Annas Empfangskomitee

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Annas POV

Auf dem Heimweg betonten meine Eltern immer wieder, dass die Shinodas eine nette Familie seien und ich mit einem anständigen jungen Mann befreundet sei, wie sie es ausdrückten. Vielleicht waren sie auch einfach froh, dass ich in der Schule endlich einen Freund gefunden hatte. Als ich sie fragte, erlaubten sie mir sogar, am nächsten Tag gemeinsam mit Mike zur Schule zu gehen beziehungsweise mit dem Bus zu fahren, jedoch nicht ohne mich noch einmal ausdrücklich auf alle möglichen Gefahren hinzuweisen. Und als ich dann spät am Abend im Bett lag, freute ich mich zum ersten Mal seit langem wieder ein wenig auf die Schule.

Als ich am Morgen aufwachte, packte ich meine Schulsachen ein, schlang schnell mein Frühstück hinunter und schlüpfte in meine Schuluniform. Meine Haare ließ ich wie immer so wie sie waren, und im Gegensatz zu meinen Mitschülerinnen kleisterte ich mein Gesicht auch nicht mit Make-up zu. Schließlich machte ich mich frohen Mutes auf den Weg zu Mikes Haus und war überrascht, als ich ihn vor unserem Gartentor stehen sah.

„Was machst du denn schon da?", rief ich ihm anstelle einer Begrüßung zu. Immerhin lag sein Haus auf dem Weg zur Bushaltestelle.

„Naja", er kratzte sich verlegen am Hinterkopf, „als echter Gentleman muss ich dich schon von zuhause abholen." Gegen meinen Willen musste ich grinsen. Die zerwuschelten Haare mit den bunten Strähnchen und die leicht zerknitterte Uniform passten nicht ganz zum Bild des Gentlemans. Hastig rannte ich die letzten paar Meter zur Straße hinab und begrüßte ihn mit einem kurzen „Hi!"

„Morgen", antwortete er gähnend. Offenbar war es noch etwas zu früh für ihn. Gemeinsam machten wir uns schließlich auf den Weg zur Bushaltestelle, die etwa zwei Minuten von Mikes Haus entfernt lag. Für mich war das ganze ziemlich ungewohnt, immerhin hatten meine Eltern mich bis jetzt immer mit dem Auto zur Schule gebracht. Aber wenn ich ehrlich war, war es mir lieber mit Mike zu Fuß zu gehen und mit ihm über Musik zu plaudern.


Mikes POV

Warum ich Anna abgeholt habe? Nun, mein Vater hat mir einiges beigebracht. Unter anderem ein Gentleman zu sein, besonders wenn es um Mädchen geht, die man auch wirklich mag. Und ich mochte Anna gerne. Am Abend war ich noch Stunden wachgelegen und hatte über dem Tag nachgedacht, deshalb war ich jetzt auch so müde. Wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden, hatten viele Gemeinsamkeiten und uns ging das Gesprächsthema scheinbar nie aus. Und der Nachmittag war einfach großartig gewesen. Mit Anna gemeinsam Musik zu machen machte mir unglaublich viel Spaß. Und schließlich war ich mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen.

Mittlerweile hatten wir die Bushaltestelle erreicht, wo wir jedoch die einzigen Kinder waren, da die anderen offenbar von ihren Eltern zur Schule gebracht wurden, wie mir Anna erklärte. Und irgendwie hatte ich das Gefühlt, dass auch sie bis gestern zu diesen Kindern gehört hatte. Denn kaum bog der Bus um die Ecke, begann sie, nervös an ihrer Jacke herumzuspielen.

„Alles in Ordnung", raunte ich ihr zu, ehe wir den Schulbus betraten. Er war noch relativ leer und wir setzten uns auf einen Platz in der Mitte des Busses.

Allmählich füllte sich der Bus und auch einige unserer Mitschüler waren dabei. Diese konnten es natürlich nicht lassen und mussten Anna sofort beleidigen.


„Sieh an, unser kleines reiches Töchterchen gesellt sich zu uns. Sind deine Eltern etwa plötzlich arm?", meinte etwa ein Mädchen, die geschminkt war wie eine 18-Jährige in der Disco und dazu ihre Bluse fast bis zum Bauchnabel offen hatte. Und so was mit 14? Dagegen war Anna ja eine Heilige.

Wo wir gerade bei Anna waren, die saß versteinert neben mir und ich wusste, dass sie mit den Tränen kämpfte. Als dann auch noch eine weitere Mitschülerin vorbeikam und Anna wegen ihrer braunen Haare verspottete, offenbar war sie die einzige aus unserer Klasse, die keine gefärbten Haare hatte, war mir klar, dass ich Anna helfen musste. Nur wie war mir noch nicht ganz klar.

