenn sie wie so oft mit ihren Freundinnen um die Häuser zog. Dem war jedoch nicht so und jetzt musste er sich wohl oder übel noch mit ihr beschäftigen.
Sie, das war seine Freundin Eva, mit der er mittlerweile schon seit gut zwei Jahren zusammenlebte.

Benni lernte Eva damals in einer regnerischen, kalten Nacht kennen. Er hatte mit seinem neuen Auto stolz an der Ampel gestanden und voller Vorfreude darauf gewartet, dass die Ampel auf grün schaltete, damit er seinen Motor aufheulen lassen konnte. Dann war sie ihm mit ihrem alten Opel Corsa einfach hinten drauf gefahren. Rasend vor Wut war er ausgestiegen und zu ihr nach hinten gestürmt.
„Du blöde Schlampe", hatte er geschrien und mit voller Wucht an die Scheibe ihrer Fahrertür geschlagen.
Sie war daraufhin ebenfalls ausgestiegen und hatte ihn sofort kräftig auf ihre Motorhaube geschubst. „Was ist mit dir kaputt? Es war ein Unfall, keine Absicht. Du aufgeblasener Schnösel", hatte sie zu ihm gesagt.
Es war völlig ungewohnt für ihn, dass eine Frau sich so gegen ihn zur Wehr setzte, ihm Widerworte gab und ihn sogar körperlich anging. Es waren, von beiden Seiten ausgehend, noch mehr Schimpfworte durch die Nacht geflogen, doch irgendwann hatte Benni einfach klein beigegeben, als er sie sich näher betrachtet hatte. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Kleidung war durchnässt und ihr Gesicht war wutverzerrt, aber all das konnte nicht von ihrer Schönheit ablenken. Also hatte Benni beschlossen, seinen Wagen einfach in einer der vielen Werkstätten seines Vaters reparieren zu lassen und die Polizei nicht wegen dieses kleinen Malheurs zu verständigen. Stattdessen hatte er sie einfach zum Essen eingeladen. Zu seinem großen Erstaunen hatte sie tatsächlich eingewilligt. Sein Wagen war zur Werkstatt geschleppt worden und sie hatte ihren Opel einfach auf dem Parkplatz eines Supermarktes stehen lassen. Sie waren zu Bennis Lieblingsinder gegangen, wo er es sich natürlich nicht nehmen ließ, für sie beide das teuerste Menü auf der Karte zu bestellen. Während des Essens bei Kerzenschein hatten sie pausenlos geredet. Er erzählte ihr von seinen Plänen, eine große Musikerkarriere starten zu wollen und sie berichtete von ihrem Architektur-Studium. Sie waren so vertieft in das Gespräch und so fixiert aufeinander, dass das Personal des Restaurants sie spät in der Nacht unsanft aus ihrer kleinen Welt reißen musste, weil dieses Feierabend machen wollte und keine anderen Gäste mehr da waren.
Sie war eine Frau mit Biss, die sich nichts gefallen ließ und das war es, was er damals gebraucht hatte.

Nach diesem ersten Essen waren die beiden dann ziemlich schnell zusammen gekommen und sie war nur wenige Monate später sogar zu ihm gezogen. Es war nahezu perfekt. Zumindest eine kurze Zeit lang.
Benni war nicht unbedingt ein komplett beziehungsunfähiger Mensch, doch mit den Frauen verhielt es sich bei ihm wie mit den Autos - irgendwann kam der Punkt, an dem sie ihn langweilten.
Es gab mal eine Zeit, da fühlte er sich durch Evas große Klappe und den häufigen Widerstand auf aufregende Art und Weise von ihr herausgefordert. Heute nervte ihn das nur noch.
Beim Sex mit ihr gab es nichts Neues mehr zu entdecken. Er kannte bereits jeden Zentimeter ihres Körpers und wusste schon vorher, welche Bewegungen und welche Geräusche sie wann wie machen würde.
Wo einmal leidenschaftliche Liebe gewesen war, war heute nur noch das dumpfe Pochen der Gewohnheit zu spüren.

Es lag auf der Hand, dass diese Beziehung keine Zukunft mehr hatte. Er hatte schon so oft mit ihr Schluss machen wollen. Aber nach einem harten Tag hatte er einfach keine Lust mehr auf Stress und somit schob er es schon seit Wochen vor sich her. Der richtige Zeitpunkt dafür würde schon noch kommen. Irgendwann würde er sich dazu durchringen können.





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