Kapitel 30

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"Marinette Dupain-Cheng!", sagte sie schließlich und wendete den Blick ab, als würde sie sich für ihren Namen schämen. Irgendwoher kannte ich diesen Namen, aber es war als wäre alles aus meiner Vergangenheit verblasst. Marinette. Und auf einmal kamen alle Erinnerungen wieder und stürzten auf mich ein wie ein Wasserfall.

*Flashback*
Es ist eine dunkle Nacht. In der ferne hört man Gewittergrollen und der Regen prasselt laut auf die Straßen. Nur manchmal erhellt ein rascher, gleissender Blitz die Dunkelheit für einen flüchtigen Moment. Vom Meer weht ein eisiger Wind und pfeift um die Häuser, wie ein Geist. Ein blonder Junge, nicht älter als 10 Jahre. Er sitzt an eine Hauswand gekauert und zittert. Es ist kalt, sehr kalt sogar. Mitte Januar. Der Kleine trägt nur ein Hemd und eine knielange Hose. Das Wasser tropft von seinen blonden Haaren und seine durchnässten Klamotten liegen an ihm, wie eine zweite Haut. Seine grünen Augen, die so voller Lebensfreude leuchten können, sind verblasst und starren auf den Boden. Mit seinen dünnen Armen umschlingt er seinen abgemagerten Körper, um ein klein wenig Wärme zu bekommen. Lange hat er nichts mehr gegessen. Seit zwei Tagen um genau zu sein. Er ist vor seinen Adoptiveltern weggelaufen, die ihn geschlagen haben und ihn hungern lassen. Er traut sich nicht mehr zu klauen. Zu groß ist die Angst vor dem Pranger oder die Strafe von seinen Adoptiveltern. Blaue Flecken hat er sowieso schon auf dem gesamten Körper. Nie hat er erfahren, was es heißt geliebt zu werden. Der Junge kämpft gegen die Tränen, doch schon nach wenigen Sekunden bahnt sich die Erste ihren Weg über die Wange und wird eins mit dem Regenwasser. Was bringt es ihm zu weinen? Nichts. Weinen ist wie die Schwäche, die flüssig geworden ist. Er reißt seinen Blick vom Boden los und schaut die Straße entlang. Es ist stockdunkel, nirgends brennt mehr ein Licht. Nur in der kleinen Bäckerei gegenüber.  Schon beim Gedanken an etwas zu essen, wird ihm schlecht vor Hunger. Kurz spielt er mit dem Gedanken in der Bäckerei etwas zu klauen, verwirft diesem Gedanken aber sofort wieder. Mittlerweile sieht er eine kleine Silouette im inneren des Hauses. Plötzlich geht die Tür auf und ein kleines Mädchen steht im Türrahmen. Sie trägt ein braunes Kleid und ihre schulterlangen, nachtblauen Haare sind in zwei süßen Zöpfchen nach hinten gebunden. "Adrien?"
Die helle Stimme des Mädchens wird durch das laute Prasseln des Regens fast verschluckt, doch der Junge hört es trotzdem. Verwirrt hebt er den Kopf und blinzelt. Mit nackten Füßen geht sie zögernd durch den Regen auf den Jungen zu. Der Blonde weiß, wer sie ist. Sie geht eine Klasse unter Seine und heißt Marinette. Aber was will sie von ihm? "Adrien? Was tust du hier? Wieso bist du nicht zuhause?", fragt sie zögernd und kniet sich vor ihn auf den regennassen Boden. "Was für ein zuhause?", sagt der Junge verächtlich und bereut augenblicklich seinen Tonfall. "Entschuldige.", meint das Mädchen und schaut zu Boden. "Du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin doch hier der Idiot!", seufzt der Junge und fährt sich durch seine durchnässten Haare. "Nein bist du nicht!", sagt das Mädchen schnell und lächelt den Blonden aufmunternd an. Er schaut in ihre wunderschönen himmelblauen Augen und auch auf seinem Gesicht erscheint ein kleines Lächeln. "Warte hier!", sagt sie plötzlich und rennt zurück zu der Bäckerei. Im Haus schnappt sie sich einen großen Laib Brot, der noch auf dem Bachtischlag lieg. Im Augenwinkel hat sie immer die Haustür, Angst davor, dass ihre Eltern sie erwischen. Eilig verlässt sie die Bäckerei und steuert auf den Jungen zu. Sie setzt sich neben ihn und hält ihm das Brot hin. Der Blonde schaut erst mit großen Augen das Mädchen an, dann das Brot. Er versteht nicht, wieso Marinette so etwas für ihn tun sollte. Zögerlich nimmt er es und beginnt zu essen. Das Mädchen schaut ihm lächelnd dabei zu. "Marinette, wieso?", fragt er zögerlich und schaut sie lange aus seinen grünen Augen an. "Was meinst du?"  "Wieso tust du das?"  Das Mädchen schaut verlegen auf den Boden. "Weil... weil ich dich mag.", sagt sie leise und traut sich nicht dem Jungen in die Augen zu sehen. "Da bist du aber die Einzigste.", seufzt dieser und grinst das Mädchen schief an. Kurz zögert sie, doch dann umarmt sie den Jungen. Er ist kurz überrascht, erwiedert aber gleich die Umarmung. So sitzten sie da, der Regen hat langsam aufgehört und es wäre, als würde die ganze Welt stehen bleiben. Erst als das Mädchen die Umarmung löst, lässt der Junge sie schwerenherzens los. Noch nie hatte er so viel Liebe bekommen, wie von diesem wunderbaren Mädchen. "Ich...ich muss wieder rein, sonst bekomme ich Ärger von meinen Eltern.", stottert sie und will aufstehen, doch der Junge hält sie am Handgelenk fest. "Danke Marinette. Für alles.", sagt er, zieht das Mädchen zu sich und küsst sie sanft. Schnell, wie ein Windhauch. Sie schaut ihn erschrocken an und errötet. Der Junge lächelt sie an. "Marinette? Was tust du da drausen in der Kälte?", ruft eine Stimme und das Mädchen fährt herum. Im Türrahmen stehen ihre Eltern und starren sie fassungslos an. Schnell steht sie auf und läuft zu ihnen. "Wer ist dieser Junge, der es wagt meine Tochter anzufassen? Und wo ist das Brot für M. D'Agencourt?", fragt ihr Vater wütend.  Das Mädchen senkt schuldbewusst den Kopf. Sie weiß genau, was sie getan hat, bereut es aber nicht. "Bitte sag mir nicht, dass du es diesem Dieb gegeben hast!", ruft ihre Mutter entsetzt. "Er ist kein Dieb!", sagt das Mädchen laut und schaut die Frau wütend an. Im nächsten Moment spürt sie einen zuckenden Schmerz auf der Wange und schaut ihre Mutter fassungslos an. Noch nie in ihrem ganzen Leben hat sie sie geschlagen. "So haben wir dich nicht erzogen Marinette! Wir sind maßlos enttäuscht von dir. Du gehst jetzt nach oben und wir reden später nochmal!" Dem Mädchen schießen Tränen in die Augen. Sie dreht sich nochmal zu dem Jungen um, geht dann aber. Sie weiß nicht, dass sie ihn zum letzten Mal sieht. Die Tür zur Bäckerei schließt sich. Der Blonde hat das ganze Geschehen mitangesehen. Er hat ein schlechtes Gewissen, da Marinette nur wegen ihm Ärger bekommen hat und von ihrer Muter geschlagen wurde. Aber er hat einen Entschluss gefasst. Er würde sein Leben jetzt selbst in die Hand nehmen.
Und irgentwann würde er Marinette heiraten.
*Flashback Ende*