Als wir schließlich die Schule erreicht hatten, begaben wir uns in die Klasse, wo die nächsten Zicken nur auf uns warteten.

„Schau an, da ist ja unsere kleine Prinzessin!" Zwei Mädchen, die sich von Push-up BH bis High-Heels wie ein Ei dem anderen glichen, kamen auf uns zu. Unsanft packten sie Anna an den Schultern und zogen sie ein Stück weit weg. „Man könnte meinen, deine Eltern könnten sich wenigstens anständiges Gewand für dich leisten." Mir fiel auf, dass Anna als einzige die Schuluniform so trug, wie es die Schule vorschrieb. Alle anderen hatten entweder etwas daran verändern, meist den Rock gekürzt und die Bluse nicht zugeknöpft, oder trugen überhaupt Alltagskleidung. Unterdessen zogen die Mädchen an Annas Haaren, was die scheinbar gleichgültig zu Kenntnis nahm. Ihre Augen sprachen aber eine andere Sprache. „Hässliches Braun!", stellten die Push-up-Zwillinge fest, ehe sie Anna losließen und sie unsanft in Richtung ihres Platzes schupsten.


Hastig gesellte ich mich zu ihr, jedoch nicht ohne die Mädchen mit einem bösen Blick zu strafen.

„Oh, seht nur, sie hat einen Freund gefunden!" Die anderen Mädchen stimmten in das laute Gelächter der beiden ein und Anna verschwand fast hinter ihrem Tisch. Die Jungs ignorierten das ganze weitgehend. Ich beschloss, später einmal mit ihnen zu sprechen.

„Hey, du da mit den bunten Haaren, wie viel zahlen dir ihre Eltern, dass du dich als ihr Freund ausgibst?", rief mir ein Mädchen mit roten Haaren zu.

„Gar nichts!", gab ich wütend zurück, woraufhin die Mädchen nur kicherten. Die Schulglocke beendete schließlich das grausame Spiel fürs Erste.


Annas POV

Ich wollte das alles nicht! Ich wollte nicht gemobbt werden, nicht die ewige Außenseiterin sein und schon gar nicht Mike in die ganze Sache verwickeln. Letzteres war für mich derzeit das Schlimmste, mit dem anderen hatte ich mich über die Jahre abgefunden. Aber ich wollte einfach nicht, dass Mike auch zum Außenseiter wird. Das hatte er einfach nicht verdient.

Die erste Pause verlief relativ ruhig, dafür wurde ich in der Stunde wieder Opfer von Papierkugeln und anderen Wurfgeschossen. Dem Lehrer fiel wie immer nichts auf. Oder tat er etwa nur so? Immerhin war Jessica die selbst ernannte Anführerin der Mädchen, und die sorgte schon mit ihrem Aussehen dafür, dass ihr kein Mann böse sein konnte.

Die nächsten beiden Stunden waren für mich die schlimmsten der gesamten Woche. Sportunterricht. Nicht dass ich unsportlich war, ganz im Gegenteil, aber unsere Lehrerin bestand darauf Völkerball zu spielen. An sich ein tolles Spiel.


Aber die Lehrerin beschloss, dass Jessica und ihre beste Freundin Michelle die beiden Gruppen wählen durften. Das bedeutete für mich, dass ich wieder am Boden saß und zusah, wie eine nach der anderen aufgefordert wurde, zu einer Gruppe zu kommen und ich übrig blieb. Schließlich musste ich wohl oder übel in Jessicas Gruppe, wo ich bereits mit einem freundlichen Nicht die! begrüßt wurde.

Ja ich freute mich auch, euch alle zu sehen! Und das Spiel verlief keineswegs besser. Ich war die einzige, auf die unsere Gegner zielten und immer wenn ich einem Ball auswich anstatt ihn zu fangen, schrien mich meine Teamkolleginnen an, dass ich mich mehr anstrengen sollte. Und wenn ich doch einmal einen Ball erwischte, dann nahmen sie ihn mir auf der Stelle ab. Trotzdem schaffte ich es irgendwie, als letzte im Feld zu bleiben. Natürlich feuerte mich keiner an und als ich schließlich doch erwischt wurde, bedankte sich unser Freigeist Nancy bei mir mit dem Stinkefinger. Der Rest der beiden Turnstunden verlief nicht besser und kaum waren wir in der Umkleidekabine, bemäkelten die Mädchen wieder allesamt meinen noch etwas kindlichen Körperbau.

Ich war heilfroh und den Tränen nahe, als ich endlich wieder in der Klasse neben Mike saß. Aber ich war keineswegs in Sicherheit, nein. Das Schlimmste stand mir fast noch bevor.

To Be Continued


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