Kapitel 54

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Sam's POV

"Ich gebe zu, für uns hättest du ruhig noch mehr Salz in die Nudeln tun können, Süße."
Er stand vor mir. Wahrhaftig stand er nun vor mir. Diese unverkennbaren Grübchen und die stechend grünen Augen, die mich von oben herab musterten. Das Grinsen ließ vermuten woran er dachte und was für ein Spaß er an den Spielchen die mich betrafen wohl immer noch hatte. Genüsslich angelte er sich erneut eine Nudel aus dem Topf und sog sie quälend langsam in seinen Mund. Das Grinsen stets aufgesetzt. Oh ja, und wie er Spaß daran hatte.
"Ja eindeutig... es fehlt an Salz. Aber es wundert mich nicht." Meine Hände zitterten. Ich ballte sie zur Fäuste, um das Gefühl zu unterdrücken, seine lächerlichen Grübchen aus seinem Gesicht zu prügeln. Dabei würde ich definitiv den Kürzeren ziehen.
Die Worte meines Selbstverteidigungslehrers brannten sich in meinen Kopf. Wenn die Lage aussichtslos ist und weglaufen nicht zur Debatte steht, scanne deine Umgebung und suche etwas, womit du dich bis zur Flucht verteidigen kannst.
Nudeltopf? Hm, bis ich den Topf gegriffen und Harry damit beworfen hätte, würde er mich schon längst in Ketten gelegt haben. Messer? Bis ich die ergriffen habe, bin ich schon tot. Denk nach Sam, denk nach.
"Woran denkst du, Sammy? An eine Fluchtmöglichkeit? Irgendetwas, wie du entkommen kannst?" Spott schwang in seiner Stimme mit und berieselte mich geradezu. Ich biss die Zähne zusammen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich war eindeutig unterlegen. Sie kannten ihre Opfer. Sie kannten alle möglichen Szenarien, es in die Enge zu treiben und zu schnappen. Wie ausgehungerte Löwen pirschten sie sich an ihre Beute heran und schlugen zu, wenn es am unerwartesten war. Nur war ich ihre Antilope. Zwar war ich klein und flink. Aber sie hatten den entscheidenden Vorteil: jahrelange Übung.
Harry wartete auf eine Antwort, seine Finger rollten sich abwechselnd über die Theke ab, dabei ließ er mich keine Sekunde lang aus den Augen. Er analysierte mein Verhalten, versuchte zu verstehen, was mein nächster Schachzug wäre. Er wartete auf meinen Versuch ihn Schachmatt zu setzen, doch vorher würde ich alles dran setzen, dass Patt zu erreichen. Dann wäre seine Lage aussichtslos. Ich spürte, wie sich ein ebensolch überlegenes Grinsen auf mein Gesicht ausbreitete. Sie hielten mich für ein dummes Naivchen, dass nicht damit gerechnet und auf keinen Fall vorgesorgt hatte. Punkt für mich, Wischmopp.
"Was gibt's da zu grinsen?" Verwirrt hob Harry eine Augenbraue und durchleuchtete meine Umgebung. Sein Blick blieb bei den Kampfmuffins haften, die Brian mir gebacken hatte. Das Grün seiner Augen funkelte, als er nach einem griff und herzhaft hinein biss. Fast hätte ich laut losgelacht, als sich sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzog.
Ich wusste nicht, woher dieser Mut kam, aber es war, als würde mein Mund einfach anfangen zu sprechen: "Na, schmeckts?" Lächelnd erwiderte ich seinen giftgrünen Blick.
Wütend spuckte er mir die Reste zurück auf die Theke und ballte seine Fäuste. Natürlich... die Muffins! Es war, als würde mir auf einmal ein Licht aufgehen. Es war, als hätte mein Unterbewusstsein schon geahnt, dass die Kampfmuffins zum Einsatz kommen würden.
Blitzschnell griff ich mir den Teller mit den Muffins und packte den Größten. Argwönisch beäugte Harry mich noch, doch es war zu spät. Der Muffin flog und traf ihn mit voller Wucht am Kopf. Reste klebten in seinen langen Haaren und krümelten. Automatisch griff ich nach dem nächsten und warf auch diesen. Fluchend versuchte Harry ihn abzufangen. Er landete in seinem Hemd. "Fuck!" Der Dritte flog und der Vierte und somit auch der letzte vom Teller. Panisch sah ich mich nach weitere Munition um. Es war mir zu riskant seine ausgespuckten Reste noch mit hinterherzupfeffern. Kurzerhand überbrückte ich den letzten Meter zu ihm und holte aus. Auf seinem Gesicht war Überraschung gekennzeichnet und beide Augenbrauen schossen in die Höhe. Bis ich meinen Tritt in seine Kronjuwelen landete. Scharf sog er Luft durch seine Zähne, sank auf die Knie und fluchte: "Du kleines, verdammtes Mitstück." Erstarrt stand ich da und beobachtete, wie er sich an die Mitte griff und versuchte trotz seiner Schmerzen aufzustehen. Das hast du nicht wirklich getan, Sammy. Wow. Am liebsten hätte ich mir selbst einen Award gewidmet, dass ich Harry Styles in sein Heiligtum getreten hatte und das ohne vorher wirklich angegriffen zu werden. Das Grinsen in meinem Gesicht wurde größer.
Wutendbrannt befreite Harry sich von den Krümeln und ich erinnerte mich wieder daran, was ich eigentlich wollte. Ich rannte los. Wenn es seine einzige Sorge war, dass er wieder gut aussah - von mir aus. Ich hätte mir eher Sorgen um meine Eier gemacht.
Mein erstes Ziel war die Kommode neben meinem Zimmer. Irgendwo da hatte ich das Raumspray hingestellt. Meine Füße trugen mich wie von selbst zum Ausgang. Meine Finger schlossen sich so schnell es ging um das kühle Metall, bereit zum Angriff. Doch mitten in der Bewegung verharrte ich. Vor mir taten sich zwei paar neue Füße auf. In schwarzen Stiefeln wodrin eine enge Jeans steckte. Das Raumsprei glitt mir tonlos aus den Händen und fiel scheppernd auf den Fußboden, als ich in das Gesicht meines Gegenübers blickte. Weißes Muskelshirt unter einer pechschwarzen Lederjacke. Wie von selbst verkrampften meine Hände ineinander und suchten halt an meinem Hoodie. Doch sie glitten immer wieder voneinander ab. Mein Pulloversaum war mit Schweiß durchtränkt. Ich versuchte mir meine Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen und stützte mich an der Kommode ab. Allerdings glaubte ich, ich war so überzeugend wie ein Fisch in einem Goldfischglas. Eingekesselt von Verwirrung, gemischten Gefühlen und der Angst, dass es das Ende sein könnte. Aber wenn es das Ende war, wieso war es dann noch nicht passiert? Perplex stand ich einfach da und sah ihn an.
Er sagte gar nichts. Er stand mir einfach nur stumm gegenüber und ballte seine Fäuste um sein Handy. Das Gehäuse knackte und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Bildschirm mit einem fetten Riss splittern würde aufgrund der Spannung. Die Ader an seinem Hals pulsierte und sein Kiefer war vor Anstrengung angespannt. Die Ärmel seiner Jacke waren hochgekrempelt und legten die Ansätze von Muskeln frei, denen ich heute Abend sicherlich nicht begegnen wollte. Wie immer saß seine Frisur perfekt. Ich könnte mich selbst verprügeln, dass ich in solch einer Sitation auf die perfekt sitzende Frisur einer meiner Entführer achtete. Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es nicht komisch war, dass er direkt so ohne weiteres vor mir stand. Doch eigentlich hätte ich es wissen müssen, dass Harry nicht alleine aufgetaucht war. Ich konnte mich selbst für meine Dummheit Ohrfeigen. Wenn ein Kopf der Hydra hier war, konnten die anderen Vier auch nicht weit sein.
