Grenzerfahrungen

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3.Kapitel:
Ein Dieb schlich die Straße entlang. Es hatte geregnet und nun glitzerte das Mondlicht geheimnisvoll auf dem Kopfsteinpflaster Londons. Er trat nie länger als nötig mit Menschen in Kontakt und verschleierte seine Persönlichkeit, wie der Dampf es oft am Londoner Bahnhof tat. Kontakt tat weh, so weh. Er krümmte sich vor Schmerzen, wollte fliehen und hatte Angst. Er hatte alle Spiegel zertrümmert. Denn geheimnisumwoben wollte er sein, sollte er sein, es war schon immer seine Bestimmung gewesen. Und seine Gabe gab ihm die Kraft, dieses Phantom zu verkörpern. Die andere Stimme in seinem Kopf sprach nicht oft. Sie war das Gewissen, vor dem sich die andere Stimme fürchtete. Er selbst war nur ein Zuschauer bei einem abgekarteten Spiel.

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Fynn war ihm auf der Spur. War nicht leicht gewesen ihn zu finden und deswegen wollte er seinen Auftrag auf gar keinen Fall vermasseln. Der Soziopath. So nannte man ihn bei den Dieben in den Hinterhöfen und Flüsterkneipen Londons. Er war ein lebender Mythos. Sie sagten, er wisse nicht was er tue, dieser Mann. Auch soll er mental ein Kind geblieben sein, dachte Fynn. Doch er kannte die Geschichten und unterschätzte seinen Gegner noch lange nicht. Sowas kann tödlich enden, hatte sein Großvater immer gesagt.

Das Messingarmband sendete einen Adrenalinstoß durch Fynns Körper, bevor dieser die Gestalt überhaupt sah. Sie war umhüllt von einem rabenschwarzen Umhang. Er flatterte leicht im Wind. Ein Schwertknauf reflektierte blitzend das Mondlicht, ein laut hallendes Geräusch dröhnte ihm durch den Kopf, als die ominöse Gestalt in eine Pfütze trat. Das Artefakt verstärkte seine Sinne um ein vielfaches. Würde man ihm jetzt allerdings in die Augen leuchten, würde er jämmerlich erblinden. Blitzschnell schwang sich der Schemen in eine der zahlreichen Bauruinen, die wie eine riesige Mauer die kleine Gasse begrenzten. Der Mond schien senkrecht zu ihm hinunter, als würde er ihn beobachten.

Fynn folgte ihm leise mit etwas Abstand und senkte den Verbrauch des Artefaktes. Er würde es für später noch brauchen. Stattdessen zog er seinen Dolch, ein Exemplar wie es die Diebe in den Häfen des Ostens benutzen, aus der Scheide an seinem Oberschenkel. Nun benutzte er sein Messingartefakt stoßweise, ein Trick der ihm sein Großvater gezeigt hatte. Die Eindrücke waren schlicht überwältigend. Dazwischen nahm er einen, beinahe unbemerkbaren, Nachhall war. Wie von Schritten, die den staubigen Boden nur Sekunden zuvor berührten. Gebückt schlich er weiter durch das aufgegebene Gebäude und versuchte möglichst keine Geräusche zu verursachen. Nach einigen Minuten fand er schließlich, wonach er suchte: Ein kleiner Verschlag, mit dem bloßen Auge fast nicht wahrnehmbar, befand sich hinter den morschen Brettern. Eine Übergabestelle für Dealer. Fynn beäugte die Ampullen und schüttelte sie leicht. Um das Metall sonderte eine leicht bläuliche Flüssigkeit ab, ein Qualitätssiegel. Der Soziopath hatte ihn zu seinem Ziel gefürt. Und ja, dem talentierten Jungen war klar, dass es eine verdammte Falle war.

Der Angriff kam nicht unerwartet. Doch die Kraft und Intensität, mit der der Schwerthieb ausgeführt wurde, ließen ihn die Zähne zusammenbeißen. Fynn fing die Klinge mit gekreuzten Armen an seinen verstärkten Metallmanschetten ab und musterte seinen Gegenüber. Die Klinge seines Gegners war schlicht und symmetrisch, sehr gut ausbalanciert und ohne jederlei Verzierungen am Griff. So Bedeutungslos und unauffällig wie die Kleidung des Soziopathen.

Der Junge ging in sich und suchte nach seiner inneren Kraft, dem zweiten Metallreif, der an seinem Handgelenk hing: Das Eisenartefakt verlieh ihm eine ungeahnte Kraft. Und das ließ er seinen Gegner auch spüren. Ruckartig stieß er seine Arme zur Seite und zerbrach die Klinge des Schwertes ohne nennenswerte Anstrengung entzwei. Fynn rollte sich nach hinten ab und zog seinen Dolch blitzschnell aus der Scheide. Die körperliche Überlegenheit erlosch plötzlich und mit ihm die betäubende Wirkung. Der Schmerz kehrte heftig in seine Unterarme zurück. Daran hatte er sich immer noch nicht gewöhnt.

Cloudbreaker Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon