Gib nicht auf

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Mikes POV

Die ersten beiden Stunden lang hatte ich fast ausschließlich darüber nachgedacht, wie ich Anna helfen könnte. Mir war klar, dass ich es nicht allein schaffen würde. Also beschloss ich, mir Unterstützung von den anderen Jungs zu holen. Doch dafür musste ich zunächst einmal mit denen befreundet sein. Dass als nächstes zwei Stunden Sport am Programm stand, war ganz hilfreich.

Denn kaum waren wir unter uns Jungs, wagten die auch zum ersten Mal richtig mit mir zu sprechen. Dabei stellte ich fest, dass sie keineswegs so unfreundlich waren, wie ich gedacht habe. Gut, beste Freunde würden wir vielleicht nicht werden, aber ich würde es zumindest mit ihnen aushalten.

Den Turnlehrer mochte ich, er erlaubte uns, das zu spielen, was uns Spaß machte (sprich Ballspiele) und ließ uns außerdem die Gruppen selbst einteilen. Ich hatte nicht erwartet, dass letzteres so schnell gehen würde und noch viel weniger, dass ich ohne Probleme in eine Gruppe kommen würde. Unter anderem spielten wir in den nächsten beiden Stunden ein Mittelding aus Basketball und Rugby, wobei ich echt heilfroh war, dass ich mir kein Bein brach oder mich sonst irgendwie verletzte. Und während wir wie wild aufeinander losstürmten (die Sache sah bei Fußball nicht anders aus), schafften wir es auch noch irgendwie, uns besser kennenzulernen. Mit mir waren in der Klasse acht Jungs, was besonders im Sportunterricht praktisch war. Außerdem hatte ich wir nicht viele Namen zu merken.


Nach den beiden Stunden kannte ich nicht nur meine Mitschüler um einiges besser, sondern konnte sogar richtig mit ihnen reden. Sport hat anscheinend eine magische Wirkung. Als wir wieder in der Klasse waren, gesellten wir uns in eine Ecke und aßen erst einmal unsere Jause zusammen mit Unmengen an Cola und anderen Getränken. Und da wir nichts Besseres zu tun hatten, die Mädchen noch nicht zurück waren und ich Mentos in meiner Jausenbox fand (Danke Mum!), war klar, was wir als Nächstes machten. Keine dreißig Sekunden später sprudelte eine herrliche Fontäne unter lautem Jubel aus dem Fenster.

Damit war unser Männerparadies aber auch schon zu Ende, denn kaum war unser Gegröle verebbt, standen schon die ersten Mädchen in der Klasse. Wie immer laut schnatternd und sich darüber beschwerend, dass ihr Make-up nach dem Turnen nicht mehr richtig saß. Wir Männer verdrückten uns wieder in die Ecke und dabei stellte ich fest, dass nicht nur ich wenig begeistert von unseren Mitschülerinnen war.

Und irgendwann stellte schließlich ein Typ namens Liam fest, dass Anna das einzig normale Mädchen in der Klasse sei. Und nicht nur ich, oh nein, alle anderen Jungs stimmten ihm zu. Jetzt wusste ich, dass mein Vorhaben, Anna zu helfen, wirklich funktionieren könnte. Doch ehe ich meine Pläne präsentieren konnte, beendete die Glocke die Pause und ich ließ mich neben Anna auf meinen Platz fallen. Dabei stellte ich fest, dass sie bereits wieder in Gedanken versunken vor sich hin zeichnete.

„Sport ist nicht gut gelaufen, was?", fragte ich sacht und Anna blickte auf. Ihre geröteten Augen beantworteten meine Frage.

„Hör zu", flüsterte ich, „wenn sie dich beleidigen, denk an irgendein Lied, dass grade zu deiner Situation passt, dass hilft mir zumindest, wenn ich traurig bin. Müsste bei Mobbing auch funktionieren."

Traurig nickte sie. „Ich wird's versuchen, danke."