Es hatte den Anschein, als ginge es Liam ähnlich. Seine Haltung war versteift und spiegelte wahrscheinlich meine gerade wieder. Ich schüttelte so heftig den Kopf um die wirren und explodierten Gedanken zu vertreiben, sodass ich mich wieder auf das Wesentliche konzentrieren konnte. Die Wohnungstür war versperrt oder eher heftig blockierd. Aber... ich wandte mich um und- Das Fenster?! Natürlich!
Wie von der Tarantel gestochen wirbelte ich herum und wollte gerade auf das Fenster zuhasten, als mich eine Hand grob am Arm zurück riss. Mein Rücken knallte unsanft gegen die Kante der Kommode und ein stechender Schmerz machte sich breit. Stöhnend hielt ich mir den Rücken und verzog das Gesicht. Harry stand vor mir. Und die Untertreibung des Tages: Er sah verdammt noch mal nicht glücklich aus. "Du elendes Miststück...", knurrte er und kam die letzten Meter auf mich zu, bevor er wild: "Louis?!" schrie, sodass seine Locken auf und ab wippten. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie Louis aus meinem Bad kam und sich die Beanie zurecht rückte. Was zur Hölle hatte er da drin getrieben?
Lange Finger gruben sich in mein Kinn und zwangen mich in zornige grüne Augen zu blicken. Ich schluckte. Fast schon automatisch zuckte ich zusammen, als Harry seine andere Hand hob. Gewohnheitsbedingt erwartete ich die ersten Schläge bevor ich verschleppt wurde, aber nichts dergleichen geschah. Was zum...?
Ich öffnete meine verkrampften Augen und sah die drei Jungs fassungslos an, als sie sich keinen Meter bewegten, so taten als wären sie die Ruhe weg und als hätte Harry nie in Betracht gezogen mich windelweich zu prügeln, dafür, dass ich ihm fast seine Männlichkeit beraubt hatte.
"Schaff sie zurück in die Küche. Wir kümmern uns um den Rest", brummte der Lockenkopf und warf mein Gesicht aus seinen Händen. Gerade diese Geste brachte mir meine eigenen Stimmbänder wieder. "Was für einen Rest? Wovon redet ihr? Wie seid ihr überhaupt hier reingekommen?"Abwechselnd betrachtete ich erst Liam, der mich zu ignorieren schien, dann Harry, der immer noch fuchsteufelswild starrte und Louis, von dem ich nichts anderes als Abneigung erwartete, welche ich auch bekam.
Desinteressiert wandte Louis sich den anderen Beiden zu und murmelte: "Wo bleib eigentlich Zayn?" Er kaute auf irgendetwas herum, vermutlich Kaugummi.
Es war Liam, der das Wort erhob. Etwas, was ich am allerwenigsten erwartet hatte. "Louis", sprach er mahnend, "der Penner wird nicht kommen." Was? Wieso kommt Zayn nicht? Seine Stimmlage verriet, dass Louis wohl bloß die Klappe halten sollte. Ich erschauderte bei dem Ton und wie von selbst rieben meine Hände an den Seiten meines Körpers entlang um die unangenehme Gänsehaut zu vertreiben. Aber warum kam Zayn nicht? Waren sie nicht sowas wie eine Gruppe und mussten das - also sprich mich entführen - gemeinsam durchziehen? Immerhin war es doch Zayns Verdienst gewesen, dass ich diese fünf Idioten überhaupt kennengelernt hatte.
"Bleib du bei der Schlampe, ich glaube sie hat mehr Angst vor dir, als vor mir", grollte der Wischmopp und wandte sich ab. Nicht ohne seine Mähne noch einmal mit der typischen Geste zu richten, ganz so wie: aufstehen, Krone richten - in dem Fall Haare - und weiter gehen.
Neben mir schnaubte Louis leise und murmelte gedämpft: "Vor Locken hätte ich auch keine Angst." Sein Kommentar entlockte mir ein Grinsen, doch die Tatsache, dass Louis ihn losgelassen hatte, ließ mich mein abfälliges Lachen wieder herunterschlucken. Krampfhaft versuchte ich keine Miene zu verziehen, konnte mir aber ein leises: "Wohl war...", nicht verkneifen.
Aufgebracht wirbelte Harry herum, funkelte mich stinksauer an und holte aus. Entsetzt verzog ich das Gesicht, als sich der Schmerz wie eine Säure durch meine rechte Wange fraß. Er peitschte quer durch das Fleisch und hinterließ mit Sicherheit einen roten Handabdruck. Ich schluckte und versuchte konzentriert die aufkeimenden Tränen weg zublinzeln. Wie immer hatte diese Geste etwas vertrautes. Gerne wüsste ich, wie oft ich es in den letzten paar Monaten immer mal wieder erlebt hatte. Denn jedes Mal war es wie das erste Mal gewesen, dass mich jemand geschlagen hatte. Unvorbereitet hatte mich die Pein getroffen und sorgte dafür, dass ich mich immer wieder aufs Neue mikrig und hilflos fühlte.
Als wäre es abgesprochen gewesen, packte Louis grob in meinen Nacken und stieß mich voran zurück in die Küche. Mit dem Rücken stieß ich in den Kühlschrank und verlor die anderen Beiden aus den Augen. Der, mit dem ich am wenigsten alleine sein wollte, platzierte sich nun genau vor mir und stützte sich auf die Theke.
Ich erinnerte mich zurück an die Worte meines Selbstverteidigungslehrers. Neben mir stand der Topf mit den Nudeln, gegenüber von ihm lag ein Messer und überall auf dem Boden lagen die Kampfmuffins, die Harry zum Opfer gefallen waren. Zerstreut in allen Einzelteilen. Schien als hätte er wahrhaftig Krieg mit denen geführt. Würde die Situation nicht super beängstigend auf mich wirken, hätte ich glatt losgelacht, aber ich glaube, dann hätte ich schneller ein Messer im Gesicht hängen, als dass ich bis drei zählen konnte.
Musternd blieb ich an dem Insektenspray hängen. Das wäre meine einzige Möglichkeit. Etwas anderes sah ich nicht. Langsam versuchte ich es unaufällig aufzubauen, dass ich nach dem Spray greifen könnte. Der Junge vor mir analysierte, wie sein Kollege vorher, jeden meiner Bewegungen aufs Genaueste. Er war zwar kein Auftragskiller oder irgendwie sowas in der Art, aber er wusste seine Opfer einzuschätzen. Eine Eigenschaft, die mich noch weiter unter sie stellte. "Glaubst du wirklich, dass du uns mit solch lächerlichen Sprays austricksen kannst?" Verspottend zog er eine Augenbraue hoch. "Insektenspray? Ernsthaft?" Ein Grinsen umspielte seine Lippen und verwandelte sich in eine fiese Fratze. "Du bist wirklich eindeutig tief gesunken in der Klappse. Dabei dachte ich immer mein Kollege findet was an dir, weil du so intelligent bist", was hatte er da eben gesagt?, "aber du, ich glaube es handelte sich wohl eher um: dumm fickt gut." Fassungslos starrte ich ihn an. Das hatte er nicht wirklich gesagt. Auch wenn er konkret keine Namen genannt hatte, wussten wir beide, von wem er sprach. Ein leises hönisches Lachen drang aus seiner Kehle. Natürlich wusste ich, dass er wusste, dass ich mit Liam geschlafen hatte, aber seine Äußerungen waren mehr als beleidigend. Wut staute sich in mir auf. "Achja? Bist ja wirklich ein toller Freund, wenn du das deinem Kollegen zutraust." Sein Blick verfinsterte sich. Ein Unwetter braute sich zwischen seinen Augenbrauen und seiner Nase zusammen. Gut für mich, dass ich mich zurückgehalten hatte, ihm nicht ins Gesicht zu spucken. Vermutlich hätte ich jetzt ein Auge weniger.
Louis erwiderte gar nichts. Er schwieg wieder, rückte seine Beanie zurecht und rollte wie Harry eben seine Finger auf der Theke ab. Ganz langsam. Als hätte er Geduld bis zum Mond. Okay... wenn er dir vorher nicht unheimlich war, dann ist er es jetzt ganz sicher. Du musst hier raus. Sofort.
"Brian weiß wo ihr wohnt! Er kann sofort ein Suchtrupp losschicken, sobald ich mit euch komme und es auffällt. Er..." Mir gingen die Argumente aus, aber ich hatte das Gefühl, dass mein Mundwerk ihrem einen Schritt voraus war. Ich improvisierte. Die Nervösität machte es nicht möglich richtige Gedanken in meinem Kopf zu verfestigen.
"Du glaubst auch echt, das wir so blöd sind, oder?" Ungläubig schüttelte er den Kopf und blickte mir dann unverwandt in meine Augen. Nicht mal blinzeln tat er. "Tz tz tz... du unterschätzt uns meine Liebe und das wird dir teuer zu stehen kommen. Das Haus existiert nicht mehr", ließ er die Bombe platzen. Meine Hände, die sich krampfhaft in die Theke gegraben hatten, rutschten ab und jagten mir einen fetten Splitter in den Daumen. Doch ich spürte den Schmerz kaum. Alles was ich wahrnahm waren seine Worte, die wie bei einem schlechten Remix immer wieder vor- und zurück gespult wurden. Es war weg. Einfach so. Einfach so hatten sie alle Spuren verwischt ohne Rücksicht auf Verluste. Brian konnte wieder bei Null anfangen. Durch mich schoss ein Geistesblitz. Das hatte er also gemeint, dass er ständig neu anfangen musste... weil sie die Beweise immer aufs Neue vernichteten. In Wahrheit waren sie jedem immer einen guten Schritt voraus. "A-aber... wohin... i-ich meine...", ich versuchte in meinem Kopf Worte zu finden um den Satz zu vervollständigen, aber Louis Worte hatten mich unvorbereitet getroffen. Die nächsten sollten den Schlag noch um einiges verstärken. "Das Haus existiert seit der Gerichtsverhandlung nicht mehr. Es war uns zu riskant, dass du dein kleines Maul nicht halten kannst und alles ausplauderst." Ich hatte meine Chance nicht wahrgenommen, sie verspielt und mir dauerhaft Eigentore geschossen ohne es zu bemerken. Dabei war ich der Annahme gewesen, sobald ich James und die Jungs in irgendeiner Weise erwähnte, würde mir alles genommen werden. Immerhin hatte Liam mich ja so freundlich darauf hingewiesen. Aber meine Gedanken bewiesen mir aufs Neue, wie dumm ich gewesen wäre. Sie hätten es nicht mal so weit geschafft. Es war wie ein Schlag in den Magen. Augenblicklich schoss mir die Magensäure gefühlt durch sämtliche Organe und ließ nur unangenehme Bauchschmerzen zurück. "Das du so dumm bist und es wirklich nicht getan hast, war gut für uns, damit hatte wohl niemand gerechnet, aber das du nicht besonders pfiffig bist, dürfte jetzt wohl jedem klar sein, findest du nicht?" Arrogant lächelte er mich an. Und wie toll er sich fand, dass er mir mal wieder einen reinwürgen konnte. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und ließ seine Worte erst mal sacken. Wie von selbst hatte ich mich weiter zurück geworfen. "Tut weh, huh?" Sein Lachen drang durch die Küche und erfüllte die Luft mit Spott und Hohn. Und ich kam mir jämmerlich klein und unbedeutsam vor. Machtlos. Ausgefercht. Winzig. Wie ein kleiner Käfer der mühelos mit der Sohle zerquetscht wurde. Hart schluckte ich und spürte meine Haut ganz kalt werden vor der eingehenden Erkenntnis, was dies für mich bedeutete.
