Twenty. Dreamworld

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♦ Emily ♦

Ohne zu blinzeln starre ich auf den schwarzen Bildschirm des riesigen Flatscreens mir gegenüber an der Wand. Meine Augen brennen, weil sie allmählich austrocknen und mittlerweile ist meine Sicht auch nicht mehr allzu scharf, wie sie noch zu Beginn meines Starrens war. Doch ich kann nicht anders. Ansonsten fange ich an mich zu bewegen und dabei weiß ich ja, dass ich das nicht darf.

Nachdem Ben mit dieser Dunkelhaarigen verschwunden war, hatte ich versucht einzuschlafen – vergeblich. Egal, welch Tribut mein fehlender Schlaf langsam einfordert, so wollte sich mein Hirn partout nicht damit anfreunden, auf der Couch wegzudösen und mir etwas Erholung zu gönnen. Als ich mich schließlich stundenlang hin und her gewälzt hatte, hatte ich mich aufgesetzt, gelauscht, und festgestellt, dass es hier genauso gespenstig still ist, wie noch in meinem privaten Kämmerchen. Einzig das Surren der Insekten ist lauter, was mich dazu veranlasst zu denken, dass irgendwo in nächster Nähe ein Fenster geöffnet sein muss. Allerdings interessiert mich auch das herzlich wenig. Das was mich beschäftigt ist der Blick der Brünetten, den sie mir zugeworfen hat und die Frage, was sie für meinen Peiniger bedeuten könnte. Mein gefährlicher Brite scheint mir nämlich nicht so, als wäre er ein Typ für romantische Beziehungen. Wenn dem also nicht so ist, dann... Ich werde alleine bei dem Gedanken rot.

Über mich selbst ärgernd schüttelte ich den Kopf und visiere gleich wieder das winzig kleine Staubkorn an dem Bildschirm an, dem seit gefühlten Ewigkeiten meine Aufmerksamkeit gebührt. Ich kann nicht verleugnen, dass ich mich besser fühle. Besser in dem Sinne, wie es nun mal besser sein kann, nicht mehr alleine in einem Raum zu hocken, dessen Musterung man im Boden bereits abertausend Male abgezählt hat. Die Luft ist anders. Die Möbel sind anders. Es gibt neue Musterungen im Boden zu entdecken und auch der Blick aus dem Fenster bietet etwas Neues. Alles was neu ist, bedeutet ein Stück Freiheit für mich – und auch für meine Gedanken, die sich von düsteren Gefilden in etwas hellere, wenn auch deutlich verwirrendere, Ecken gewandelt haben.

Seufzend quetsche ich meine Lider zusammen, fahre mit den Händen über mein Gesicht und springe entschlossen auf meine Füße. Was bringt mir meine neu gewonnene Freiheit, wenn ich sie ausschließlich auf der Couch verbringe? Noch dazu habe ich weder Ben, seine komische Schnepfe, oder sonst einen anderen Menschen hier gesehen. Also sollte es auch niemand mitkriegen, wenn ich mich etwas umsehe. Nach einem vorsichtigen Blick in alle Richtungen, begebe ich mich auf Zehenspitzen in die Küche, gönne mir zuerst ein Glas Milch zur Stärkung und setze meine Erkundungstour fort. Ich befolge Ben's Anweisung und öffne keine Türen. Schließlich kann man in diesem Haus nie wissen, was sich dahinter verbergen könnte und meine Augen können gut auf ein weiteres Trauma verzichten.

Meine Beine tragen mich durch die imposante Eingangshalle, vorbei an Wänden mit wunderschöner Kunst und der breiten Treppe ins Obergeschoss. Rechts von mir ist eine riesige Flügeltür ausgeklappt hinter der sich ein Kaminzimmer befindet, das aus einem typischen alten Film stammen könnte. Zwei rote Ledersessel mit goldenen Applikationen bilden den Mittelpunkt und dahinter entdecke ich noch eine Couch im gleichen Stil. In der Mitte befindet sich ein Tisch mit Whiskygläsern und einer Karaffe mit brauner Flüssigkeit.

Neugierig gehe ich weiter und stocke, als ich aus dem Augenwinkel eine Tür entdecke, die nur angelehnt ist. Mein Herz fängt an zu Pochen und ich sehe mich nochmals um, ehe ich mit meinem Fuß leicht dagegentrete und sie aufspringt. Das ist eindeutig eine Grauzone. Sie war weder offen, noch zu. Und meine Augen sind weit aufgerissen, als ich das Innere dieses Raumes erblicke, das für mich den größten Schatz auf der Erde verbirgt; eine Bibliothek. Eine riesige, mit deckenhohen Regalen vollgestellte Bibliothek.

Mit schlotternden Knien trete ich über die Schwelle, weil ich mir sicher bin hier etwas Verbotenes zu tun, aber mein Körper bewegt sich ganz ohne Zutun meines Gehirns. Ich bin machtlos und drehe mich mit offenstehendem Mund im Kreis, als ich die Mitte des Raumes erreicht habe. Um mich herum befindet sich eine Goldgrube der Literatur, Reihe um Reihe sehe ich alte Buchumschläge, rieche den vertrauten Duft von Papier und Staub. Es ist unmöglich zu schätzen wie viele Exemplare hier wirklich gelagert sind.

Afraid of youWhere stories live. Discover now