Der Song

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Annas POV

Mit Mike über all das zu reden hat mir unglaublich geholfen. Es war, als wäre die Last, die ich seit Jahren mit mir herumschleppte, mit einem Schlag leichter geworden. Und als wir so Hand in Hand dalagen, wurde mir etwas Wichtiges klar: Das Leben war leichter, wenn es jemanden gab, mit dem man seine Sorgen teilen konnte.

Mike war dieser jemand für mich. Und ich wollte dieser jemand für ihn sein, denn ich wusste, dass er den Tod seines Vaters nicht so leicht weggesteckt hatte, wie er immer tat. Damals, es erschien mir wie vor einer halben Ewigkeit, hatte er mir einen Blick auf sein Leid gestattet. Aber ich wusste, dass es da noch mehr gab. Mehr als nur die Geschichte, wie sein Vater starb.


„Wie ist das so, seinen Vater zu verlieren?", fragte ich leise, auch wenn ich wusste, dass die Frage unangebracht war. Mike schien nicht mit so etwas gerechnet zu haben, aber ich wusste durch seine Reaktion, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte.

Einen Moment dachte ich, Mike würde mir nicht antworten, da er seinen Kopf wegdrehte, aber nach einigen Sekunden besann er sich eines Besseren und blickte mich wieder an. Und dabei wurde mir klar, dass er es noch mehr als ich hasste, mit jemanden über seine Sorgen und Ängste zu sprechen.

„Schrecklich", war also die einzige Antwort, die ich bekam. Aber ich ließ nicht locker.


„Du tust immer so, als wäre deine Welt in Ordnung. Aber das ist sie nicht! Erinnerst du dich noch daran, als ich zum ersten Mal bei dir war?"

Darauf konnte er nichts mehr sagen, aber er mied wieder seinen Blick. Ich konnte ihn nicht dafür verurteilen, dass er sich mir nicht anvertrauen wollte. Ich hatte schließlich auch relativ lange gebraucht, bis ich es getan hatte.

„Der Song", versuchte ich es schließlich mit einer anderen Taktik. „Was hat es wirklich mit dem auf sich?" Natürlich wusste Mike, was gemeint war. Schließlich gab es nur einen Song, den er geschrieben hatte und dessen Hintergrund ich kannte. Und wir beide wussten, dass Mike nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte.


„Na schön", gab er sich schließlich geschlagen und blickte mich wieder an. „Was passiert ist, weißt du und zwing mich bitte nicht, es noch mal zu erzählen, ja?" Verdutzt über seine ungewohnt heftige Reaktion konnte ich nur Nicken.

„Der Song, der Song", murmelte Mike leise, ehe er sich räusperte und mit seiner Erklärung begann. „Ich habe alles hineingepackt, was mich in dieser Nacht beschäftigte. Ein Kapitel in meinem Leben war auf grausame Weise beendet worden, also dachte ich an die Zukunft. Ich dachte über meine Träume nach. Ich dachte darüber nach, wie es wäre, in einer weltberühmten Band zu spielen." Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Ich weiß, wie dämlich das klingt."

„Tut es nicht!", widersprach ich ihm. „Wir alle stellen uns manchmal vor, wie es wäre, berühmt zu sein. Um der Realität zu entfliehen. Um besonders zu sein."


Jetzt war aber Mike es, der mir widersprach. „Jeder Mensch ist etwas Besonderes", flüsterte er und strich mir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Eine Geste, die es mich warm ums Herz werden ließ, denn sie unterstrich das, was er gesagt hatte. In seinen Augen war ich etwas Besonderes. Nicht, dass ich mir jetzt etwas darauf einbildete, aber es tat gut zu wissen, dass es jemanden gab, für den man wertvoll war.

„Jedenfalls", kehrte Mike wieder zum ursprünglichen Thema zurück. „Jetzt kommt erst der richtig verrückte Teil. Sicher, dass du dir das anhören willst?"

With You |Linkin Park|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt