Das Funkeln

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Berlin, im Dezember 2013

Mit rasendem Herzen folgte Irina Benni, der von einem elegant gekleideten Mitarbeiter des Hotels einen Gang entlang geführt wurde, der mit dem weichsten Teppich ausgelegt war, den Irina jemals unter ihren Füßen gespürt hatte. Alles in diesem überwältigend schönen Gebäude war exklusiv, das Beste vom Besten und Irina hatte Mühe, mit den beiden Männern Schritt zu halten, weil sie am liebsten an jeder Ecke stehen geblieben wäre, um sich die unzähligen, wunderschönen Dinge genauer anzusehen, an denen sie vorbeikamen.
Da waren aufwändig verzierte Vasen mit bunten Blumen darin, die einen bezaubernden Duft verströmten und große Bilder in vergoldeten Rahmen, die sich Irina stundenlang betrachten würde, wenn sie in einem Museum hingen. Sogar die filigranen Schilder neben den Türen, in die die Zimmernummern eingraviert waren, waren mehr als nur einen flüchtigen Blick wert.

Benni bemerkte Irinas Faszination für das Hotel und grinste sie kurz über die Schulter hinweg an. Für ihn war das hier zwar auch ganz nett, aber er hatte bei Weitem nicht das Bedürfnis, sich vor Freude überschlagen zu müssen. Seine Verwandtschaft mietete sich schon lange mehrmals im Jahr für diverse Feierlichkeiten in dieses Hotel hier ein und somit gab es nichts, was ihn hier noch überraschen könnte.
Er hielt sich noch einmal den gigantischen Unterschied zwischen seinem Leben und dem von Irina vor Augen und konnte, wenn auch nur mit großer Mühe nachempfinden, wie die Umgebung gerade auf diese wirken musste.

Wieder, wie schon unzählige Male zuvor in den letzten Wochen, machte ihn dieser Gedanke daran erst stutzig, dann musste er jedoch darüber grinsen. Er hatte entgegen jeglicher Erziehung seiner Eltern tatsächlich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass es Menschen gab, für die das alles nicht so selbstverständlich war, wie für ihn selbst. Und es ging sogar noch weiter. Er wusste nicht nur, dass es diese Menschen gab, dank Irina konnte er sich sogar in den Grundzügen vorstellen, wie sich diese Menschen fühlen mussten, wenn sie in die Welt der Schönen und Reichen eintauchen durften. Wie besonders das alles war, wie selten, und wie viel Glück er eigentlich hatte, in diese Welt hineingeboren worden zu sein.

Und er nahm jetzt, an Heiligabend, eines von diesen Mädchen, die nicht so sehr vom Glück gesegnet worden waren wie er selbst, und entführte es für einen Abend aus dem Elend, hinein in ganz andere Umstände, wo alles gut war, wo man alles bekam und alles durfte, wenn man es denn nur bezahlen konnte.
Benni hatte ohnehin nie geglaubt, dass an dem Spruch, dass Geld nicht glücklich mache, etwas dran war und wurde jetzt nur nochmal darin bestätigt.
Natürlich machte Geld glücklich. Und wie! Man musste sich nur mal Irinas Augen ansehen, die vor Faszination heller funkelten als jeder verfickte Stern da oben am schwarzen Nachthimmel.

Der Mitarbeiter, der die beiden durch die Gänge führte und laut seinem Namensschild auf den Namen Max hörte, öffnete eine schwere, gläserne Tür und kurz darauf befanden sich die drei auf einem langen, weitläufigen Balkon, der ohne elektrisches Licht und nur mit Kerzen, die in altertümlichen Laternen standen, ausgeleuchtet wurde.
Es war eiskalt in dieser Nacht, die Temperaturen befanden sich weit unter null Grad und Irina fing sofort an zu zittern, blieb aber dennoch kurz stehen, um einen Blick über das Geländer des Balkons zu werfen.
Sie hatten von hier oben den perfekten Blick auf den Vorplatz des Hotels, wo noch immer der gigantische Springbrunnen dampfendes Wasser in den verschiedensten Formationen in den Himmel schoss. Begleitet wurde das Schauspiel von bunten Lichtern, die untermalt von passender, leiser Klaviermusik über die Fassade des Hotels, über den mit hellen Steinen gepflasterten Hof, bis in den sternenklaren Himmel hinauf tanzten.
Max grinste Irina frech an und flüsterte: „Der Kerber muss Sie ja ganz schön lieben, so sehr wie er sich hier heute ins Zeug legt."
„Oh, wir sind nicht...", setzte Irina verunsichert an, wurde jedoch gleich darauf vom schmerzerfüllten Stöhnen von Max unterbrochen.
„Aua Benni, was..."
„Halt die Klappe, Mann", zischte der ihm zu und schüttelte ungläubig darüber, was der Kerl sich da gerade erlaubt hatte, den Kopf.

Max war ungefähr in Bennis Alter, arbeitete schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr im Hotel und hatte Benni damals schon des öfteren dabei geholfen, langweilige Familienfeste zu überleben. Während sich seine alten Tantchen bei Kaffee und Kuchen über den neuesten Tratsch amüsierten, hatte Benni nicht selten mit Max im Wäschekeller der Anlage gesessen und den ein oder anderen Joint geraucht, hatte sich heimlich mit ihm durch die Vorräte der Küche gefuttert oder mit ihm im Securityzimmer gesessen, wo sich die beiden breit grinsend die Bilder von den Überwachungskameras aus dem Wellnessbereich reingezogen hatten, und zwar vorzugsweise von denen, die in der Nähe der Damensauna angebracht waren.
Benni und Max kannten sich zwar schon eine halbe Ewigkeit, aber woher der Typ sich das Recht nahm, einfach so seine Begleitung anzulabern, das wusste Benni beim besten Willen nicht und es regte ihn tierisch auf, was er sogleich mit einem zweiten Boxhieb in dessen Rippen deutlich machte.

„Ist ja gut", keuchte Max. „Ich mein ja nur, weil wir heute extra den Brunnen..."
Ein Todesblick von Benni, in Kombination mit einer dritten, diesmal nur angetäuschten Faust in Richtung seiner bereits stark schmerzenden Rippen brachte Max nun endlich zum Schweigen.
„Kennt ihr euch oder so?", fragte Irina halb amüsiert, halb schockiert.
Benni lehnte sich neben Irina gegen das Balkongeländer und schaute grinsend auf den Brunnen herunter, der heute extra und nur auf seinen Wunsch hin angestellt worden war.
Normalerweise wurde er aufgrund von Vereisungsgefahr erst im Frühjahr wieder angestellt, doch wie fast immer und fast überall bekam Benni mit ein paar Scheinchen auch hier nur zu gerne seine Extrawünsche erfüllt.
„Kann man so sagen, ja", antwortete er ihr und warf einen Blick zu Max rüber, der eine Hand an seine Rippen presste und ganz und gar nicht amüsiert aussah.

Irina warf Max einen mitleidigen Blick zu, dieser grinste jedoch nur schwach und winkte ab. Währenddessen schaute Benni noch ein letztes Mal kurz zum Brunnen runter, der gerade extrem spektakuläre Formen aus dem Wasser zauberte, die physikalisch eigentlich gar nicht möglich zu sein schienen, dann setzte er sich langsam in Bewegung. Max und Irina folgten ihm direkt und auf der anderen Seite des Balkons betraten sie nun einen Flur, der noch edler aussah, als der Teil des Hotels, den sie vorhin durchquert hatten.

Vor einer gigantischen Tür aus massivem, dunklem Kirschholz blieb Max stehen und zog eine Schlüsselkarte durch. „So, da wären wir dann", sagte er und nickte Benni zu.
„Danke, Mann", erwiderte dieser und schlug Max grob auf die Schulter, woraufhin dieser ein leises Wimmern von sich gab. Irina beobachtete die Szenerie und fragte sich, ob Benni dem armen Kerl wohl eine Rippe, oder vielleicht sogar mehrere gebrochen hatte.

Max verzog sich humpelnd, Irina warf ihm noch einen letzten, mitleidigen Blick nach und folgte dann Benni, der sich schon im Inneren des Zimmers, welches sich hinter der Tür verbarg, befand.
„Wow", hauchte Irina und ließ ohne es zu merken und völlig überwältigt ihre Handtasche auf den Teppichboden fallen.
„Herein, die Dame", sagte Benni mit einem breiten Grinsen und drückte der völlig überforderten Irina ein Glas voll prickelnden Champagner in die Hand.

Mädchen, mach die roten Lichter aus!Donde viven las historias. Descúbrelo ahora