Annas POV

Wieso war Mike nett zu mir? Diese Frage beschäftigte mich seit gestern wohl mehr als die, warum die anderen gemein zu mir waren. Um ehrlich zu sein, ich war erleichtert, als ich ihn neben den anderen Jungs stehen sah und er mit ihnen plauderte. Also widmete ich die Pause einer neuen Zeichnung, mit der ich die Turnstunde irgendwie verarbeiten wollte.

Als es läutete gesellte sich Mike schließlich zu mir und gab mir diesen Tipp. Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht ganz, was ich davon halten sollte. Naja, ausprobieren konnte ich es ja. Und meine Mitschülerinnen gaben mir auch recht bald Gelegenheit dazu.

In der Stunde wurde ich erneut Opfer von zahlreichen Wurfgeschossen und in der Pause schmissen sie unabsichtlich mein Federpennal auf den Boden und räumten es scheinheilig wieder ein.

„Was haben wir denn da!", rief Jessica, als sie meine Füllfeder, auf der mein Name stand, entdeckte. „Noch dazu eine so eine Teure!" Da war ich mir auch ziemlich sicher, immerhin war es ein Geschenk von meinen Eltern. Natürlich hatte ich sie nie nach dem Preis gefragt, aber normalerweise war alles, das sie mir schenkte, etwas teurer.

„Die behalt ich mir, du hast doch sicherlich nichts dagegen", sie blickte auf die Füllfeder, als ob sie nicht wusste, wie ich hieß, „Anna?" Natürlich hatte ich etwas dagegen. Ich hing an allen meinen Sachen, besonders, wenn es Geschenke waren. Bisher hatte ich es nie geschafft, irgendjemanden die Stirn zu bieten. So hatte ich schon ziemlich viel Zeug an die Mädchen verloren. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, etwas dagegen zu unternehmen. Dummerweise war Mike grade nicht da, um mich zu unterstützen. Aber Moment, brauchte ich wirklich Mike, um mutig zu sein?

„Doch." Ich selbst war wohl am meisten überrascht, als ich meine Stimme hörte.

„Wie war das?" Entsetzt betrachtete mich Jessica und die anderen taten es mir gleich.

„Ich habe was dagegen. Die Füllfeder gehört mir und du kannst sie dir nicht einfach nehmen!"

Wütend packte sie mich an den Haaren und zog mich nah zu sich.

„Das wirst du bereuen, Anna Hillinger!" Mit den Worten ließ sie mich wieder los und schleuderte die Füllfeder zurück auf den Boden, wo noch die anderen Sachen verstreut lagen.

Hastig sammelte ich diese ein und als ich wieder über meine Zeichnung gebeugt dasaß, fiel mir erst auf, dass ich am ganzen Körper zitterte. Als Mike mich darauf ansprach wich ich ihm jedoch aus und stellte wie nebenbei fest, dass er alleine nach Hause gehen müsste, da ich heute am Nachmittag als Teil der Musik AG beschäftigt war. Wie zu erwarten fragte er mich, ob er dort auch mitmachen könne, worauf ich so schnell keine Antwort wusste.

Nach der letzten Stunde begaben wir uns in die Kantine, wo Mike sofort von einigen Jungs aufgefordert wurde, sich zu ihnen zu gesellen. Mit einem entschuldigenden Blick folgte er ihnen. Ich machte mir nichts daraus, sondern holte mir erst einmal mein Essen. Auch wenn es nicht das beste war, das man kochen konnte, es war immerhin Essen und das benötigte ich. Ich machte mich wie jeden Tag, an dem wir länger Schule hatten, auf den Weg zu den Nerds, die zwar nicht die Gesprächigsten waren und außerdem um einiges älter als ich, aber immerhin ließen sie mich ohne weiteres an ihrem Tisch sitzen. Heute erreichte ich den Tisch jedoch nicht, denn auf halbem Wege fingen mich Jessica und Michelle ab, die mir sogleich das Tablett aus der Hand schlugen. Da es unglaublich laut in der Kantine war, fiel es fast niemanden auf, dass es scheppernd am Boden landete.

„Komm mit!", zischten sie mir zu und zogen mich wenig sanft auf den Gang hinaus. Davor hatte sie mich also gewarnt.

To Be Continued

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