Ich hatte mit zu viel Glück die Bahn bekommen und dachte ich wäre noch einmal davon gekommen. Doch das alles war nichts weiter als ein Spiel um das Opfer in die Enge zu treiben und ihre Grenzen auszutesten. Das T-Shirt war nur das Tüpfelchen auf dem I gewesen, der das Fass zum überlaufen gebracht und somit meine Nerven strapaziert hatte. Wie besessen war ich von dem Gedanken gewesen, dass sie jeden Moment kommen könnten. Doch sie waren bereits da gewesen... lange, bevor ich es überhaupt geahnt hatte. "Wie habt ihr eigentlich das T-Shirt hier reinbekommen? Ich war schließlich die ganze Zeit hier... und Brian auch." Die Frage schoss ungewollt aus meinem Mund und ich hatte kaum Zeit zu reagieren und sie zurück zu ziehen. Fragend runzelte Louis die Stirn, sagte aber nichts. Auf seiner Stirn bildeten sich nach und nach mehr Denkfalten. Er schwieg weiterhin. Ich deutete es, dass sie es zwar waren, es aber weiterhin ein Geheimnis bleiben würde, wie sie spielten. Geschickter Schachzug.
Der Tag hätte so schön ausklingen können. Zusammen hätte ich mit Brian essen können und den letzten Teil der Star Wars Saga gucken können. Gemeinsam hätten wir uns darüber amüsiert, was Kylo Ren doch für ein Lauch war und wie sehr der Film an 'Eine neue Hoffnung' erinnerte. Doch sie hatten mir mal wieder alles zerstört. Es sei denn... plötzlich ging mir ein Licht auf.
Vielleicht konnte ich noch irgendetwas rausschlagen.
Brian hatte gesagt, er würde später vorbeikommen, nachdem er in seiner WG Ordnung geschaffen hatte. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Viertel vor sieben. Mist. Bis acht müsste ich sie noch ganz schön hinhalten. Allerdings... sie wissen schließlich nicht, dass er erst in über einer Stunde kommt.
"Hör zu, mein Freund kommt gleich und-"
"Glaubst du das wirklich?" Unterbrach Louis mich und lehnte sich gelangweilt an die Theke und betrachtete mich von oben herab. Dabei zog er eine Augenbraue nach oben und langte nach einer Spaghetti, die aus der Packung gefallen war. Lautes Knacken war zu hören, bis er schließlich schluckte und mich weiter so ansah, als wäre ich der größte Absschaum, den es je gegeben hatte. Er wusste schon bereits zwei Sekunden vorher, was ich als nächstes tun würde. Ich ballte die Fäuste. Wenn es nicht anders ging, würde ich halt zum Angriff ansetzen. Die anderen zwei Penner waren sowieso noch in meinem Schlafzimmer beschäftigt und wusste der Himmel, was sie dort trieben.
Die Wut, die in meinem Inneren meine Venen beherrschte, puffte nicht ab, sie wurde nur größer. Meine Finger schlossen sich um den Verschluss des Insektensprays. Die Kappe flog mit einem lauten Krach ab und landete vor meinen Füßen. Der Junge mit der Beanie beobachtete dies schweigend und trommelte abwechselnd mit seinen Fingern auf der Theke herum. Langsam drückte ich den Auslöser herunter, doch nichts geschah. Wieder und wieder drückte ich ihn, doch kein Insektenabtötungsmittel kam aus der Düse. Ich schüttelte und fluchte und probierte es in alle Möglichen Richtungen, doch immer wieder kam nur ein dumpfes Geräusch zum Vorschein. Bis ich ein lautes, abfälliges Lachen hörte. Es brachte meinen Geduldsfaden zum reißen. Urplötzlich und voller Wut packte ich den Topf mit den Nudeln und schleuderte ihn Louis entgegen. Die Spaghetti flogen durch die Luft und besudelten ihn zusammen mit dem warmen Wasser. Die Nudeln klebten in seinen Haaren. Wütend stampfte er auf und wollte auf mich zurennen, als ich den Topf mit der Sauce gleich hinterherwarf und er ihm galant in den Schritt traf. Schmerzvolles Gejaule ertönte und ich konnte nicht anders als ihn anzuspucken und zu knurren: "Guten Hunger, Boobear."
Immer wieder hörte ich die Stimme meiner Oma in meinem Kopf, die mir energisch entgegenbrüllte: Lauf Sammy, LAUF!
Ich nahm meine Beine in die Hand und stürmte zum Fenster. Aus meinem Schlafzimmer drang energisches Gerede und in der Küche wurde gepoltert. Das Einzige was mir im Kopf rumschwebte war Abhauen. Ich riss den Fensterrahmen auf und ließ die Strickleiter hinunter abrollen. Die Holzscheite reichten nicht bis zum Boden, aber die letzten Meter würde ich wohl springen müssen. "Harry! Liam! FUCK!" Geschrei ertönte und daraufhin näherte sich lautes Getrampel. Blitzschnell schossen meine Beine durch die Öffnung und mein Kopf hinterher. Das Adrenalin ließ das Blut in meinen Ohren rauschen und brachte meine Haut dazu zu kochen. Konzentriert versuchte ich einen Scheit nach dem anderen hinunterzuklettern. Ich wagte es nicht, einen Blick nach oben zu wagen, in der Angst, es könnte mich arg aus der Bahn werfen. Spielen mit meinem Leben tat ich sowieso. Entweder ich rutschte bei einer falschen Bewegung ab und stürzte die zwei Stockwerke hinunter oder jemand richtete seine Pistole aus dem Fenster und feuerte.
Die Leiter fing an zu wackeln und die Stimmen flogen gerade zu durch die Luft zu mir. Mir stockte der Atem, als meine Augen wie von selbst nach oben sahen. Liam hockte auf dem Fenstersims und sah geradewegs zu mir hinunter. In der einen Hand hielt er den Anfang der Leiter und in der anderen... ein Messer. "Oh mein Gott...", hauchte ich, er würde doch nicht etwa...?
"Gehts du einen Schritt weiter runter, verliert deine lächerliche, kleine Leiter einen Haltepunkt." Der Wind rauschte um meinen Kopf und obwohl es ekelhaft Laut durch das schlechte Wetter war, hörte ich seine Stimme klar und deutlich, als würde er direkt vor mir stehen. Ganz langsam, wie in Zeitlupe schüttelte ich von selbst den Kopf. Meine Augen verankerten sich mit seinen und zeigten ihm hoffentlich, dass ich dieses Mal nicht so leicht aufgeben würde. Ganz egal, ob er mich geküsst hatte, sich Sorgen gemacht hatte oder wir miteinander geschlafen hatten. Es war nicht weiter von Bedeutung und das zeigte mir sein Handeln. Sauber durchtrennte er den einen Strick so schnell und riss mich damit blitzschnell halb in den Abgrund. Ich verlor den Halt und klammerte mich an den ersten Scheit, den ich in die Finger bekam. Meine Nägel splitterten, als sie sich immer tiefer in das Holz bohrten, denn alles was für mich in dem Moment wichtig war, war nicht abzurutschen. Ich unterzeichnete gerade meinen eigenen Tod und es zeigte mir immer mehr, wie sehr sie mit Menschenleben spielten. Aufgeregtes Gemurmel drang dumpf an meine Ohren und nur schwach konnte ich die Locken und die Beanie im Fenster erkennen, die sich über die Rehling beugten. Tränen der Angst sammelten sich in meinen Augenwinkeln, als meine rechte Hand anfing vor Schmerzen zu pochen. Sie verkrampfte sich und zitterte maßlos. "N-nein... bit-tte nicht...", schluchzte ich und versuchte beharrlich bloß nicht loszulassen. Aber die starken Schluchzer und die Last, die sich auf meinen Schultern immer weiter aufbürgten, schnürten mir geradezu die Luft ab. Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Meine Beine baumelten haltlos in der Luft und warteten auf den rettenden Boden unter meinen Füßen. Doch er kam nicht. Die Verkrampfungen lösten sich und damit auch der sichere Halt, den ich eben noch besessen hatte. Ich fiel. Ein letzter verzweifelter Schrei hallte durch die dunkle Nacht und erfüllte diese mit unsagbar grauenhaften Geräuschen.





























Nichts. Ich spürte nichts. Absolut nichts.

the boy's girlWhere stories live. Discover now