Erschrocken lockerte ich meinen Griff um ihren Arm und sie sank wieder kraftlos zusammen. War sie es wirklich? Konnte das sein? Entsetzt starrte ich auf das schwache Mädchen vor mir auf dem Boden. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das Dorf, dass wir vor zwei Jahren überfallen und niedergebrannt hatten, war das Dorf in dem ich drei Jahre meines erbärmlichen Lebens verbracht hatte. Gott, war ich dämlich. Wieso hatte ich sie nicht schon früher erkannt?

Ich bemerkte die ziemlich verwirrten Blicke der anderen Jungs auf mir und riss meinen Blick von Marinette los.
"Sperrt sie ein.", sagte ich kalt und nickte Kim und einem anderen Jungen aus meiner Crew zu. Diese packten Marinette und zogen sie grob hinter sich her. Für einen kurzen Augenblick versetzte dieser Anblick meinem Herz einen kleinen Stich, doch ich verdrängte dieses seltsame Gefühl sofort.

"Ich glaube du hast mir einiges zu erklären.", sagte mein bester Freund  und verschränkte die Arme vor der Brust. "Geht wieder an eure Arbeiten!", rief ich den Jungs zu und widmete Nino meine Aufmerksamkeit. Ich seufzte. Wie sollte ich ihm etwas erklären, das ich selbst nicht verstand?

Die Piratin~only love conquers hateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt