Kapitel 2 - Fragen

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2014

Nach einiger Zeit erreichte ich die Mauer, die das gesamte Gebiet umspannte. Hier gab es nur noch vereinzelt Häuser und sie wurden oft durch mehrere Felder von einander getrennt. Auf den Feldern konnte ich Bauern bei der Arbeit sehen. Alle zu sehr in ihr Handwerk vertieft als das sie mich bemerkt hätten. Ich lief weiter entlang der Abgrenzung. Doch egal wie lange ich unterwegs war, ein Tor entdeckte ich nicht. Nur in regelmäßigen Abständen die immer gleichen Wachtürme. Auf jeden einzelnen von ihnen befand sich eine Gruppe aus fünf bis sechs Soldaten und ich fragte mich schön langsam, ob ich in irgendeiner Sekte oder Militärdiktatur gelandet war. Sollte das der Fall sein, saß ich ganz schön in der Klemme. Vor allem weil ich mich so aufsässig benommen hatte, und es war doch allgemein bekannt, das in diesen Kreisen meist kurzer Prozess gemacht wurde. Und anders als sonst beruhigte mich das Laufen nicht mehr, nein, mit jedem Schritt den ich vorwärts machte, stieg meine Panik bis sie im Unermesslichen lag. Aber ich lief immer weiter, denn solange ich lief, hatte ich die Hoffnung doch noch irgendwo einen Ausgang zu finden.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich lief, vielleicht eine Stunde, vielleicht zwei, vielleicht auch länger, aber schließlich konnte ich keinen Fuß mehr vor den anderen setzten und ich brach völlig erschöpft in der Nähe eines kleinen Pfads in Tränen aus und blieb dort liegen. Ich wollte weiterlaufen doch bereits das stätige Atmen forderte meine volle Konzentration. Mein Gesicht war nach unten gerichtet und so sah ich nicht viel mehr als den Beginn einer Wiese und den Boden des holprigen Weges. Ich konnte nur hoffen, dass niemand hierherkam um nach mir zu suchen.

So lag ich eine ganze Weile. Der Himmel über mir färbte sich erst orange, dann rot und ging schließlich in ein immer dunkler werdendes violett über. Während dieser Zeit hing ich meinen Gedanken nach. Natürlich, jedem einzelnen den ich hier begegnet war, konnte ich es nur dringend empfehlen eine Psychiatrie aufzusuchen aber ich hätte trotzdem nicht gedacht, dass mir Ketlin etwas böses wollte. Sie wirkte nicht wie jemand, der ein solches Regime vertrat aber wahrscheinlich konnte ich das nach einem Tag noch nicht abschätzen.

Wenn ich ehrlich war, wusste ich doch auch, dass ich selbst daran schuld war, dass ich nun hier lag. Es hatte mich niemand gezwungen zu Lucas in das Auto zu steigen. Wenn ich hier starb, würden sie meine Leiche wahrscheinlich in irgendeinem Erdloch verscharren und meine Eltern und Tobi würden nie erfahren was mir zugestoßen war. Sie wussten ja noch nicht einmal wo ich mich aufhielt. Die Tränen begannen mir wieder in Strömen über die Wange zu laufen. Mit zitternden Fingern holte ich mein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer unseres Festnetzanschlusses. Als niemand abhob versuchte ich es noch ein zweites Mal und rief schließlich Isa an. Aber ich konnte auch sie nicht erreichen. Wahrscheinlich hatte ich es nicht verdient mich zu verabschieden.

Plötzlich hörte ich hinter mir Hufe klappern. Mühsam hob ich meinen Kopf, konnte aber durch die vielen Tränen nur verschwommen sehen. Auf einem kleinen Karren kam mir ein alter Bauer entgegen. Er wirkte nicht, als könnte er eine Gefahr darstellen aber er würde bestimmt nicht zögern mich an Cristin auszuliefern. Es konnte nur sein, dass er, wenn ich Glück hatte, noch nicht wusste, wie schrecklich ich mich benommen hatte. Der Bauer stoppte seinen Esel, stieg ab und kam auf mich zu.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er mich. Er sprach mit einem starken Akzent, so dass ich mich sehr anstrengen musste um ihn zu verstehen.

Da mir auf einmal ein dicker Kloß im Hals steckte, konnte ich nur nicken und hoffte er würde schnell weiterziehen. Aber der Bauer beugte sich zu mir und half mir auf, dann führte er mich zu seinem Wagen und wies mich an Platz zu nehmen. Ich wollte nicht mit ihm mitfahren, schließlich lernte selbst ich aus meinen Fehlern, aber ich hatte einfach nicht die Kraft ihm zu wiedersprechen und außerdem kam die Nacht über uns herein und ich zitterte bereits vor Kälte. Der Alte stieg auf und lenkte seinen Wagen weiter den Weg entlang.

Und Ich Bleibe...Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum