»Kapitel 87 - Hilflosigkeit«

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L I A M

Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Alles was ich registrierte, war meine flache Atmung und den gewaltigen Fehler, den ich gemacht hatte, in dem ich Sam alleine gelassen hatte.

Es war alles nur meine Schuld.

Ehe ich mich versah, hatte ich nach dem Handy gegriffen und eine bestimmte Nummer gewählt.

"Wie schön, dass du anrufst, hast du dich nun also doch entschieden, mir deine Herzensdame vorzustellen?"

Nur mit Mühe brachte ich die folgenden Worte über meine Lippen. "Sie ist weg!" Stolpernd griff ich nach der kaputten Reisetasche, stopfte notdürftig alles hinein und richtete meinen Gürtel, an dem meine Pistole und ein paar meiner Messer hingen. Sollte ich ihnen wirklich begegnen, musste ich schneller sein als der Pistolenkünstler und flinker als der Söldner. Gerissener als der Hacker und vorrausschaunder als der Dealer. Ich musste in allem einen Schritt voraus denken, sonst würden sie auch mich bald einholen.
Aber meine Priorität war nach wie vor Sam.

Mein Gehirn wollte gar nicht mehr funktionieren. Die Worte stolperten nur so aus meinem Mund und ich schmeckte die Verzweiflung auf meiner Zunge. "Hilf mir. Du bist meine letzte Chance."

Mit einer Hand schloss ich die Moteltür und bekam nicht mal mit, wie ich ins Auto stieg und zu meinem Kumpel fuhr. Er war alles, was ich jetzt noch hatte. Nur Zedd konnte mir jetzt noch helfen, ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte, um sie zu finden.

Der Motor heulte unter mir auf, versorgte den Wagen mit Energie und sauste schließlich durch den Verkehr. Mein Körper trug mich dahin, wo ich hin musste, während mein Verstand bereits an einem ganz anderen Ort war. Sie funktionierten unabhängig voneinander und allmählich fühlte ich mich immer mehr gespalten. Die eine Seite wollte in die eine und die andere in die andere Richtung. Ich hatte absolut keine Ahnung mehr, was ich tun sollte.

Kaum sah ich den bekannten Braunschopf, den ich eine Stunde zuvor noch gesehen hatte, da stürzte ich auf ihn zu und platzte heraus: "Sie ist weg, Zedd! Sam! Sie wurde entführt!" Atemlos stolperte ich ihm hinterher und tigerte auf und ab.
"Du musst mir helfen sie zu finden, bitte! Du bist meine einzige Chance..."

Ohne es zu wollen wurden meine Augen feucht. Schnell blinzelte ich sie weg, bis sich meine Sicht geklärt hatte. Dann hob ich meinen Blick und sah ihn flehend an. "Hilf mir."

Gefasst ließ Zedd sich auf seinen breiten Schreibtischstuhl sinken und musterte mich. Nachdem er mich einige Sekunden angesehen hatte, in der ich glaubte, fast verrückt zu werden, weil wir Zeit verschwendeten, gab er mir eine Antwort: "Okay, ich werde dir helfen sie zu finden. Aber ich habe eine Bedingung."

"Alles was du willst."

"Zieh mich da nicht mit rein. Meine letzte Begegnung mit den Gebrüdern Grimm und ihren Anhängern hat mir gereicht." Somit drehte er sich um und begann auf seine Pc-Tastatur einzuhämmern. Während er zwischen seinen drei Bildschirmen hin und her wechselte, gelegentlich etwas ins Laufwerk schob, verstand ich allmählich, warum es ihm so davor graute, Harry und den anderen zu begegnen.
An seinem T-Shirtkragen schlängelte sich kaputte und vernarbte Haut hianuf bis zu seinem Nacken, als wollten sie mir geradewegs die Grausamkeit zeigen, die Zedd hatte durchleben müssen. Die Krater und gerunzelten Hautpartien waren mir nur all zu bekannt, schließlich trug ich sie selbst auf meinem Arm. Zedd war derjenige gewesen, der mich davon befreit hatte, aber er selbst, trug sie noch immer und bei ihm waren sie weitaus schlimmer.
Seine Brandnarben konnte man nicht einfach so übertättowieren.

Hart schluckte ich.

Niemals würde ich es mir verzeihen, sollte Sam das Gleiche durchmachen müssen, wie wir es getan hatten.
Aber automatisch malte ich mir bereits aus, was wohl mit ihr gerade geschah. Hatte James sie auch bereits über glühenden Kohlen aufgehangen? Oder schickte man sie brutal von kalt zu heiß und wieder zurück? Versengte man breis ihre Haut mit ätzenden Flüssigkeiten oder folterte sie durchgehend mit einem schrillen Ton, den man glaubte zu hören und doch wieder nicht hören konnte?

the boy's girlWhere stories live. Discover now